Medizin
COVID-19: Virus induzierte Lungenfibrose erklärt lange Beatmungszeiten
Mittwoch, 1. Dezember 2021
Berlin – Eine Infektion mit SARS-CoV-2 führt in den Lungen zu einer Aktivierung von Makrophagen, die offenbar für den bindegewebigen Umbau verantwortlich ist, der die Erholung vieler Patienten erschwert und für Langzeitfolgen der Erkrankung verantwortlich sein könnte. Dies zeigen die Ergebnisse der Deutschen COVID-19 OMICS Initiative (DeCOI) in Cell (2021; DOI: 10.1016/j.cell.2021.11.033).
Bei der Obduktion von Patienten, die an COVID-19 gestorben sind, wird häufig ein ungewöhnlich starker narbiger Umbau des Lungengewebes beobachtet. Oft sind die Alveolen weitgehend zerstört, das interstitielle Gewebe deutlich verdickt mit Ablagerungen von Kollagen. Die Veränderungen ähneln denen der idiopathischen Lungenfibrose, einer bisher unheilbaren Form der Lungenvernarbung.
Der Umbau des Lungengewebes könnte erklären, warum die Lungen bei COVID-19-Patienten mit ARDS („acute respiratory distress syndrome“) dauerhaft geschädigt werden und eine maschinelle Beatmung oder sogar eine ECMO-Therapie erfolglos bleiben.
Eine Gruppe von Forschern, die sich zur Deutschen COVID-19 OMICS Initiative zusammengeschlossen hat, ist jetzt möglicherweise der Ursache dieser Reaktion auf die Spur gekommen, die für Virusinfektionen ungewöhnlich ist.
Nachdem in den Gewebeproben der Verstorbenen eine vermehrte Zahl von Makrophagen beobachtet wurde, hat das Team um Leif Erik Sander von der Berliner Charité an einzelnen Makrophagen eine Transkriptomanalyse durchgeführt. Dabei wird die gesamte RNA sequenziert. Da dazu auch die Boten-RNA gehört, die die genetische Information von den Chromosomen zu den Proteinfabriken (Ribosomen) transportiert, erlaubt die Transkriptomanalyse Aussagen über die aktuellen Aktivitäten der Zelle. Es zeigte sich, dass in den Makrophagen Gene aktiviert waren, die die Bildung von Bindegewebe fördern. Diese Befunde erklären plausibel die histologischen Veränderungen.
Im nächsten Schritt konnten die Forscher in Zellkulturen zeigen, dass SARS-CoV-2 für die Umprogrammierung der Makrophagen verantwortlich ist. Dazu wurden Monozyten, die Vorläuferzellen der Makrophagen im Blut, mit SARS-CoV-2 infiziert. Die Monozyten produzierten daraufhin verstärkt Botenstoffe, die Vernarbungsprozesse einleiten können. Dieser „transkriptionale Phänotyp“ stimmte laut den Forschern in hohem Maße mit dem bei der idiopathischen Lungenfibrose überein. Grippeviren waren in den Experimenten dagegen nicht in der Lage, die Monozyten in diese Richtung zu lenken.
Die Studienergebnisse könnten auch erklären, warum sich das ARDS bei COVID-19-Patienten typischerweise erst in der 2. oder 3. Woche nach Symptombeginn entwickelt, wenn die Viruslast schon wieder sinkt. Nicht die Viren, sondern die durch sie aktivierten Makrophagen sind für die Veränderungen verantwortlich.
Anders als bei der idiopathischen Lungenfibrose, für die es bisher keine effektive Behandlung gibt, waren die Veränderungen bei einigen COVID-19-Patienten reversibel. Bei Patienten, die erfolgreich von einer ECMO-Behandlung entwöhnt werden konnten, bildeten sich die milchglasartigen Trübungen in der Computertomografie wieder zurück. Dies ist bei der idiopathischen Lungenfibrose nicht der Fall.
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Die Forscher hoffen jetzt, durch die weitere Untersuchung der Pathogenese neue Therapieansätze zu finden, die dann nicht nur COVID-19-Patienten, sondern auch Patienten mit idiopathischer Lungenfibrose helfen könnten.
Ähnliche Veränderungen hatten kürzlich US-Pathologen in Lungenbiopsien von Patienten beschrieben, die sich nicht vollständig von COVID-19 erholt hatten und weiter Veränderungen in der Computertomografie aufwiesen. Die Biopsien waren 2 bis 12 Monate nach der Erkrankung entnommen worden. Die Forscher vermuten, dass die irreparablen Schäden eine Erklärung von Long-COVID sein könnten. © rme/aerzteblatt.de

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