Politik
Pflegemangel führte zur Schließung von tausenden High-Care-Intensivbetten
Donnerstag, 16. September 2021
Berlin – Die Zahl betreibbarer Intensivbetten, mit denen Patienten invasiv beatmet werden können, ist in den vergangenen neun Monaten von etwa 12.000 auf derzeit circa 9.000 gesunken. Der Grund dafür ist insbesondere der Mangel an Pflegefachkräften auf den Intensivstationen. Das erklärte der Wissenschaftliche Leiter des DIVI-Intensivregisters, Christian Karagiannidis, gestern auf einem Workshop des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) in Berlin. Vor diesem Hintergrund schaue er mit Sorge auf den kommenden Herbst und Winter.
„Im stationären Sektor spielt COVID-19 bei Kindern eine untergeordnete Rolle – im Unterschied zu Influenza und RSV“, sagte Karagiannidis. „Im Winter werden wir noch einmal viele COVID-19-Patienten auf den Intensivstationen sehen und zugleich viele Kinder mit einer Influenza- oder RSV-Infektion, gegen die sie keine Immunität aufbauen konnten.“
Diese Entwicklung treffe auf einen ausgesprochenen Pflegemangel, der insbesondere bei den Intensivpflegenden hoch sei. „Deshalb werden viele pädiatrische Intensivbetten nicht betreibbar sein“, sagte Karagiannidis. „Das macht mir wirklich Sorgen.“ Vor diesem Hintergrund plädierte er dafür, auch im nächsten Jahr die Maskenpflicht beizubehalten, damit sich weniger Kinder infizieren.
Zwölf Betten pro Intensivstation
Durch die Einrichtung des Intensivregisters habe man einen Überblick darüber bekommen, wie groß die Intensivstationen in Deutschland seien. „Der Median liegt bei zwölf Intensivbetten pro Station“, sagte Karagiannidis. „Das ist eine gute Nachricht, weil internationale Empfehlungen auch eine Größe von acht bis zwölf Intensivbetten vorsehen.“ Bei dieser Größe gebe es den höchsten Effizienzgrad und die höchste Versorgungsqualität.
Er erklärte, dass das Intensivregister vor kurzem erweitert worden sei. „Wir erfassen jetzt auch, ob ein Patient neu aufgenommen oder ob er verlegt wurde“, sagte der Lungenfacharzt. „Zudem haben wir die Erhebung der Altersstruktur eingeführt. Dadurch sehen wir jetzt auch, wie sehr das Durchschnittsalter durch die Delta-Variante gesunken ist.“ Ein Schwachpunkt des Registers sei allerdings, dass keine patientenindividuellen Daten erhoben werden. „Wenn wir wirklich vorankommen wollen, müssen wir auch patientenindividuelle Daten aufnehmen“, so Karagiannidis.
Von Stillfried: Echtzeitdaten weiterhin erheben
Der Vorstandsvorsitzende des Zi, Dominik von Stillfried, betonte, die Pandemie habe die Bedeutung von Echtzeitinformationen zum Infektionsgeschehen aus der Akut- und Notfallversorgung verdeutlicht, deren wissenschaftliche Auswertung Grundlage eines schnellen politischen Handelns sein könne.
„Die Pandemie hat auch die funktionalen Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Forschungsrichtungen sowie zwischen ambulanter und stationärer Versorgung betont“, sagte von Stillfried. „Eine Lehre aus der Pandemie ist: Es sollten fortlaufende bevölkerungsbezogene Erhebungen zur Krankheits- und Versorgungslage implementiert sowie aktuelle Transparenz über die Veränderung wichtiger Versorgungsindikatoren geschaffen werden.“
Echtzeitdaten könnten helfen, Legitimationslücken zwischen gesundheitspolitischem Entscheidungsbedarf und wissenschaftlicher Evidenzbasierung nach und nach zu schließen. Dies könne durch Register oder digitale Datenplattformen erreicht werden. Als Beispiele nannte er den COVID-19-Infektionssurvey des britischen Office for National Statistics, das DIVI-Intensivregister und das vom Zi geplante Berichtswesen über Daten aus der medizinischen Ersteinschätzung für Anfragen zu akuten Gesundheitsbeschwerden an die Rufnummer 116117.
aerzteblatt.de
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Als Lehre aus der Pandemie forderte der Geschäftsführende Direktor des Instituts für Community Medicine der Universität Greifswald, Wolfgang Hoffmann, ein anderes Krisenmanagement. So müsse es in einer Pandemie für die handelnden Akteure mehr Freiheiten im Kampf gegen das Virus geben. „Wir haben immer noch über Datenschutz geredet, als die Intensivstationen schon übergelaufen sind“, kritisierte Hoffmann. Zudem hätten im Bereich der Logistik mehr Menschen zum Zuge kommen müssen, die sich auch wirklich mit Logistik auskennen.
Der Vorstand des BKK Dachverbands, Franz Knieps, kritisierte auf dem Zi-Workshop die „Regulierungswut“ im deutschen Gesundheitswesen. „Die Deutschen denken immer in Missbrauchskategorien“, sagte Knieps. „Sie akzeptieren nicht, dass die positive Erfüllung einer Aufgabe immer bei 90 Prozent plus x liegt. Die Regulierungen werden aber für die übrigen Prozent gemacht. Das ist ein grundsätzlich falscher Ansatz.“
Knieps forderte: „Wir müssen überlegen, welche der Vorschriften wir tatsächlich brauchen und in welcher Tiefe wir sie brauchen. Zudem müsste alles erlaubt sein, was nicht ausdrücklich verboten ist.“ Und alles, was gemacht werde, müsse unabhängig evaluiert werden. © fos/aerzteblatt.de

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