Politik
Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs gefordert
Montag, 30. August 2021
Berlin – Für eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen setzten sich beim hybrid veranstalteten Fachkongress „150 Jahre §218 StGB“ am 27. und 28. August in Berlin hunderte Betroffene, Fachleute, Politikerinnen und Aktivistinnen ein.
Eine Neuregelung des Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches (StGB) müsse sich an den gesundheitlichen Belangen und der Selbstbestimmung von schwangeren Personen in ihren vielfältigen Lebensrealitäten orientieren und internationale Menschenrechtsnormen respektieren, meinten sie und forderten eine bundesweite öffentliche Auseinandersetzung mit den praktischen Folgen der Kriminalisierung für die Gesundheitsversorgung Schwangerer.
Anlass für den Fachkongress war der 150. Jahrestag des frauen- und gesundheitspolitisch sowie gesamtgesellschaftlich immer wieder heftig diskutierten Paragrafen 218, den das 1871 verkündete Reichsstrafgesetzbuch erstmals enthielt und den Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft zur Straftat erklärte.
In Vorträgen und Workshops beleuchteten die Teilnehmenden in den zwei Tagen aus medizinischer, sozialwissenschaftlicher, juristischer, historischer, psychotherapeutischer und politischer Sicht sowie aus eigener Erfahrung, welche Folgen die Kriminalisierung von Frauen, aber auch von Ärzten hat, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen beziehungsweise vornehmen lassen.
In ihrer Abschlussresolution kommen sie zu dem Fazit: „Die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs gefährdet – damals wie heute – die Gesundheit von ungewollt Schwangeren in Deutschland. Sie steht einer angemessenen Gesundheitsversorgung im Wege und verhindert die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Selbstbestimmung gebärfähiger Menschen.“
Auf Länderebene und mit Unterstützung der Bundesregierung müsse deshalb zeitnah ein konkreter Maßnahmenkatalog entwickelt werden, wie Versorgungslücken im Bereich des Schwangerschaftsabbruchs zu beheben sind.
„150 Jahre Kontroverse zeigen, dass die Debatte noch nicht vorüber ist“, sagte Juliane Seifert, Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium (BMFSFJ). Zudem sehe das Ministerium mit Sorge, dass die Zahl der Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, rückläufig sei. „Frauen brauchen einen einfachen Zugang zu Ärztinnen und Ärzten“, betonte sie. Sie sei überzeugt, dass sich keine Frau einen Schwangerschaftsabbruch leichtmache.
„Wir müssen das Misstrauen gegenüber Frauen, Ärztinnen und Ärzten sowie Beratungsstellen überwinden und aus der reinen Strafrechtsdiskussion herauskommen“, betonte Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a.D.. „Dazu brauchen wir Vertrauen zu den Menschen, dass sie verantwortungsvoll handeln. Es geht mehr als um das Selbstbestimmungsrecht der Frau, es geht um das Entscheidungsrecht in einem Gewissenskonflikt.“
Nach Ansicht von vielen Teilnehmenden ist die strafrechtliche Regelung eine der Ursachen dafür, dass in vielen Regionen Deutschlands derzeit erhebliche Versorgungslücken bestehen. „Das Strafrecht erschwert die Professionalisierung der medizinischen Aus- und Weiterbildung zum Schwangerschaftsabbruch und setzt Ärztinnen und Ärzte unter Druck“, heißt es in der verabschiedeten Resolution.
Die strafrechtliche Regelung verhindere auch die Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Dabei bewiesen Länder wie Irland, Kanada und Neuseeland, dass es möglich sei, einen gewünschten Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln.
Im historischen Rückblick zeigt die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in der DDR eine weitere Alternative für das Recht auf Zugang zum sicheren Schwangerschaftsabbruch auf. Im Zuge der Deutschen Einheit habe sich die seit 1972 in der DDR geltende Fristenregelung nicht als gesamtdeutsches Modell durchsetzen können, bedauerte die aus Ostdeutschland stammende Bundesfamilienministerin a.D., Christine Bergmann. Die Debatte bei der Wiedervereinigung habe sie wütend gemacht: Der Schwangerschaftsabbruch sei im wiedervereinigten Deutschland zwar straffrei, aber rechtswidrig und ginge so mit einer Kriminalisierung einher.
Auf internationaler Ebene werde seit Jahren gefordert, dass reproduktive Gesundheit und reproduktive Rechte respektiert und verwirklicht werden, betonten die Teilnehmenden des Kongresses. Der Ausschuss für die UN-Frauenrechtskonvention fordere Deutschland auf, die Pflichtberatung und die Wartefrist abzuschaffen und den Schwangerschaftsabbruch als Krankenkassenleistung anzuerkennen.
Auch der UN-Sozialpakt-Ausschuss habe eine umfassende Erklärung zum Menschenrecht auf reproduktive Gesundheit veröffentlicht, welche den Zugang zu sicheren und bezahlbaren Verhütungsmitteln, zu legalem und gesundem Schwangerschaftsabbruch, zur Nachsorge, aber auch zu entsprechenden Informationen und Diensten sowie notwendige Rahmenbedingungen für diverse Formen der Familienplanung umfasst.
„Es ist überfällig, dass in Deutschland, über Parteigrenzen hinweg, eine moderne, umfassende gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzes in Angriff genommen wird“, heißt es in der Resolution.
Unterzeichnet wurde diese bereits unter anderem von der Arbeiterwohlfahrt Bundesverband (AWO), dem Arbeitskreis Frauengesundheit, dem Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, Doctors for Choice Germany, Ulrike Lembke vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin, der Landesvereinigung für Gesundheit, der Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen, dem Institut für Angewandte Sexualwissenschaft der Hochschule Merseburg, dem Nationalen Netzwerk Frauen und Gesundheit, dem pro familia Bundesverband und dem Public Health Zentrum Fulda. © ER/aerzteblatt.de

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