Medizin
Social Media Mining als Innovationstreiber für die Arzneimittelentwicklung
Mittwoch, 19. Januar 2022
Witten – Eine KI-gestützte Analyse von Social-Media-Posts kann dazu beitragen, die patientenzentrierte Arzneimittelentwicklung voranzutreiben.
Social-Media wie Facebook, Twitter und Instagram bieten eine ideale Plattform für Online-Selbsthilfegruppen sich über chronische Erkrankungen hinsichtlich Symptome, Alltagsangelegenheiten, Komorbidität und behandlungsbedingte Nebenwirkungen auszutauschen.
Die patientenzentrierte Arzneimittelentwicklung gewinnt immer mehr an Bedeutung und für einige Erkrankungen ist der medizinische Bedarf weiterhin hoch. Daher sollten Pharmaunternehmen in Zukunft vermehrt die relevantesten unerfüllten medizinischen Bedürfnisse von Patienten adressieren.
Über Social Media werden Erfahrungen in Bezug auf bestimmte Therapien sowie Tipps für Alltagsprobleme, die im Kontext ihrer Erkrankung entstehen ausgetauscht und emotionale Unterstützung gegeben. Daher geben Social-Media-Daten tiefe Einblicke in unterschiedliche Krankheitsbilder und Bedürfnisse von Patienten, die für die Arzneimittelforschung genutzt werden könnte, so die Auffassung der Studienautoren von der Universität Witten/Herdecke (UW/H) (Drug Discovery Today, 2021; DOI: 10.1016/j.drudis.2021.08.012).
So kann zum Beispiel die Größe einer Tablette empfindlichen Patienten bei der Einnahme Unbehagen bereiten, was zu Unzufriedenheit und womöglich zu einer verminderten Adhärenz beitragen kann. Solche Informationen und weitere Daten zum Beispiel hinsichtlich Nebenwirkungen bieten das Potenzial, patientenzentrierte medizinische Innovationen zu fördern, die an den alltäglichen, realen Bedürfnissen der Betroffenen angepasst werden können.
Die manuelle Auswertung solch großer Datenbestände wäre jedoch praktisch unmöglich. Daher schlagen die Wissenschaftler ein „Social Media Mining“ (SMM) mit einer automatisierten, durch künstliche Intelligenz (KI) gestützten Analysen dieser Daten vor.
KI-gestützte Analysen wären dazu in der Lage, Beschreibungen der Bedürfnisse von Patienten in den Datenmengen zu identifizieren und im Hinblick auf ihre Wichtigkeit zu priorisieren.
„Wir können in den Daten auch erkennen, wenn Arzneimittel außerhalb der bisherigen Zulassung von Patienten für bestimmte Erkrankungen eingenommen werden“ erklärt Jonathan Koß, Erstautor der Studie und Doktorand am Lehrstuhl für Management und Innovation im Gesundheitswesen der Universität UW/H.
„Daraus können dann Hypothesen für Drug Repurposing gebildet werden, also Überlegungen für die Zulassung eines bestehenden Wirkstoffs für eine bisher nicht besetzte Indikation.“
Die Studienautoren geben jedoch zu bedenken, dass chronische Krankheiten für SMM-basierte Analysen wahrscheinlich zugänglicher sind als akute Krankheiten, die nur wenig Dauerbelastungen verursachen und auf Social-Media-Plattformen nicht oft erwähnt werden. Bei der Auswertung dieser Daten sollte außerdem berücksichtigt werden, ob es Limitierungen zum Beispiel hinsichtlich Altersverteilung oder Zugang der Patienten zu den Technologien gibt. So hat beispielsweise die Bevölkerung in Entwicklungsländern häufig eingeschränkten Zugang zu Social-Media-Plattformen aufgrund von begrenzten Internetzugängen.
Krankheitsbedingte Behinderungen, wie auch Sehbehinderungen, können die Nutzung sozialer Medien ebenfalls hemmen. Außerdem bedienen sich Patienten häufig umgangssprachlichen Ausdrucksformen, die sich zum Teil erheblich von medizinischen Fachterminologien unterscheiden.
Die Autoren gehen jedoch davon aus, dass die Menge an Social-Media-Daten als auch die Anzahl der Patienten, die dort Informationen über die Krankheitsverläufe austauschen, steigen wird, so dass SMM-basierte Forschungsvorhaben in Zukunft zu einem Schlüsselfaktor für die patientenzentrierte Arzneimittelentwicklung werden könnten. © cw/aerzteblatt.de
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