Politik
„Wir rechnen damit, dass wir in Kürze weitere Wirkstoffe bewerten werden“
Freitag, 2. Juli 2021
Berlin – Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat dem ursprünglich zur Behandlung von Ebolainfektionen entwickelten Wirkstoff Remdesivir einen beträchtlichen Zusatznutzen bei COVID-19 bescheinigt. Dies gilt allerdings nur für COVID-19-Patienten mit Pneumonie, die bereits Sauerstoff benötigen, aber noch nicht mechanisch beatmet werden müssen.
Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) erklärt Thomas Kaiser, Leiter des IQWiG-Ressorts Arzneimittelbewertung, wie das Institut zu seiner Beurteilung gekommen ist, weshalb offenbar nur Patienten mit moderater Erkrankung von Remdesivir profitieren und wie es um weitere Wirkstoffe zur Behandlung von COVID-19 steht.
Fünf Fragen an Thomas Kaiser, Leiter des IQWiG-Ressorts Arzneimittelbewertung
DÄ: Welche Studien haben Sie für die frühe Nutzenbewertung von Remdesivir herangezogen und weshalb nur diese?
Thomas Kaiser: Für die Bewertung haben wir drei randomisiert kontrollierte Studien herangezogen, in denen jeweils eine Therapiestrategie mit Remdesivir mit einer Therapiestrategie ohne Remdesivir verglichen wurde, letzteres teilweise verblindet durch eine Placebogabe.
Die Studien wurden in verschiedenen Ländern durchgeführt, und auch deutsche Zentren waren vertreten. Alle drei Studien stammen aus der frühen Phase der Pandemie, d.h. aus dem ersten Halbjahr 2020.
Nicht herangezogen haben wir die SOLIDARITY-Studie der WHO. Zum einen ist die Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf die hierzulande bestehenden Versorgungsmöglichkeiten nicht gegeben. Zum anderen liegen für die Studie keine Auswertungen getrennt nach Beatmungsstatus vor, solche Auswertungen sind aber für die vorliegende Bewertung erforderlich.
DÄ: Weshalb wirkt Remdesivir offenbar bei moderat erkrankten COVID-19-Patienten, aber nicht mehr bei schwerer Erkrankten?
Kaiser: Dies lässt sich gegebenenfalls durch den Wirkmechanismus von Remdesivir erklären. Remdesivir hemmt die Virusvermehrung, und in einer früheren Phase der Erkrankung kann dies offenbar das Risiko für schwere Verläufe verhindern. Ist erstmal ein bestimmter Schweregrad erreicht worden, bei dem die Inflammation im Vordergrund steht, ist die Hemmung der Virusreplikation offenbar nicht mehr der richtige therapeutische Ansatz. Es ist plausibel, dass dann der Einsatz z.B. von Dexamethason einen Nutzen hat.
DÄ: Welche Daten gibt es zum Einsatz von Remdesivir bei leichter erkrankten COVID-19-Patienten, könnte es bei ihnen ebenfalls eine positive Wirkung haben?
Kaiser: Zu leichter erkrankten COVID-19-Patienten hat der Hersteller keine Daten vorgelegt, denn dafür ist Remdesivir auch nicht zugelassen. Ob Remdesivir hier einen Nutzen hat, ist daher reine Spekulation.
DÄ: Die Standardtherapie von COVID-19 hat sich im Lauf der Pandemie verbessert, woher weiß man, dass die Gabe von Remdesivir auch bei einem COVID-19-Patienten, der heute ins Krankenhaus kommt, noch einen signifikanten Zusatznutzen haben wird?
Kaiser: Die Verbesserung der Versorgung im Lauf der Pandemie hat uns natürlich bei der Bewertung von Remdesivir beschäftigt. Allerdings beziehen sich diese Änderungen in der Versorgung insbesondere auf schwere Fälle, z.B. durch die positiven Daten zu Dexamethason oder durch die Erfahrung in der Beatmung dieser Patientinnen und Patienten.
Daher hat diese Versorgungsänderung für die Bewertung von Remdesivir nur eingeschränkte Bedeutung. Denn Remdesivir ist für beatmete Patientinnen und Patienten gar nicht zugelassen, für schwerer erkrankte Patientinnen und Patienten mit Notwendigkeit einer High-Flow-Sauerstofftherapie zeigt sich ohnehin kein Vorteil durch den Einsatz von Remdesivir. Das kann dann aber bei Bewertungen anderer Wirkstoffe für schwer erkrankte Patientinnen und Patienten zukünftig ganz anders sein.
DÄ: Befinden sich noch weitere vielversprechende Wirkstoffe gegen COVID-19 beim IQWiG in der Nutzenbewertung bzw. rechnen sie damit in der nächsten Zeit?
Kaiser: Remdesivir ist bisher der einzige Wirkstoff gegen COVID-19, den wir bewertet haben. Wir rechnen aber damit, dass wir in Kürze weitere Wirkstoffe bewerten werden. Denn es gibt mehrere laufende Zulassungsverfahren zu Wirkstoffen gegen COVID-19, und dazu gehören auch monoklonale Antikörper. Das ist natürlich angesichts der Pandemie sehr zu begrüßen.
Ob diese Wirkstoffe einen echten Mehrwert für Patientinnen und Patienten haben, wird dann Gegenstand der Nutzenbewertung sein, die ja nicht nur auf publizierte, sondern auch auf unpublizierte Daten zurückgreift. Und da gab es in der Vergangenheit schon manche Überraschung, positiv wie negativ. © nec/aerzteblatt.de

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