Politik
„Latente Triage“ hat begonnen
Mittwoch, 17. November 2021
Berlin – Weil nicht geimpfte COVID-19-Patienten Intensivbetten belegen, können manche Notfallpatienten in den Hochinzidenzgebieten nicht adäquat versorgt werden. Darauf haben Ärzte heute bei einer Veranstaltung des Science Media Center hingewiesen.
„Wir haben schon heute eine weiche Triage, die zum Beispiel dann eintritt, wenn ein Herzinfarktpatient eine Stunde im Rettungswagen herumgefahren wird, der kein Krankenhaus mit einem freien Intensivbett findet“, sagte der Direktor der Klinik I für Innere Medizin am Universitätsklinikum Köln, Michael Hallek. „Das führt zu einer Verschlechterung der Versorgung. Diese Situation ist im Süden und Osten von Deutschland bereits eingetreten.“
Der Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Stefan Kluge, berichtete, dass in Krankenhäusern mit vielen COVID-19-Patienten Operationen verschoben würden, die nicht dringend notwendig seien.
„Es ist aber unglaublich schwer zu entscheiden, welche Operationen verschoben werden sollen und welche nicht“, sagte Kluge. „Und dabei geht es nicht um Hüftoperationen, sondern zum Beispiel um dringende Gefäßoperationen, bei denen ein Aneurysma platzen könnte.“
Kluge sprach von einer „latenten Triage“. Dabei könne ein Krankenhaus einen Schlaganfallpatienten nicht mehr aufnehmen oder einen Patienten mit einer akuten Leukämie. „Genau das findet schon statt“, sagte der Intensivmediziner.
80 bis 90 Prozent der Intensivpatienten sind ungeimpft
Kluge erklärte, dass 80 bis 90 Prozent der COVID-19-Patienten auf den Intensivstationen ungeimpft seien. „Wir haben zurzeit deutlich über 3.000 COVID-19-Patienten auf den deutschen Intensivstationen“, sagte er. „Die Zahl steigt jeden Tag um 80 bis 100 Patienten.“
Die Sterblichkeit liege dabei weiterhin zwischen 30 und 50 Prozent. Bei Patienten, die an ein ECMO angeschlossen werden müssen, liege die Sterblichkeit weiter bei über 50 Prozent. Das Altersspektrum der COVID-Patienten reiche dabei von 20 bis 80 Jahren.
„Oft sind wir fassungslos, wenn wir sehen, welche Patienten auf den Intensivstationen liegen“, sagte Hallek und berichtete von einem 30-jährigen ungeimpften Mann, der geglaubt habe, er könne nicht schwer erkranken, weil er jung und kräftig sei. „Desinformation kann tödlich sein“, resümierte Hallek.
0,8 Prozent der Infizierten werden intensivpflichtig
Der Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen an der Technischen Universität Berlin, Reinhard Busse, erklärte, dass heute 0,8 Prozent der mit SARS-CoV-2 Infizierten intensivpflichtig würden. „In der ersten Welle waren es sechs Prozent, später zwei bis drei Prozent“, sagte Busse. Die heutige Zahl sei nur so niedrig, weil es so viele Geimpfte gebe.
Bei einer Inzidenz von 300 COVID-19-Patienten pro 100.000 Menschen, führe eine Quote von 0,8 Prozent zu 2,5 Intensivpatienten je 100.000 Bürger. Hochgerechnet auf 80 Millionen Deutsche seien dies 2.000 Patienten, die pro Woche auf die Intensivstationen kommen. „In Salzburg gibt es derzeit eine Inzidenz von 1.000“, sagte Busse. „Man kann hochrechnen, dass es dann wirklich kritisch wird.“
Derzeit sind Busse zufolge 85 Prozent der betreibbaren Intensivbetten in deutschen Krankenhäusern belegt. Normalerweise seien es 80 Prozent. „Jeder sechste Patient, der jetzt auf einer Intensivstation liegt, ist ein COVID-19-Patient“, so Busse.
„Dabei sind SARS-CoV-2-Infizierte besondere Patienten, weil sie arbeitsaufwendiger sind und länger auf den Intensivstationen bleiben.“ Normalerweise lägen Intensivpatienten für vier Tage auf den Intensivstationen. Im Jahr 2020 lagen COVID-19-Patienten im Durchschnitt hingegen elf Tage auf der Intensivstation.
Im Normalbetrieb seien von 100 Intensivbetten 20 frei, sagte Busse. Von den anderen 80 würden jeden Tag weitere 20 durch Verlegungen frei. Es ständen also 40 Intensivbetten zur Verfügung. Je mehr COVID-19-Patienten auf einer Intensivstation lägen, desto mehr verringere sich jedoch der Turn-Over an möglichen Betten.
Auffrischimpfungen retten Leben
Kluge vom UKE erklärte, dass in diesem Herbst deutlich weniger Intensivbetten zur Verfügung ständen als im letzten Jahr. „Das Nadelöhr sind die Intensivpflegenden“, sagte er. „Bis zu 30 Prozent der Intensivbetten können wir nicht mehr betreiben, weil das Personal fehlt.“ Und auch die Bereitschaft von Ärzten und Pflegekräften von den Normalstationen, wieder auf den Intensivstationen auszuhelfen, sei gleich null.
„Die Mitarbeiter sind pandemiemüde“, sagte Kluge. „Und die Versorgung der COVID-19-Patienten auf der Intensivstation ist sehr hart.“ In der Folge sei die Krankheitsquote unter den Pflegenden hoch. Und auch eine Reduktion der Arbeitszeit und ein Berufswechsel spielten eine Rolle.
„Wir sehen zurzeit zunehmend eine Tendenz zu mehr Impfdurchbrüchen“, berichtete Kluge. „Deshalb ist es wichtig, dass jetzt alle Menschen eine Auffrischimpfung erhalten.“ Gerade bei älteren und immungeschwächten Patienten sei eine Auffrischimpfung eine Lebensversicherung. Darüber hinaus sei die Politik dringend dazu aufgefordert, Kontaktbeschränkungen zu erlassen und eine neue, intensivierte Impfkampagne zu starten. „Es wundert mich, dass die Politik so zögerlich reagiert“, betonte er.
Viele Ungeimpfte haben einen Migrationshintergrund
Dabei müssten vor allem mehr Menschen mit einem Migrationshintergrund erreicht werden. „Ein hoher Prozentsatz der Ungeimpften hat einen Migrationshintergrund“, sagte Kluge. Dabei spielten auch Sprachprobleme eine Rolle.
„Ich habe das Gefühl, dass diese Gruppe bei der Impfkampagne nicht erreicht wurde“, meinte der Intensivmediziner. Zudem gebe es unter den Ungeimpften viele Impfzauderer und Menschen, die Fehlinformationen aufgesessen seien: dass Impfungen unfruchtbar machten oder Sehstörungen hervorriefen.
„Das ist grotesk“, meinte Kluge. „Manche sagen auch, sie seien noch nicht dazu gekommen, sich impfen zu lassen. Und andere gehen nie zum Arzt.“ Nur etwa 25 Prozent der Ungeimpften habe sich bewusst gegen eine Impfung entschieden. Die werde man auch mit einer neuen Impfkampagne nicht erreichen. © fos/aerzteblatt.de

„Latente Triage“ hat begonnen
Die Ausrede mit den Sprachproblemen lasse ich auch nicht gelten. Das liegt auch in der Eigenverantwortung dieser Personen.
Nennt sich Integration, die ist nicht nur einseitig zu betrachten

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