Medizin
Spezifische Arzneitherapie für eine schwere frühkindliche Form der Epilepsie
Mittwoch, 15. September 2021
Tübingen – Ein Medikament, das eigentlich gegen Multiple Sklerose (MS) zugelassen ist, hilft auch bei einer seltenen Form der genetisch bedingten Epilepsie. Das berichtet ein Wissenschaftlerteam um Ulrike Hedrich-Klimosch, Stephan Lauxmann und Holger Lerche vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, dem Universitätsklinikum und der Universität Tübingen im Fachmagazin Science Translational Medicine (DOI: 10.1126/scitranslmed.aaz4957).
Die Arbeitsgruppe untersuchte Therapieoptionen bei einer genetisch bedingten frühkindlichen Epilepsie. Ursache ist ein Gendefekt – Mutationen im KCNA2-Gen führen zu geschädigten Kaliumkanälen im Gehirn.
Die Betroffenen leiden bereits im ersten Lebensjahr an schweren epileptischen Anfällen. Die Erkrankung geht mit starken Entwicklungsstörungen einher: Es fällt den Patienten schwer zu laufen, sie können sich schlecht konzentrieren und haben später Probleme beim Sprechen, Rechnen und Buchstabieren.
„Die Mutationen führen in manchen Unterformen der Erkrankung zu einer gesteigerten Aktivität des Kanals. In diesen Fällen wir sprechen wir von einer ‚Gain-Of-Function-Mutation‘“, erläuterte Hedrich-Klimosch.
„Eine ursachenbezogene Therapie muss in diesem Fall die gesteigerte Kanalaktivität hemmen,“ erklärte der Mit-Erstautor und Neurologe Lauxmann. Ein solcher Kanalblocker sei der Wirkstoff 4-Aminopyridin. Er hemmt spezifisch die Überaktivität der Kaliumkanäle und ist in einem Medikament enthalten, das zur Behandlung von Gangstörungen bei MS-Patienten zugelassen ist.
In Kooperationen mit acht weiteren Zentren weltweit behandelte das Team elf Patienten in individuellen Heilversuchen mit der Arznei. Bei neun von ihnen verbesserten sich die Symptome. „Die Anzahl der täglichen epileptischen Anfälle reduzierte sich oder verschwand komplett. Die Patienten waren im Alltag allgemein deutlich wacher und geistig fitter. Auch ihre Sprache verbesserte sich nach Beginn der Medikamentenbehandlung“, so Lauxmann.
Der Wirkstoff wirkt aber nicht bei allen Unterformen der Erkrankung. Bei manchen Betroffenen führt die Genmutation zu einer eingeschränkten Aktivität der Kaliumkanäle. Damit Ärztinnen und Ärzte schnell entscheiden können, ob der Wirkstoff bei einem Patienten mit neu diagnostiziertem KCNA2-Gendefekt helfen kann oder nicht, haben die Wissenschaftler eine Datenbank erstellt.
In ihr sind die verschiedenen Mutationen aus der KCNA-Genfamilie und den damit verbundenen Auswirkungen auf den Kaliumkanal aufgelistet. Auf diese Weise kann schnell mit einer Therapie begonnen und der oft schwere Krankheitsverlauf gelindert werden. © hil/aerzteblatt.de
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