Medizin
Antidepressiva: Studie empfiehlt weniger Verordnungen und kürzere Zeiträume
Montag, 17. Januar 2022
London – Ärzte sollten weniger Antidepressiva verschreiben und dies zudem für kürzere Zeiträume, da ihre Wirksamkeit nach wie vor ungewiss und die mit ihnen verbundenen Entzugssymptome möglicherweise schwerwiegend und lang anhaltend seien. Das schreibt eine Arbeitsgruppe um Mark Horowitz vom University College London im Drug and Therapeutics Bulletin (DOI: 10.1136/dtb.2020.000080).
Die Verschreibung von Antidepressiva, vor allem der neueren Generation von Medikamenten, ist laut den Autoren in Großbritannien stetig angestiegen. Schätzungsweise 7,8 Millionen Menschen erhielten im Zeitraum 2019 und 2020 mindestens ein Rezept. Dies entspreche der Verschreibung eines Antidepressivums für jeden 6. Erwachsenen, wobei die Verschreibungsrate bei Frauen 50 Prozent höher sei.
„Ein Großteil der Belege für die Wirksamkeit von Antidepressiva bei Erwachsenen stammt aus placebokontrollierten Studien mit einer Dauer von nur sechs bis zwölf Wochen. Die Ergebnisse erreichen nicht den Schwellenwert für einen klinisch wichtigen Unterschied“, so die Autoren.
Hinzu komme, dass die meisten Studien nicht die für die Patienten wichtigsten Ergebnisse wie soziales Funktionieren oder Lebensqualität berücksichtigten, sondern sich nur auf die Messung von Symptomen konzentrierten, schreiben sie.
Die Ergebnisse bei Teenagern und Kindern seien noch weniger überzeugend. Dennoch habe sich die Zahl der 12- bis 17-Jährigen, denen Antidepressiva verschrieben würden, zwischen 2005 und 2017 in Großbritannien mehr als verdoppelt, berichten die Autoren.
Zwar könnten Antidepressiva bei Patienten mit schweren Depressionen eine Rolle spielen, doch bei Patienten mit leichten bis mittelschweren Depressionen oder bei Patienten, deren Symptome noch nicht als Depressionen eingestuft werden, könnten die Nachteile die Vorteile überwiegen, fügen sie hinzu.
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Etwa jeder 5. Patient, der selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) einnehme, berichtet laut den Autoren über Tagesmüdigkeit, Mundtrockenheit, Schweißausbrüche oder Gewichtszunahme.
Mindestens jeder 4. Patient berichte über sexuelle Probleme und etwa jeder 10. Patient über Unruhe, Muskelkrämpfe oder -zuckungen, Übelkeit, Verstopfung, Durchfall oder Schwindelgefühl. Patienten, die versuchten, ihre Behandlung abzusetzen, litten häufig unter Entzugserscheinungen.
„Dazu gehören Angstzustände, Schlaflosigkeit, Depressionen, Unruhe und Appetitveränderungen, die das soziale und berufliche Leben beeinträchtigen können, insbesondere wenn die Behandlung abrupt beendet wird“, so die Wissenschaftler.
„Es besteht nach wie vor erhebliche Unsicherheit über den Nutzen der kurz- und langfristigen Einnahme von Antidepressiva, insbesondere im Hinblick auf das Fehlen eines klinisch signifikanten Unterschieds zwischen einer Antidepressivum- und einer Placebobehandlung. Angesichts dieses unsicheren Verhältnisses zwischen Nutzen und Schaden sollten wir die weit verbreitete – und zunehmende – Verschreibung von Antidepressiva überdenken“, so ihr Appell. © hil/aerzteblatt.de
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