Medizin
COVID-19: Auch Fluoxetin könnte vor schweren Verläufen schützen
Dienstag, 16. November 2021
Palo Alto/Kalifornien – Patienten, die an US-Kliniken wegen COVID-19 in der Notfallambulanz oder stationär behandelt wurden, hatten eine höhere Überlebenschance, wenn ihnen zur Behandlung von Depressionen oder Angststörungen selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Fluoxetin oder Fluvoxamin verschrieben worden waren.
Die in JAMA Network Open (2021; DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2021.33090) publizierte retrospektive Studie bestätigt die kürzlich veröffentlichten Ergebnisse der TOGETHER-Studie – ohne eine Kausalität zu belegen.
Mangels wirksamer Virustatika wurden zu Beginn der Pandemie systematisch Medikamente, die zur Behandlung anderer Erkrankungen zugelassen sind, auf ihre mögliche Wirkung bei COVID-19 gescreent. Das SSRI Fluvoxamin hatte in diesen Studien zum „drug repurpusing“ vielversprechende Ergebnisse erzielt.
In einer ersten randomisierten Studie senkte Fluvoxamin dann bei Patienten im Frühstadium der Erkrankung das Risiko auf einen schweren Verlauf. Auch in der kürzlich veröffentlichten TOGETHER-Studie wurden Patienten durch die Behandlung mit Fluvoxamin vor einer Notaufnahme geschützt.
Die jetzt von einem Team um David Stevenson von der Stanford University School of Medicine in Palo Alto vorgestellten Ergebnisse deuten darauf hin, dass auch andere SSRI bei COVID-19 wirksam sein könnten. Die Forscher haben die Daten von 83.584 erwachsenen Patienten ausgewertet, die zwischen Januar und September 2020 wegen COVID-19 an 87 US-Kliniken entweder in der Notfallambulanz oder stationär behandelt wurden. Darunter waren 3.401 Patienten, denen aus anderen Gründen SSRI verschrieben worden waren: 470 hatten Fluoxetin und 481 Fluoxetin oder Fluvoxamin erhalten, den übrigen 2.898 war ein anderes SSRI verordnet worden.
Die Analyse ergab, dass die Patienten, die unter der Wirkung von SSRI standen, seltener an COVID-19 starben. Besonders deutlich erkennbar war dies für Fluoxetin. Nur 46 von 470 Patienten (9,8 %) starben an COVID-19 gegenüber 937 von 7.050 Patienten (13,3 %), die keine SSRI eingenommen hatten.
Stevenson errechnet ein relatives Risiko von 0,72, das mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,54 bis 0,97 signifikant war. Fluoxetin könnte demnach das Sterberisiko an COVID-19 um 28 % gesenkt haben.
Eine ähnliche Assoziation wurde für Patienten gefunden, die mit Fluoxetin oder Fluvoxamin behandelt wurden: Das relative Risiko betrug hier 0,74 (0,55-0,99). Für die Gesamtgruppe aller SSRI-Anwender war die Assoziation mit einem relativen Risiko von 0,92 (0,85-0,99) schwächer.
Fluoxetin könnte demnach wie Fluvoxamin ein wirksames Mittel im Frühstadium von COVID-19 sein. Belegen kann eine retrospektive Studie dies nicht, auch wenn die Forscher versucht haben, in einer Propensity score-Analyse nur Patienten mit gleichen Eigenschaften gegenüberzustellen. Da niemals alle Eigenschaften bekannt sind, bleiben die Ergebnisse mit Fragezeichen versehen.
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Fluvoxamin und Fluoxetin haben den Vorteil, dass sie unmittelbar zur Verfügung stehen und die Behandlungskosten gering sind. Ob sie von den Leitlinien empfohlen werden, bleibt abzuwarten. Die therapeutischen Möglichkeiten zur Behandlung von COVID-19 könnten sich zumindest für das Frühstadium in den nächsten Monaten verbessern.
Die Virustatika PF-07321332 (Paxlovid) und Molnupiravir haben in den letzten Wochen vielversprechende Ergebnisse in Phase-3-Studien erzielt. Mit Ronapreve (Casirivimab/Imdevimab) von Roche/Regeneron und Regkirona (Regdanvimab) von Celltrion stehen zudem zwei Antikörperpräparate vor der Zulassung, die Patienten mit Abwehrschwächen vor einem schweren Verlauf schützen könnten.
Alle diese Wirkstoffe dürften jedoch deutlich teurer werden als die SSRI Fluoxetin und Fluvoxamin, die als Generika zu einem geringen Preis angeboten werden. Dies könnte vor allem ärmere Länder bewegen, auf SSRI zu setzen. Die TOGETHER-Studie war nicht zufällig in Brasilien durchgeführt worden. © rme/aerzteblatt.de

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