Ärzteschaft
Autismusbehandlung: Kommission empfiehlt internationale Reform
Dienstag, 7. Dezember 2021
Frankfurt – Eine Kommission der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet hat Empfehlungen dazu formuliert, wie die Autismusbehandlung international reformiert werden sollte. Ihr Konzept ist in The Lancet erschienen (DOI: 10.1016/S0140-6736(21)01541-5).
Die Kommission fordert ein Modell, das personalisierte Therapien und Betreuungsansätze ermöglicht und das den Bedürfnissen der Betroffenen in allen Lebensphasen gerecht wird.
„Autismus ist eine heterogene, chronische Beeinträchtigung, die sich im Laufe des Lebens verändert. Menschen mit Autismus sind vielfältig und unterscheiden sich individuell in ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen. Deshalb ist es wichtig, dass wir individualisierte Behandlungsoptionen etablieren, an denen das Umfeld der Patienten aktiv beteiligt ist“, erklärte Christine Freitag, Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Frankfurt, die sich an der Arbeit beteiligt hat. Der Fokus sollte also darauf liegen, die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Familien zu verbessern.
„Individuelle Bedürfnisse und Umstände erfordern individuelle Therapieansätze, die in verschiedenen Lebensphasen variieren und kontinuierlich angepasst werden sollen“, so Freitag.
Weltweit leben rund 78 Millionen Menschen mit Autismus. Die Expertinnen und Experten der Kommission empfehlen eine Koordinierung und Forcierung auf globaler Ebene, um Behandlung und Versorgung von Menschen mit Autismus sowie die Forschung zukünftig besser aufzustellen.
Die Kommission empfiehlt zudem mehr nationale und internationale Studien, um den Rahmen für den empfohlenen Versorgungsansatz zu schaffen. Regierungen, soziale Sektoren, Gesundheitsdienstleister sowie Bildungsinstitutionen sollten dabei kooperieren. „Ziel ist es, nationale und internationale Infrastrukturen zu entwickeln, die den Betroffenen positive, lebensverändernde Unterstützung anbieten“, so Freitag.
Die Kommission schlägt vor, die Bezeichnung „tiefgreifender Autismus“ für Menschen mit Autismus zu verwenden, die nicht in der Lage sind, für sich selbst einzutreten, und die eine Rundumbetreuung benötigen. Durch die Definition soll die internationale Forschungslandschaft ermutigt werden, den Bedürfnissen dieser gefährdeten und unterversorgten Bevölkerung Priorität einzuräumen. © hil/aerzteblatt.de

DSM V
Ganz wichtig dabei die Einschlusskriterien:
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Die Symptome müssen in früher Kindheit vorhanden sein, können sich aber erst dann voll manifestieren, wenn die sozialen Anforderungen die beschränkten Fähigkeiten übersteigen, oder später im Leben durch erlernte Strategien versteckt sein.
Die Symptome führen zu klinisch bedeutsamer Beeinträchtigung im sozialen, beruflichen oder anderen aktuell wichtigen Funktionsbereichen.
Die Symptome lassen sich nicht durch intellektuelle Behinderung oder globale Entwicklungsstörung besser erklären."
Das wird zu einer deutlich geringeen Anwendung der inflationär zunehmenden Autismus-Diagnosen führen.

Alle Autisten sind tiefgreifend autistisch.
"Die Kommission schlägt vor, die Bezeichnung „tiefgreifender Autismus“ für Menschen mit Autismus zu verwenden, die nicht in der Lage sind, für sich selbst einzutreten, und die eine Rundumbetreuung benötigen. Durch die Definition soll die internationale Forschungslandschaft ermutigt werden, den Bedürfnissen dieser gefährdeten und unterversorgten Bevölkerung Priorität einzuräumen​"
Vielleicht fehlt mir mal der Zusammenhang. Aber mir gefällt dieser Absatz nicht. Es klingt, als wolle man wieder zwei Klassen von Autisten schaffen, so wie es bisher schon war: die einen bekommen Hilfe, die anderen können sehen, wo sie bleiben. Die einen bekommen Hilfe, weil sie nicht für sich selbst eintreten können und ihr Hilfebedarf offensichtlich ist, und die anderen, die sich verbal äußern können, können dann ja selbst für sich sorgen und können ignoriert werden.
Das ist viel zu kurz gegriffen und völlig falsch. Außerdem ein Schritt rückwärts zu einer Zeit, wo sich ganz zaghaft Hilfsangebote für Hochfunktionale entwickeln, die es bisher nicht gab.
Viele der Autisten, die angeblich für sich selbst eintreten können, sind suizidgefährdet, haben lebenslang Depressionen, verletzen sich selbst, entwickeln teilweise Psychosen. Nicht ohne Grund! Auch sie, die Hochfunktionalen, die Spätdiagnostizierten, könnten wahrlich endlich mal ein bisschen mehr Hilfe brauchen. Auch sie haben tiefgreifenden Autismus. Nur weil man sprechen kann, heißt das noch lange nicht, dass man gut zurecht kommt oder in der Lage ist für sich einzustehen. Ganz dringend werden autismuserfahrende Psychotherapeuten gebraucht, die auch auf die im Lauf des Lebens durch unzureichende Hilfe entwickelten Folgeerkrankungen eingehen können, die helfen, die Verletzungen und das Alleingelassenwerden in der Vergangenheit aufzuarbeiten. Das wäre wirklich dringend.

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