Medizin
Langzeitstudie: Nur jedes 10. Kind wächst aus einer ADHS heraus
Freitag, 1. Oktober 2021
Seattle – Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ADHS ist keine Erkrankung, aus der die meisten Kinder und Jugendlichen irgendwann „herauswachsen“.
In einer Langzeitstudie im American Journal of Psychiatry (2021; DOI: 10.1176/appi.ajp.2021.21010032) wurden bei 9 von 10 Patienten auch im frühen Erwachsenenalter Anzeichen der Erkrankung gefunden. Typisch für den Verlauf der ADHS scheint eine starke Fluktuation der Symptome zu sein.
Die ADHS wird zumeist im frühen Schulalter diagnostiziert, wenn es den Kindern nicht gelingt, auf ihrem Platz zu sitzen, dem Unterricht zu folgen und ihre Hausaufgaben zu erledigen. Die Kinder scheinen ein Übermaß an Energie zu haben, das sie jedoch nicht zielführend einsetzen können.
Zunächst wurde die Erkrankung nur bei Kindern diagnostiziert und behandelt. Inzwischen steht fest, dass viele ADHS-Patienten auch als Erwachsene Verhaltensprobleme haben. Diese äußern sich weniger in einer motorischen Hyperaktivität als in einer verbalen Impulsivität, in Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung und im „Nicht-Denken vor dem Handeln“.
Die Erkrankung verhindert nicht unbedingt, dass die Patienten im Leben erfolgreich sind, wie sich an dem Schwimmer Michael Phelps oder der Turnerin Simone Arianne Biles zeigt. Beide Sportler litten (und leiden) jedoch auch als junge Erwachsene unter den Folgen der Erkrankung.
Eine Analyse der MTA-Studie („Multimodal Treatment Study of ADHD“) zeigt, dass die beiden Sportler keine Ausnahme sind. Die MTA-Studie hatte Ende der 1990er Jahre mehrere Therapien miteinander verglichen.
558 Teilnehmer wurden in den 16 Jahren nach der Studie noch 8 Mal untersucht. Bei diesen Untersuchungen waren jedes Mal etwa die Hälfte der Patienten mit oder ohne Behandlung symptomfrei, es waren jedoch nicht immer dieselben.
Wie Margaret Sibley vom Seattle Children’s Research Institute und Mitarbeiter berichten, erfüllten 175 Teilnehmer (31,4 %) bei wenigstens einer der Nachuntersuchungen die Kriterien für eine vollständige Erholung. Von diesen 175 vollständig remittierten Fällen erlitten jedoch 104 (59,4 %) in der Folge wieder einen teilweisen (29,1 %) oder kompletten Rückfall (30,3 %) der Erkrankung. Nur 51 Patienten (9,1 %) wurden bei der letzten Untersuchung im Alter von etwa 25 Jahren als geheilt eingestuft.
Auf der anderen Seite gab es 60 Patienten (10,8 %), die bei allen Untersuchungsterminen Symptome eines ADHS zeigten. Bei 87 Patienten (15,6 %) war es im Verlauf der Erkrankung zu einer stabilen partiellen Remission gekommen, während 356 Patienten (63,8 %) ein Auf und Ab der Symptome durchlebten.
Allerdings wurde die Studie inzwischen abgebrochen, so dass Sibley keine Daten über den weiteren Verlauf der Erkrankung im Erwachsenenalter sammeln konnte. Die Forschung geht jedoch davon aus, dass es sich bei er ADHS um eine langfristige, vielleicht sogar lebenslange Erkrankung handelt, was die Patienten bei der Lebensplanung berücksichtigen sollten.
Der Schlüssel zu einem erfolgreichen Leben ist für Sibley, einen Beruf oder eine Lebensaufgabe zu finden, die durch ADHS nicht beeinträchtigt werden. Menschen mit ADHS würden eher in kreativen Berufen glücklich werden, während sie ein einfacher Bürojob am Computer vielleicht überfordern würde. © rme/aerzteblatt.de
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Standesdünkel und Schwerfälligkeit

Intuition geht Daten oftmals um Jahrzehnte voraus
Die Betroffenen sind natürlich nicht in jedem Fall behandlungsbedürftig und erst recht nicht zu jedem Zeitpunkt im Leben behandlungsbedürftig, wohl aber sollte in etwaigen schwierigen Lebensphasen, bei Burnout, Scheidung etc. die ADHS-Konstitution mit berücksichtigt werden… und auch bei Simone Biles (siehe Olympia 2021 in Tokio) und Michael Phelps läuft bzw. lief es ja wechselhaft… ebenfalls so ein Fall: Johnny Depp, der im Rahmen des Prozesses gegen Amber Heard als mit ADHS diagnostiziert geoutet wurde…

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