Medizin
Omikron: Sotrovimab und Booster könnten trotz „Antigenshift“ wirksam bleiben
Mittwoch, 29. Dezember 2021
Seattle – Die Befürchtung, dass sich die Omikron-Variante von SARS-CoV-2 dem Immunschutz durch Impfungen oder frühere Infektionen entzieht, wird durch neue Laborstudien in Nature (2021: DOI: 10.1038/d41586-021-03825-4) bestätigt.
Eine Boosterung konnte den Verlust der neutralisierenden Wirkung jedoch abschwächen. Von den klinisch eingesetzten Antikörper-Präparaten blieb einzig Sotrovimab vor einem kompletten Wirkungsverlust verschont. Zu allem Überfluss könnte das Virus auch Mäuse infizieren und sich damit im Tierreich festsetzen.
Noch ist unklar, wie Omikron entstanden ist. Vermutlich wird man es wie zuvor bei Alpha und Delta niemals erfahren. Die Abweichungen vom ursprünglichen Wildtyp sind allerdings so groß, dass Forscher mittlerweile von einem „Antigenshift“ sprechen. Ganz korrekt ist das nicht, da ein Antigenshift als Austausch genetischer Informationen zwischen verschiedenen Virusarten oder -subtypen definiert ist. Ein dafür erforderliches Partnervirus gibt es für SARS-CoV-2 vermutlich nicht.
Der Antigenshift ist bei Grippeviren dafür verantwortlich, dass die Impfstoffe ihre Wirkung nach einer Saison verlieren können, weshalb jedes Jahr ein neuer Impfstoff hergestellt werden muss. Der Austausch von gleich 37 Aminosäuren im Spikeprotein von Omikron könnte nach den Ergebnissen von David Veesler vom Howard Hughes Medical Institute in Seattle ähnliche Auswirkungen haben.
Die Laborstudien, die Veesler zusammen mit Forschern von Humabs Biomed SA, einem Schweizer Tochterunternehmen von Vir Biotechnology aus der Schweiz durchgeführt hat, zeigen, dass wie bei der Grippe viele Impfstoffe ihre Wirksamkeit verloren haben. Die Forscher haben in Laborstudien untersucht, ob die Seren von Genesenen und von geimpften Personen sogenannte Pseudoviren - künstliche nicht zur Replikation fähige Viren – davon abhalten können, Zellkulturen zu infizieren, was als Neutralisation bezeichnet wird.
Die Seren von genesenen Patienten oder Personen, die mit Ad26.COV2.S von Johnson & Johnson (Einzeldosis), Sputnik V vom Gamaleja-Institut oder BBIBP-CorV von Sinopharm geimpft waren, erzielten in den Tests in den meisten Fällen gar keine neutralisierende Aktivität gegen Omikron.
Bei Personen, die beide Dosen mRNA-1273 von Moderna, BNT162b2 von Biontech/Pfizer oder AZD1222 von AstraZeneca erhalten hatten, war die neutralisierende Aktivität um den Faktor 39, 37 oder 21 schwächer.
Geringer war der Verlust der neutralisierenden Wirkung von geimpften Personen, die zuvor infiziert waren (Faktor 5), oder nach einer 3. Dosis eines mRNA-Impfstoffes (Faktor 4). Die Restwirkung könnte nach Einschätzung von Veesler ausreichen, um zumindest vor schweren Erkrankungen durch Omikron geschützt zu werden. Die Boosterimpfungen, die derzeit in vielen Ländern forciert werden, könnten demnach ein wirksames Instrument sein, um schwere Erkrankungen durch Omikron zu vermeiden.
Auch bei den Antikörperpräparaten gab es in den Tests viele Ausfälle. Von den 8 derzeit klinisch einsetzbaren Antikörpern verloren 7 ihre neutralisierende Wirkung komplett. Darunter waren LY-CoV555 (Bamlanivimab) und LY-C0VOI6 von Lilly, REGN10933 und REGN10987 (Casirivimab/Imdevimab) von Regeneron, COV2-2130 und COV2-2196 von Astrazeneca und CT-P59 (Regkirona) von Celltrion.
Einzige Ausnahme war Sotrovimab (Xevudy) von Vir Biotechnology, dessen neutralisierende Wirkung „nur“ um den Faktor 3 reduziert wurde. In einem Test mit dem echten Omikron-Virus war die Wirksamkeit nur um den Faktor 2 geschwächt. Bei der Kombination aus COV2-2130 plus COV2-2196 war die neutralisierende Wirkung ungefähr um den Faktor 100 vermindert.
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Die weitgehend erhaltene Wirksamkeit von Sotrovimab könnte nach Ansicht der Forscher darauf zurückzuführen sein, dass Sotrovimab als einziger Antikörper nicht die ACE2-Bindungsstelle blockiert, sondern auf ein anderes Epitop abzielt, das von vielen Sarbecoviren einschließlich dem ersten SARS-CoV geteilt wird.
Dass die Suche nach weiteren Antikörper-Präparaten nicht hoffnungslos ist, zeigten Tests an 36 noch nicht zugelassenen Antikörpern. Die Forscher fanden mehrere Antikörper, die die Rezeptorbindungsstelle erkennen und in einem Neutralisationstest eine gute Wirkung erzielten. Sie binden teilweise an Stellen, die auch in anderen Sarbecoviren vorhanden („konserviert“) sind. Die Forscher vermuten, dass Veränderungen an diesen Stellen die Stabilität oder Infektiosität des Virus gefährden. Antikörper gegen diese Stellen werden als breitbasierte Antikörper bezeichnet.
Ein weiterer eher unangenehmer Befund ist, dass Omikron anders als der Wildtyp offenbar in der Lage ist, Mäuse zu infizieren. Dies könnte dem Virus ein breites Reservoir in der Tierwelt eröffnen. Die Viren könnten sich dort weiter verändern. Diese „Ping-Pong“-Übertragung könnte die Entstehung weiterer Virusvarianten fördern. © rme/aerzteblatt.de

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