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Ärzteschaft

Tarifverhandlungen: Marburger Bund fordert verlässliche Ruhezeiten

Mittwoch, 22. September 2021

/picture alliance, Robert Kneschke

Berlin – Vor den anstehenden Tarifverhandlungen mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitge­berverbände (VKA) wirft der Marburger Bund (MB) den Arbeitgebern vor, die im letzten Tarifvertrag mit der VKA vereinbarten Regelungen zum Bereitschaftsdienst und zur Rufbereitschaft nicht umzusetzen.

Deshalb will der MB die entsprechenden Vorgaben im kommenden Tarifvertrag klarer fassen. „Seit dem 1. Januar 2020 haben die Ärztinnen und Ärzte an den kommunalen Krankenhäusern einen Anspruch auf mindestens zwei freie Wochenenden im Monat. In dieser Zeit ist weder Bereitschaftsdienst noch Rufbe­reitschaft erlaubt“, betonte die 1. Vorsitzende des MB, Susanne Johna, gestern in Berlin. Alleine bei einer Gefährdung der Patientensicherheit dürften die Arbeitgeber von dieser Regelung abweichen.

„Leider mussten wir feststellen, dass die Arbeitgeber und wir unterschiedliche Vorstellungen von den bestehenden Ausnahmeregelungen haben“, sagte Johna. „Wir haben lernen müssen, dass unter der Gefährdung der Patientensicherheit sehr unterschiedliche Sachverhalte verstanden werden können. Deshalb müssen wir die Grenzen klarer regeln.“

Johna: Bereitschaftsdienst wird als Vollarbeit missbraucht

Bei einer Umfrage unter den MB-Mitglieder an kommunalen Kliniken gaben 40 Prozent der Befragten an, dass sie im letzten Halbjahr mehr als vier Bereitschaftsdienste im Monat leisten mussten. „Da kann man nicht mehr von Ausnahmen sprechen“, betonte Johna. „Da wird der Bereitschaftsdienst schlicht als Ersatz für Vollarbeit missbraucht.“

Denn der Bereitschaftsdienst sei günstiger als die Vollarbeit. „Um dies zu ändern, wollen wir im neuen Tarifvertrag festlegen, dass es Ausnahmen nur noch in Notfällen geben darf“, erklärte Johna. „Und Not­fälle sind im § 14 des Arbeitszeitgesetzes definiert.“

Dort heißt es, von den Vorgaben des Gesetzes dürfe nur abgewichen werden, wenn „eine verhältnis­mäßig geringe Zahl von Arbeitnehmern vorübergehend mit Arbeiten beschäftigt wird, deren Nichter­ledigung das Ergebnis der Arbeiten gefährden oder einen unverhältnismäßigen Schaden zur Folge haben würde“.

Zudem soll der Anspruch auf zwei freie Wochenenden im Monat zukünftig nicht mehr durch Anträge erwirkt werden müssen, sondern der Arbeitgeber selbst soll verpflichtet werden, gegenüber Ärztinnen und Ärzten nur an höchstens zwei Wochenenden im Kalendermonat regelmäßige Arbeit, Bereitschafts­dienst oder Rufbereitschaft anzuordnen. Solange der Arbeitgeber keinen Notfall geltend machen kann, ist die Arbeit in der Folge auf maximal zwei Wochenenden im Monat beschränkt.

Botzlar: Reguläre Arbeit wird in die Rufbereitschaft verlagert

Auch die Anordnung von Rufbereitschaften hat der MB-Umfrage zufolge zugenommen. „In unserer Befragung gaben 80 Prozent unserer Mitglieder an den kommunalen Kliniken an, dass sie in nahezu jeder Rufbereitschaft oder regelmäßig in Rufbereitschaften Arbeitsleistung erbringen“, erklärte der 2. Vorsitzende des MB, Andreas Botzlar. „Dadurch wird klar ersichtlich, dass die Kliniken die Rufbereitschaft missbrauchen.“

Arbeitszeitrechtlich gehöre die Rufbereitschaft zur Ruhezeit, so Botzlar. Sie dürfe daher nur in Ausnah­me­fällen vom Arbeitgeber angeordnet werden. „Wir erleben aber, dass die Rufbereitschaft immer mehr zur Regel wird, zum Beispiel auch in Form von Telefonaten oder Telemedizin“, sagte der Vizevorsitzende. „Die Arbeit, die regulär nicht erledigt werden kann, wird immer mehr in die Rufbereitschaft verlagert. Das steigert das Maß der Arbeitsbelastung.“

Rund 70 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte teilten in der Umfrage mit, dass sie in der Rufbe­reitschaft zu feststehenden Zeiten, zum Beispiel für Visiten an Wochenenden und Feiertagen, zur Arbeit gerufen werden. Und 47 Prozent erklärten, dass sie trotz angeordneter Rufbereitschaft im Krankenhaus bleiben und im Anschluss an die regelmäßige Arbeit direkt weiterarbeiten. „Die Arbeitgeber nutzen die Bereitschaft derer aus, die um das Wohl ihrer Patienten besorgt sind und den Laden am Laufen halten“, kritisierte Botzlar. „Die Vorgaben zur Rufbereitschaft werden heute von den Arbeitgebern weitgehend ignoriert.“

MB fordert Kernruhezeit zwischen 0 und 6 Uhr

Johna sagte: „Es gibt heute noch immer Fälle, bei denen sich Ärztinnen und Ärzte ausstempeln und danach weiterarbeiten. Unsere Seminare zum Thema Burn-out sind seit Jahren ausgebucht. Wir wissen auch, dass der Verbrauch von pharmakologischen Mitteln zur Unterstützung der Arbeitskraft bei Ärzten zunimmt und die Notwendigkeit, psychische Betreuung in Anspruch zu nehmen. Das sind alles Warnsig­nale. Deshalb müssen wir jetzt tätig werden.“

„Wir wollen erreichen, dass Ärztinnen und Ärzte, die in ihrer Ruhezeit zur Arbeit gerufen wurde, am nächsten Tag nicht auch noch dafür bestraft werden“, sagte Botzlar. „Daneben fordern wir auch für Ärztinnen und Ärzte in Rufbereitschaft eine Kernruhezeit zwischen 0:00 Uhr und 6:00 Uhr. Fallen in diese Zeit Unterbrechungen der Ruhezeit, wird die Ruhezeit verlängert. Kann ein Arzt deshalb einen geplanten Dienst nicht antreten, darf er dadurch keine Nachteile erleiden.“

Es müsse endlich anerkannt werden, dass auch die Unterbrechung der Erholung, beispielsweise durch ständige Anrufe in der Nacht, in hohem Maße belastend sei.

Johna: Grundproblem liegt in der Finanzierung

„Das Grundproblem liegt in der Finanzierung der Krankenhäuser“, sagte Johna. „70 Prozent der anfallen­den Kosten sind Personalkosten. Durch die Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus den DRGs können die Krankenhäuser bei der Pflege nicht mehr sparen, um zum Beispiel investieren zu können. Denn nach wie vor erhalten die Krankenhäuser von den Bundesländern die notwendigen Investitions­kosten nur zur Hälfte. Deshalb müssen die Häuser jetzt bei den übrigen Personalkosten sparen: und das sind vor allem die Kosten für Ärztinnen und Ärzte.“

„Wir erleben heute, dass durch den Pflegemangel Betten geschlossen werden“, so die 1. MB-Vorsitzende weiter. „Wenn nicht genügend Ärzte vorhanden sind, wird das auch im ärztlichen Bereich notwendig sein. Man kann doch, auch im Sinne der Patientensicherheit, nicht sagen: Ärzte müssen 36 Stunden arbeiten, damit keine Betten geschlossen werden müssen.“

MB fordert 5,5 Prozent Gehaltserhöhung

Botzlar ergänzte: „Entweder muss man die Zahl der Ärztinnen und Ärzte an die Zahl der Betten anpassen oder umgekehrt.“ Heute gebe es hier eine Inkongruenz.

Die erste Verhandlungsrunde zwischen dem Marburger Bund und der VKA wird am 14. Oktober in Berlin stattfinden. Der zu verhandelnde Tarifvertrag gilt für etwa 55.000 Ärztinnen und Ärzte in mehr als 500 kommunalen Krankenhäusern. Der MB fordert neben Verbesserungen bei den Bereitschaftsdiensten und Rufbereitschaften eine lineare Gehaltserhöhung von 5,5 Prozent ab 1. Oktober 2021 bei einer Laufzeit von einem Jahr. © fos/aerzteblatt.de

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