Medizin
Xenotransplantation: Mensch lebt seit 3 Tagen mit Schweineherz
Dienstag, 11. Januar 2022
Baltimore – Erneut haben US-Chirurgen die Öffentlichkeit mit dem Bericht über eine Xenotransplantation beim Menschen überrascht. Im Oktober vergangenen Jahres hatten Mediziner in New York den Kreislauf einer hirntoten Patientin vorübergehend mit der Spenderniere eines genmodifizierten Schweins verbunden. Jetzt berichten Mediziner einer Klinik in Baltimore über die Transplantation eines Schweineherzens auf einen Menschen. Informationen über die wissenschaftlichen Hintergründe sind noch spärlich.
Die University of Maryland School of Medicine on Baltimore gab gestern in einer Pressemitteilung bekannt, dass ein Team um den Herzchirurgen Bartley Griffith am vergangenen Freitag in einer 8-stündigen Operation einem 57-jährigen Patienten mit einem arrhythmiebedingten Herzversagen das Herz eines Schweins implantiert hat. Der Patient war gestern nach 3 Tagen am Leben und soll Pressemeldungen zufolge ansprechbar sein.
Laut der Pressemitteilung der Klinik war der Patient vor mehr als 6 Wochen mit lebensbedrohlichen, also ventrikulären Herzrhythmusstörungen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Er war dort an einer Herz-Lungen-Maschine angeschlossen worden und wurde über eine extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) mit Sauerstoff versorgt. Ein menschliches Spenderorgan stand laut der Klinik nicht zur Verfügung. Wegen der Herzrhythmusstörungen sei eine künstliche Herzpumpe nicht infrage gekommen, heißt es.
Bei der Transplantation kam offenbar erneut ein Organ aus dem genetischen Zuchtprogramm GalSafe der Firma Revivicor zum Einsatz, einem Tochterunternehmen von United Therapeutics aus Silver Spring / Maryland. Auch das Team um Robert Montgomery vom Langone Transplant Institute der New York Universität in Manhattan hatte im Oktober ein Organ von GalSafe-Schweinen verwendet.
Die Forscher hatten eine Niere auf dem Oberschenkel befestigt und mit dem Kreislauf einer hirntoten Frau verbunden. Die Niere hatte dann über 54 Stunden Urin produziert. Die New Yorker Mediziner berichteten im Dezember über einen zweiten offenbar erfolgreichen Versuch.
GalSafe wurde im vergangenen Jahr von der FDA als Nahrungsmittel für Menschen mit Alpha-Gal-Syndrom zugelassen. Die Betroffenen sind allergisch auf den Zucker Galactose-alpha-1,3-Galactose (GGTA1). Der Zucker ist auf den Zellmembranen vieler Säugetierarten vorhanden. Beim Menschen kommt GGTA1 nicht vor. Zur Allergie kommt es nach einem Zeckenbiss. Mit ihn gelangen geringe Mengen des GGTA1-Antigens in den menschlichen Blutkreislauf, das die Zecken bei früheren Mahlzeiten von anderen Säugetieren aufgenommen haben.
Die Zulassung erfolgte jedoch auch mit Blick auf eine Verwendung der Organe zu Xenotransplantationen. Dieselben GGTA1-Antigene, die beim Alpha-Gal-Syndrom die allergischen Beschwerden auslösen, sind für die Abstoßungsreaktionen nach Xenotransplantationen mit verantwortlich. Sie fallen wegen der größeren und beständig vorhandenen Antigenmenge ungleich heftiger aus.
Bei den GalSafe-Schweinen wurde die Produktion von GGTA1 durch ein Gen-Knockout entfernt. Für die Xenotransplantationen hat der Hersteller offenbar weitere Modifikationen durchgeführt. Nach Angaben der Klinik wurden bei den Tieren insgesamt 3 Gene entfernt, die für die schnelle antikörpervermittelte Abstoßung von Schweineorganen durch den Menschen verantwortlich sind. Außerdem wurden in das Genom 6 menschliche Gene eingefügt, die die „Immunakzeptanz“ des Schweineherzens verbessern sollen.
Schließlich wurde ein zusätzliches Gen beim Schwein ausgeschaltet, um ein übermäßiges Wachstum des Schweineherzgewebes zu verhindern. Insgesamt wurden damit 10 Gen-Editierungen beim Spenderschwein vorgenommen. Der Hersteller ist mit den Informationen sehr zurückhaltend. Auf der Webseite finden sich keine weiteren Hinweise.
Eine weitere Veränderung betrifft die Immunsuppression. Laut dem Klinikum kam ein „experimentelles Immunsuppressivum“ der Firma Kiniksa Pharmaceuticals zum Einsatz. Um welches Mittel es sich handelt, wird nicht verraten. Auch über die Firma werden keine weiteren Angaben gemacht. Eine 2015 auf den Bermudas gegründete Firma Kiniksa Pharmaceuticals vertreibt in den USA den Interleukin-1-Rezeptor Antagonisten Rilonacept, der zur Behandlung einer rezidivierenden Perikarditis zugelassen ist.
Das Transplantationsteam wurde unterstützt von dem Forscher Muhammad Mohiuddin, der 2016 über eine erfolgreiche Langzeittransplantation von Schweineherzen auf Paviane berichtet hatte. Die Organe stammten von Schweinen, bei denen das GGTA1-Gen entfernt wurde und die Gene für das humane Komplementregulationsprotein CD46 und das humane Thrombomodulin hinzugefügt worden waren. Die Paviane überlebten bis zu 945 Tage.
Sie starben, weil die Forscher die Immunsuppression reduziert hatten. Sie bestand aus einer Induktion mit Antithymozytenglobulin und einem nicht zugelassenen chimären CD20-Antikörper, gefolgt von der Erhaltungstherapie mit Mycophenolatmofetil und einer hochdosierten Gabe des CD20-Antikörpers.
Das Chirurgen-Team setzt sich über Bedenken hinweg, die eine Übertragung von porcinen Retroviren auf den Menschen befürchten. Das Erbgut von Säugetieren wurde im Verlauf der Evolution mit den Genen von Retroviren kontaminiert. Beim Schwein wurden zahlreiche Gene von porcinen Retroviren nachgewiesen.
Ob sie für den Menschen gefährlich werden können, ist nicht bekannt. Die Befürchtung geht dahin, dass sie nach der Xenotransplantation begünstigt durch die starke Immunsuppression reaktiviert werden könnten. Dies könnte im schlimmsten Fall zur Verbreitung von neuen Krankheitserregern führen. Die Klinik hat der US-Presse versichert, dass der Patient regelmäßig auf Infektionen hin untersucht wird. Einzelheiten werden auch hier nicht bekanntgegeben.
Die jetzige Transplantation ist mit Genehmigung der FDA erfolgt. Dies dürfte nicht ohne einen Schriftverkehr erfolgt sein. Unter dem „Freedom of Information Act“, das jedem Einwohner das Recht auf Zugang zu Dokumenten von staatlichen Behörden genehmigt, dürften demnächst weitere Informationen zu den GalSafe-Schweinen und den verwendeten Immunsuppressiva bekannt werden. © rme/aerzteblatt.de

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