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Ärzteschaft

„Bei der Versorgung kranker Kinder darf es keine ökonomischen Zwänge geben“

Mittwoch, 8. Dezember 2021

Mönchengladbach – Seit Jahren werden die Stimmen innerhalb der Ärzteschaft lauter, die vor einem Ka­puttsparen der stationären Kinder und Jugendmedizin warnen. Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzte­blatt () erklärt der Generalsekretär des Verbands Leitender Kinder- und Jugendärzte und Kinderchirur­gen Deutschlands (VLKKD), Wolfgang Kölfen, wo die Probleme liegen, welche Auswirkungen sie auf die Versorgung von Kindern und Jugendlichen haben und was er von der neuen Bundesregierung erwartet.

5 Fragen an Wolfgang Kölfen, VLKKD

DÄ: Herr Professor Kölfen, wie ist es um die stationäre Kinder- und Jugendmedizin bestellt?
Wolfgang Kölfen: Nicht gut. Die Zahl der Betten in den deutschen Kinderkliniken und -abteilungen hat sich in den letzten zehn Jah­ren um etwa 30 Prozent reduziert. Das ist ein enormer Abbau – insbesondere, wenn man bedenkt, dass sich die Anzahl der Patien­ten in diesem Zeitraum erhöht hat.

Gleichzeitig hat sich die Komplexität der Krankheitsbilder vergrö­ßert und die Dauer des stationären Aufenthalts deutlich verkürzt. Weiterhin ist allgemein nicht so bekannt, dass die Pädiatrie zu 70 bis 80 Prozent eine akute und somit nicht planbare Medizin ist. Das heißt: Gerade für die Pädiatrie gilt, dass eine gezielte Steue­rung der Patienten durch die Krankenhäuser nicht möglich ist.

DÄ: Weshalb wurden in den vergangenen zehn Jahren so viele Betten abgebaut?
Kölfen: Eine wichtige Ursache liegt im DRG-System, das die Kran­kenhäuser nach Fällen bezahlt, während die Vorhaltekosten einer Klinik unberücksichtigt bleiben. Für die Kinder- und Jugendmedizin ist das ein echtes Problem. Zusätzlich gibt es erhebliche Investitionsrück­stände, da die Länder in den letzten Jahren nur unzureichend in die Kliniken investiert haben.

An Kinderkliniken werden heute andere bauliche Vor­aussetzungen geknüpft als noch vor zehn oder 20 Jahren. Dies betrifft den Infektionsschutz, die Größe der Zimmer, die Ausstattung genauso wie die Wün­sche der kranken Kinder und Jugendliche, ganz zu schweigen von den Vorstellungen der Eltern.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Verweildauer der kranken Kinder im Krankenhaus, die für jede Fall­pauschale genau definiert ist. Liegt ein Patient kürzer im Krankenhaus, als die definierte Verweildauer im DRG vorsieht, rutscht der Patient in die untere Grenzverweildauer. Dadurch wird die DRG-Pauschale erheb­lich abgewertet und das Krankenhaus erhält somit weniger Geld.

Im Gegensatz zur Erwachsenenmedizin wird in der Pädiatrie die Verweildauer im Krankenhaus stark durch die Eltern der Patienten mitbestimmt. Die Eltern wollen, dass ihr Kind wieder so schnell wie mög­lich nach Hause kommt. Teilweise wird die Entlassung auch gegen den medizinischen Rat der Kinder­ärzte vollzogen. Aus diesem Grund landen viele Kinder dann in der unteren Grenzverweildauer.

Das Krankenhaus bekommt in solchen Fällen nicht die volle DRG-Pauschale von zum Beispiel 2.000 Euro für die Behandlung, sondern nur 500 Euro. Ökonomisch gesehen wird also eine Bestrafung durchgeführt, obwohl die Klinik einem Kind schnell geholfen und medizinisch gute Arbeit geleistet hat. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die in den Kinderkliniken in diese Gruppe fallen, liegt bei 12 bis 19 Prozent aller Fälle.

Nicht unerwähnt bleiben darf die Notwendigkeit einer hohen fachlichen Qualität an das eingesetzte Per­sonal. Mag eine Küchenhilfe für das Organisieren und Anreichen des Essens in der Erwachsenen­medizin ausreichen – bei einem Neugeborenen, Säugling und Kleinkind brauchen wir für diese Leistung Kinder­krankenpflegerinnen und -pfleger. Die Ernährung sowie die hygienische Versorgung eines kranken Kin­des, die etwa achtmal am Tag erfolgt, kann in keiner Weise durch eine Servicekraft erfolgen.

Die Unterfinanzierung der Kinder- und Jugendmedizin im DRG-System führt dazu, dass sich pädiatrische Abteilungen für die Geschäftsführung eines Krankenhauses vielfach nicht rechnen. Unterfinanzierte Fach­abteilungen wie die Kinder- und Jugendmedizin stehen somit immer im Fokus einer Schließung, was in den vergangenen Jahren bereits in 24 Krankenhäusern geschehen ist. Auch eine Bettenreduktion in den Kinderabteilungen ist ein übliches Mittel, um die hohen Personalkosten zu reduzieren.

DÄ: Wie hoch ist der Pflegemangel in den Pädiatrien?
Kölfen: Wir haben einen ausgeprägten Mangel an Kinderkrankenpflegerinnen und -pflegern. Schon heute können deshalb viele Betten in der Pädiatrie nicht betrieben werden. Aktuell gehen wir von 3.000 Voll­zeit­kräften aus, die uns für die Versorgung der Kinder fehlen. Das entspricht circa zwölf Prozent aller Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger.

Dieser Mangel wird sich durch die generalistische Pflegeausbildung, die in Deutschland seit 2020 läuft, noch vergrößern. Seit dem vergangenen Jahr gibt es ja nur noch eine Pflegeausbildung, in der die bisherigen Ausbildungsgänge der Kranken-, der Alten- und auch der Kinderkrankenpflege sowohl in der Theorie als auch in den praktischen Einsätzen zusammengelegt wurden. Unsere Erfahrungen zeigen jetzt schon, dass junge Menschen, die eine Ausbildung in der Kinderkrankenpflege begonnen haben, auch nur in der Kinderkrankenpflege arbeiten wollen.

Eine von uns durchgeführte Umfrage ergab, dass 97 Prozent der Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger nicht in der Erwachsenenmedizin arbeiten möchten. Diese jungen Menschen werden durch die neue Ausbildung, die genau das beinhaltet, abgeschreckt. Es werden also in den kommenden Jahren nicht nur weniger Auszubildende in den Kinderkliniken ankommen, sondern die Zahl der später Examinierten wird zurückgehen.

Denn viele Dinge, die die neuen Gesundheitspflegerinnen und -pfleger für die Arbeit in einer Kinderklinik zwingend brauchen, haben sie während ihrer Ausbildung weder gehört noch durchgeführt. Alle diese Examinierten müssen dann nach der Ausbildung erst noch nachqualifiziert werden, um in einer Kinder­klinik eingesetzt werden zu können. Diese Rahmenbedingungen führen offensichtlich dazu, dass viele ihre Ausbildung abbrechen – wie erste Berichte über eine deutlich erhöhte Abbruchquote zeigen.

Der Pflegemangel wird seit Jahren darüber hinaus noch durch die völlig überbordende Bürokratie ver­schärft. Der Qualitätssicherung im deutschen Gesundheitssystem liegt eine zutiefst misstrauische Hal­tung der Kostenträger und der Politik zugrunde, mit der die Arbeit der Ärzte und Pflegekräfte überwacht wird.

Dadurch wird allerdings das Gegenteil von dem erreicht, was man erzielen will. Denn gerade in der Pä­diatrie ist die intrinsische Motivation der Mitarbeitenden ausgesprochen hoch, den jungen Patienten und ihren Eltern helfen zu wollen. Durch die Qualitätssicherung stiehlt man ihnen Zeit für die Versor­gung und sorgt für eine zunehmende Demotivation der Beschäftigten.

DÄ: Die Politik hat in der nun auslaufenden Legislaturperiode Vieles in die Wege geleitet, um die Attrak­tivität des Pflegeberufes zu erhöhen, zum Beispiel die Ausgliederung der Pflegepersonalkosten in ein Pflegebudget oder die Einführung von Pflegepersonaluntergrenzen. Hat das die Situation in der Pädiatrie verbessert?
Kölfen: Die Ausgliederung der Kosten für die Pflege aus der DRG ist positiv zu sehen. Jetzt erhalten die Krankenhäuser nur noch Geld, wenn sie eine Pflegekraft wirklich vor Ort am Bett beschäftigen. Doch leider kommt diese Maßnahme viel zu spät. Heute könnten die Krankenhäuser zwar so viele Pflegekräfte einstellen, wie sie möchten, und bekämen diese durch die Krankenkassen sogar finanziert. Doch am Arbeitsmarkt finden sie keine Kinderkrankenpflegerinnen und -pfleger mehr. Der Markt ist komplett leergefischt.

Die zweite Reform betrifft die Pflegepersonaluntergrenzen, die auch für die Kinder- und Jugendmedizin eingeführt wurden. Grundsätzlich ist es ein richtiger Ansatz, für eine bestimmte Anzahl an Patienten auch eine entsprechende Anzahl an Pflegenden zu verlangen. Leider ist diese Regelung aber sehr schlecht umgesetzt. Denn ein bestehender Pflegemangel führt bei hohen Patientenzahlen dazu, dass Betten gesperrt werden müssen und kranke Kinder und Jugendliche nicht aufgenommen werden dürfen.

Die Pflegenden wollen kranken Kindern und Jugendlichen aber helfen. Wenn wir Patienten abweisen müssen, weil Betten wegen der Pflegepersonaluntergrenzen gesperrt sind, ist das für alle Beschäftigten einer Kinderklinik ein absoluter Motivationskiller. Noch dramatischer ist es für die Eltern eines akut kran­ken Kindes, die gezwungen werden, ein Krankenbett wohnortfern zu suchen.

Wo liegt genau das Problem? Wenn auf einer Station in der Kinderklinik an einem Tag zum Beispiel 20 Patienten liegen, braucht man fünf Kinderkrankenschwestern, um den Schlüssel von 1:4 einhalten zu können. Kommen dann zum Beispiel zehn neue Notfallpatienten innerhalb eines Tages hinzu, wie aktuell in der RSV-Welle, bräuchte man umgehend zusätzlich 2,5 Pflegende pro Schicht, also 7,5 Pflegende am Tag. Das ist natürlich nicht möglich.

Die gesetzeskonforme Lösung sieht dann Bettenschließungen vor. Die klinische Lösung könnte zu früh­zeitigen Patientenentlassungen führen oder zu einer Ignorierung der Untergrenzen. Hinzu kommt, dass das Gesetz noch Strafzahlungen für die Klinik vorsieht, die eine Patientenversorgung vor die Einhaltung des Pflegeschlüssels stellt. Das ist komplet an der Wirklichkeit in deutschen Kinderkliniken vorbeige­plant.

DÄ: Was wünschen Sie sich von der neuen Bundesregierung?
Kölfen: Es ist grundsätzlich irrational, in einem Fach, das hauptsächlich Notfälle versorgt, finanzielle An­rei­ze über Fälle zu steuern. Das muss die neue Regierung so schnell wie möglich ändern. Auch Strafzah­lungen für die Kliniken, die versuchen, die medizinische Versorgung von kranken Kindern sicherzustellen, müssen umgehend zurückgezogen werden.

Kinderkliniken haben hohe Vorhaltekosten. Diese Gelder müssen den Kinderkliniken als Grundfinan­zierung unabhängig von Fallzahlen zur Verfügung gestellt werden. Es ist wie mit der Finanzierung der Feuerwehr, die aus gutem Grund auch nicht über ihre Einsätze finanziert wird. In Deutschland wollen wir eine flächendeckende Versorgung mit Feuerwehrstationen haben, die es ermöglicht, jeden einzelnen Brand in der Republik innerhalb von kurzer Zeit zu löschen.

Dieses Löschen geschieht unabhängig von ökonomischen Zwängen. Wir brauchen in Deutschland also auch ein stabiles und flächendeckendes Netz, das den Eltern die Sicherheit gibt, dass ihr krankes Kinder zeitnah und medizinisch bestens versorgt wird. Bei der Versorgung unser kranken Kinder, unserer zukünf­tigen Leistungsträger, darf es keine ökonomischen Zwänge für die Ärzte geben. Das sollten uns unsere Kinder und Jugendlichen Wert sein. © fos/aerzteblatt.de

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