Ärzteschaft
Klimaschutz: Deutscher Ärztetag will Fakten schaffen
Dienstag, 2. November 2021
Berlin – Über das Schwerpunktthema „Klimaschutz ist Gesundheitsschutz“ haben heute 250 gewählte Abgeordnete aus allen Bundesländern auf dem 125. Deutschen Ärztetages (DÄT) in Berlin debattiert. Man wolle nun nicht mehr nur ein Zeichen setzen, sagte Peter Bobbert, Mitglied im Vorstand der Bundesärztekammer und des Marburger Bundes. „Heute können wir Fakten schaffen“, ist Bobbert überzeugt.
Mit seiner Erwartung scheint er die Hoffnung vieler anwesender Ärztinnen und Ärzte zu teilen, die sich in der Klimadebatte auf dem DÄT zu Wort gemeldet hatten, um praktische Lösungen zu fordern. Bobbert stellte aber auch klar, dass ein resilientes und klimaneutrales Gesundheitswesen Geld kosten würde, das man einfordern müsse.
„Die Zeiten von freiwilligen Selbsterklärungen sind bei diesem Thema vorbei.“ Jetzt sei es Zeit für verpflichtende Ziele, die die Ärzteschaft benennen müsse, betonte der Vorsitzende der Arbeitsgruppe, die das Schwerpunktthema für den DÄT vorbereitet hatte. Den Delegierten auf der parallel stattfindenden Klimakonferenz in Glasgow COP26 wolle man damit einen deutlichen Auftrag erteilen, tätig zu werden.
Starten sie Pilotprojekte. Sylvia Hartmann, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. (KLUG)
In seiner Rede appellierte Bobbert an alle Ärzte, dabei eine Vorbildfunktion einzunehmen: „Wir dürfen den Klimaschutz nicht nur predigen, sondern ihn auch praktizieren.“
Auch Sylvia Hartmann, Gründungsmitglied und stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (Klug), forderte die Kolleginnen und Kollegen auf, sich zu engagieren: „Starten sie Pilotprojekte.“
Pilotprojekte als Vorbild für Klimaneutralität
Inspiration dafür gebe es ausreichend. Als Beispiele nannte sie den Hausarzt Ralph Krolewski aus Gummersbach, der eine „Klimasprechstunde“ ins Leben gerufen hat, um Patienten über die Möglichkeiten, Gesundheit und Klima gleichzeitig zu schützen, aufzuklären.
Ebenfalls als Vorbild könne das Berliner Krankenhaus Havelhöhe dienen, das bis 2030 klimaneutral sein möchte. Ein Jahr nach dem Kick-Off zum „Zero-Emission-and-Climate-Justice-Hospital-until-2030-Havelhöhe“ stellt die Health-for-Future-Gruppe Havelhöhe am 12. November ihren Projektstand vor.
Die Leitanträge des Vorstandes der Bundesärztekammer fordern eine Klimaneutralität des Gesundheitswesens bis zum Jahr 2035.
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Weitere wirkungsvolle und praktikable Instrumente, um das Klima positiv zu beeinflussen, erwähnte Sabine Gabrysch, Professorin für Klimawandel und Gesundheit an der Charité Berlin und Leiterin der Forschungsabteilung Klimaresilienz am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
„Ärzteversorgungswerke könnten Milliarden für unsere Altersvorsorge in fossile Energien desinvestieren“, lautete nur einer ihrer Vorschläge, den sie als „riesigen Hebel und sozialen Kipppunkt“, einordnete, da Investoren das Risiko noch scheuen würden. In England, Kanada und Australien sei hier schon einiges passiert, während die Divestment-Debatte in Deutschland gerade erst losgehe.
Enttäuscht äußerte sich Svante Gehring von der Ärztekammer in Schleswig-Holstein, da es im Vorfeld des wegen SARS-CoV-2 vertagten DÄT nicht gelungen war, eine Bestandsaufnahme aller Klimafresser im Gesundheitswesen zu erstellen. Dies wäre seiner Meinung nach notwendig gewesen, um konkrete Maßnahmen beschließen zu können.
Der tiefgreifende gesellschaftliche Wandel kommt nicht von oben. Denn es gibt massive Interessen, die dem entgegen stehen. Sabine Gabrysch, Professorin für Klimawandel und Gesundheit an der Charité Berlin
Die Leiterin der Forschungsabteilung Klimaresilienz am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung Gabrysch ist überzeugt, dass Deutschland mit England zum Vorreiter im Gesundheitssektor werden könnte beim Thema Klimaneutralität.
Klar sei aber auch: „Der tiefgreifende gesellschaftliche Wandel kommt nicht von oben. Denn es gibt massive Interessen, die dem entgegen stehen.“ Dabei gehe es nicht um Fakten, sondern um Macht, wie man an den Erfahrungen mit der Tabakindustrie und der Regulierung des Rauchens sehen könne. „Wir haben beim Klima aber keine 30 Jahre Zeit, wie beim Rauchen“, sagte Gabrysch.
An der Dringlichkeit, dem Klimawandel auch im Gesundheitswesen entgegenzutreten ließen Bobbert, Gabrysch und Hartmann keinen Zweifel. Die junge Klug-Gründerin verwies unter anderem auf den Lancet Policy Brief von 2021. Dieser habe erneut gezeigt, dass Deutschland nur unzureichend für die gesundheitlichen Herausforderungen des Klimawandels gewappnet sei.
Laut Lancet haben nur wenige Kommunen bisher Hitzeaktionspläne umgesetzt. Die hohen CO2-Emissionen des Gesundheitssystems wurden in den vergangenen Jahren nur unwesentlich reduziert. „Der Gesundheitssektor hat seine Treibhausgasemissionen bisher nicht reduziert, sie liegen nach wie vor bei bis zu fünf Prozent“, kritisierte Hartmann heute auf dem DÄT. © gie/aerzteblatt.de

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