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Medizin

COVID-19: FDA-Berater uneins über Nutzen und Risiken von Molnupiravir

Mittwoch, 1. Dezember 2021

/golibtolibov, stock.adobe.com

Washington – Die Empfehlung der externen Gutachter der US-Arzneimittelbehörde FDA für eine Notfall­zulassung von Molnupiravir zur Behandlung von leichten bis mittelschweren Erkrankungen an COVID-19 ist mit 13 zu 10 Stimmen überraschend knapp ausgefallen.

Der Hersteller hatte wenige Tage zuvor die Daten zur Effektivität des ersten oralen Medikaments gegen SARS-CoV-2 nach unten korrigiert. Außerdem gibt es Bedenken zur Sicherheit der Patienten und zur mög­lichen Entstehung von Escape-Mutanten durch den Wirkstoff, die globale Auswirkungen haben könnten.

Der Hersteller Merck (MSD) hatte seinen Zulassungsantrag im Oktober auf der Basis einer Zwischen­auswertung der MOVe-OUT-Studie an 775 Patienten gestellt. Molnupiravir hatte danach das Risiko auf eine Hospitalisierung oder den Tod des Patienten von 14,1 % auf 7,3 % fast halbiert. Der absolute adjus­tierte Unterschied von 6,8 %-Punkten war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 2,4 bis 11,3 %-Punk­ten hoch signifikant.

Inzwischen sind die Daten von allen 1.433 Teilnehmern der Studie ausgewertet. Die Häufigkeit von Hospitalisierung und Tod ist im Molnupiravirarm mit 6,8 % in etwa gleichgeblieben. In der Placebo­gruppe ist es jedoch nur noch bei 9,7 % der Patienten zu Hospitalisierung oder Tod gekommen.

Der Unterschied zwischen beiden Gruppen ist von 50 % auf 30 % gesunken (relatives Risiko 0,70; 0,49-0,99). Der absolute Abstand beträgt nur noch 3,0 %-Punkte, war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,1 bis 5,9 %-Punkten aber weiterhin signifikant. Die neuen Daten zur Wirksamkeit hatten in den letzten Tagen in den US-Medien für Schlagzeilen gesorgt.

Hinzu kommen Bedenken zur Sicherheit. Molnupiravir hat in tierexperimentellen Studien die Knochen­bildung beeinträchtigt. Nach der vorläufigen Einschätzung der FDA kommt deshalb ein Einsatz im Wachs­tumsalter nicht in Frage. Die Grenze dürfte bei 18 Jahren liegen. Molnupiravir ist außerdem fetotoxisch. Ein Einsatz bei Schwangeren und stillenden Frauen wäre riskant. Er käme nur in Frage, wenn die Erkran­kung der Schwangeren mit COVID-19 ein größeres Risiko für das Kind bedeuten würde als die Gefahr von Fehlbildungen.

Diese Risikoabschätzung dürfte schwer fallen, da eine Behandlung mit Molnupiravir vermutlich nur in der Frühphase der Erkrankung sinnvoll ist (in der MOVe-OUT-Studie erfolgte sie innerhalb von 5 Tagen nach Symptombeginn). Zu diesem Zeitpunkt lässt sich kaum abschätzen, welche Risiken sich aus der Erkrankung für die Schwangerschaft ergeben können. Streng genommen müssten Frauen im gebär­fähigen Alter durch eine Kontrazeption sicherstellen, dass sie nicht schwanger sind. Dies ist bei einer unvorhersehbaren Infektion schwer vorstellbar.

Ein weiteres Risiko, das nicht nur die behandelten Patienten betrifft, ist die Mutagenität von Molnu­piravir. Sie ergibt sich aus dem Wirkungsmechanismus. Das orale Prodrug Molnupiravir wird nach der Umwandlung in N-hydroxycytidine (NHC) zu NHC-TP phosphoryliert. NHC-TP wird von der RNA-Polymera­se des Virus als „falscher“ Baustein akzeptiert. Aufgrund einer chemischen Besonderheit kann NHC-TP sowohl als Uracil-TP als auch als Cytosin-TP in die Virus-RNA eingebaut werden. Dies führt zwangsläufig zu Kopierfehlern (die von den Proof-Reading-Enzymen nicht erkannt werden).

Eine mögliche Folge von Kopierfehlern könnte die Entstehung von neuen Virusvarianten sein, mit denen die Patienten dann möglicherweise andere Menschen infizieren. Dies sind bisher nur theoretische Beden­ken. Die Studien haben allerdings gezeigt, dass in den ersten 2 Tagen der Behandlung noch Viren in den Abstrichen vorhanden sind.

Die Mutagenität von Molnupiravir könnte im Prinzip auch das Krebsrisiko steigern. Die Ergebnisse im Ames-Test – einem in vitro-Assay an Bakterien – waren positiv. Die FDA hält das Krebsrisiko angesichts der kurzen Behandlungszeit von 5 Tagen zwar für minimal, hat allerdings tierexperimentelle Studien in Auftrag gegeben.

Die Vielfalt der Bedenken lässt in den USA offenbar viele Experten am Nutzen von Molnupiravir zweifeln. Das Votum zugunsten einer Zulassung fiel mit 13 zu 10 Stimmen ungewöhnlich knapp aus. Die FDA ist nicht an die Empfehlung der externen Berater gebunden, folgt ihr aber in der Regel. Mit einer Entschei­dung ist eher in den nächsten Tagen denn Wochen zu rechnen.

Die europäische Arzneimittelagentur EMA hat sich bereits am 19. November für die Zulassung von Mol­nu­piravir ausgesprochen, das als Lagevrio auf den Markt kommt. Zuvor hatte bereits die britische Arznei­mittelbehörde MHRA grünes Licht gegeben. Den beiden Zulassungsbehörden standen erst die Zwischen­ergebnisse der MOVe-OUT-Studie zur Verfügung. © rme/aerzteblatt.de

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