Medizin
SARS-CoV-2: Serumtherapie scheitert in weiterer Studie
Freitag, 20. August 2021
Pittsburgh – Die Behandlung mit dem Plasma von Genesenen hat in einer randomisierten US-Studie COVID-19-Patienten nicht vor einer Verschlechterung der Erkrankung bewahrt, wie die jetzt im New England Journal of Medicine (2021; DOI: 10.1056/NEJMoa2103784) publizierten Ergebnisse zeigen.
Die Behandlung von Infektionskrankheiten mit dem Plasma von Rekonvaleszenten geht bekanntlich auf Emil von Behring zurück, der die Serumtherapie erfolgreich zur Behandlung von Diphtherie und Tetanus eingesetzt hat, die heute durch eine Impfung verhindert werden können. Für Infektionen mit COVID-19 war dies anfangs nicht der Fall, und eine effektive Behandlung gegen schwere Verläufe gibt es bis heute nicht. Es wundert deshalb nicht, dass die Idee der Serumtherapie zu Beginn der Pandemie wieder aufgegriffen wurde.
Die Behandlung stieß vor allem in den USA auf ein hohes Interesse, und noch vor einer vorläufigen Zulassung der Arzneimittelbehörde FDA im August 2020 waren rund 70.000 Patienten im Rahmen eines von der Mayo Clinic initiierten „National Expanded Access Program“ behandelt worden. Die Erfahrungsberichte waren überwiegend positiv, so dass von den parallel begonnenen randomisierten Studien nur noch eine Bestätigung der Wirksamkeit erwartet wurde. Diese blieb jedoch aus.
Im Juni hatten chinesische Mediziner im Amerikanischen Ärzteblatt (JAMA, 2020; DOI: 10.1001/jama.2020.10044) berichtet, dass Patienten mit einer lebensgefährlichen Pneumonie nicht von einer Plasmainfusion profitieren. Mediziner aus Indien blieben bei Patienten mit mittelschwerer Pneumonie ebenfalls erfolglos, wie die im Oktober im Britischen Ärzteblatt (BMJ, 2020; DOI: 10.1136/bmj.m3939) publizierten Ergebnisse zeigen.
Den größten Rückschlag erlitt die Behandlung in der britischen RECOVERY-Studie, die mehr als 10.000 Patienten auf eine Serumtherapie oder auf eine Kontrollgruppe randomisiert hatte. Auch hier konnte die Plasmaspende von Rekonvaleszenten die Überlebenschancen von Patienten, die wegen eines schweren Verlaufs bereits im Krankenhaus behandelt wurden, nicht verbessern.
Mittlerweile gehen die Experten davon aus, dass die Serumtherapie am ehesten im Frühstadium der Erkrankung erfolgreich ist, wenn die Infektion noch nicht zu einer schweren systemischen Erkrankung geführt hat. In dieser Zeit könnte die Übertragung der fehlenden Antikörper das Immunsystem der Patienten im Kampf gegen die Coronaviren stärken.
Medizinern aus Argentinien gelang es in der INFANT–COVID-19 Studie tatsächlich, die Zahl der schweren Verläufe mehr als zu halbieren. Voraussetzung für den Erfolg war, dass die Patienten innerhalb von 72 Stunden nach Symptombeginn behandelt wurden. Dies gelang, weil die Mediziner auf eine funktionierende Infrastruktur für die Serumtherapie zurückgreifen konnten, die dort standardmäßig zur Behandlung des argentinischen hämorrhagischen Fiebers, einer nur in Südamerika verbreiteten Zoonose, eingesetzt wird.
So schnell waren ihre Kollegen aus den USA nicht. Die Einschlusskriterien der C3PO Studie („Covid-19 Convalescent Plasma in Outpatients“) sahen vor, dass Patienten, die sich innerhalb von 7 Tagen wegen einer Verschlechterung der Symptome an eine Notfallambulanz gewendet hatten, an den 48 teilnehmenden Zentren auf eine Serumtherapie oder eine Kontrollgruppe randomisiert werden. Immerhin gelang es den Ärzten, die Infusion im Durchschnitt 92 Stunden nach Symptombeginn zu starten (gegenüber 39,6 Stunden in der INFANT–COVID-19 Studie). Doch die günstigen Ergebnisse ihrer argentinischen Kollegen erreichte das Team um Clifton Callaway von der Universität Pittsburg nicht.
An der Studie hatten insgesamt 511 Patienten im Durchschnittsalter von 54 Jahren teilgenommen, die zur Hälfte 3 oder mehr Risikofaktoren auf einen schweren Verlauf aufwiesen wie Adipositas, Bluthochdruck, Diabetes, Herzerkrankungen oder chronische Lungenerkrankungen. Die Patienten erhielten eine Infusion von 250 ml Plasma. Bei der Hälfte handelte es sich um das Plasma von Genesenen mit einem mittleren Titer der neutralisierenden SARS-CoV-2-Antikörper von 1:641. Bei den anderen bestand das „Plasma“ nur aus einer Kochsalzlösung.
zum Thema
- Abstract der Studie im NEJM
- Registrierung der Studie
- Abstract der Studie im JAMA 2020
- Abstract der Studie im BMJ 2020
- Pressemitteilung des National Heart, Lung, and Blood Institute
- Registrierung der „Pass It On“-Studie
- Registrierung der „CSSC-001“-Studie
- Registrierung der „CSSC-004“-Studie
aerzteblatt.de
Der primäre Endpunkt war eine Krankheitsprogression innerhalb von 15 Tagen nach der Randomisierung. Die Kriterien waren eine Krankenhauseinweisung, eine Notfallversorgung oder der Tod des Patienten. Eines dieser Ereignisse trat in der Rekonvaleszenzplasmagruppe bei 77 von 257 Patienten (30,0 %) auf gegenüber 81 von 254 Patienten (31,9 %) in der Placebogruppe. Die Risikodifferenz von 1,9 %-Punkten war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von -6,0 bis 9,8 %-Punkten nicht signifikant und das Ziel einer Verbesserung des primären Endpunkts um mindestens 10 % der Patienten wurde klar verfehlt. Es kam in der Plasmagruppe sogar häufiger zu Todesfällen (5 versus 1 Patient).
Warum die Intervention nicht zu den erwarteten Ergebnisse führte, ist für Callaway unklar. Lag es an dem Titer (der etwas niedriger war als in der argentinischen Studie) oder am späteren Zeitpunkt, oder hatten die US-Patienten eine ungünstigere Ausgangslage? Die US-Mediziner wollen trotz der negativen Ergebnisse die Idee der Plasmatherapie weiter verfolgen.
Nach Auskunft des National Heart, Lung, and Blood Institute sind derzeit weitere klinische Studien im Gange oder geplant. Dazu gehört die „Pass It On“-Studie, die derzeit an 26 US-Zentren etwa 1.000 hospitalisierte erwachsene Patienten auf eine Behandlung mit Rekonvaleszentenplasma oder Placebo randomisiert.
In der „CSSC-001“-Studie sollen etwa 500 Menschen, die Kontakt mit einem COVID-19-Patienten hatten, vorsorglich mit Rekonvaleszentenplasma oder Placebo behandelt werden. An der „CSSC-004“-Studie nehmen Patienten mit positivem PCR-Test teil, bei denen sich Symptome gezeigt haben. Erste Ergebnisse der Studien könnten noch in diesem Jahr vorliegen. © rme/aerzteblatt.de

Besser in der Placebo- als in der Verum-Gruppe?
Die hier im Deutschen Ärzteblatt referierten Behandlungsregime mit dem Plasma von Genesenen von SARS-CoV-2-Infektionen hat, wie in mehreren Studien zuvor, auch in dieser randomisierten US-Studie SARS-CoV-2/COVID-19-Patienten nicht vor einer Verschlimmerung der Erkrankung bewahren können: New England Journal of Medicine (2021; DOI: 10.1056/NEJMoa2103784).
Manchmal ist es gar nicht so schlecht, in der Placebo-Gruppe zu sein. Da hat man neben der z.T. dramatisch verlaufenden Grundkrankheit wenigstens keine zusätzlichen Neben-, Wechselwirkungen und weitere Interventionsrisiken zu tragen.
Mf+kG, Ihr Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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