Medizin
Amyotrophe Lateralsklerose: Antisense-Medikament verlangsamt Erkrankung bei Patientin
Dienstag, 15. Februar 2022
New York – US-Medizinern ist es erstmals gelungen, den Verlauf einer amyotrophen Lateralsklerose (ALS) beim Menschen durch ein Antisense-Medikament günstig zu beeinflussen. Für die Patientin kam die Behandlung zwar zu spät, die in Nature Medicine (2022: DOI: 10.1038/s41591-021-01615-z) vorgestellten Ergebnisse haben jedoch eine Phase-3-Studie veranlasst.
Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine derzeit nicht heilbare Erkrankung, die zum Untergang der Motoneuronen führt, die das Gehirn mit den Muskeln verbinden. Der Verlauf ist äußerst variabel. Einige Patienten wie der Astrophysiker Stephen Hawking leben nach der Diagnose noch mehrere Jahrzehnte, andere sterben innerhalb weniger Monate.
Dies dürfte an den vielfältigen Ursachen der Erkrankung liegen. Etwa 15 % der Fälle lassen sich heute auf Defekte in einzelnen Genen zurückführen. Besonders rasch verläuft die Erkrankung bei Mutationen im FUS-Gen („Fused in sarcoma“), die für 4 % der familiären Erkrankungen und 2 % der sporadischen Erkrankungen verantwortlich sind.
Frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass es sich um „Gain of function“-Mutationen handelt. Das Protein wird dann in zu großer Menge produziert. Solche Störungen können manchmal durch Antisense-Medikamente behandelt werden. Es handelt sich um kurze Genstränge, sogenannte Oligonukleotide, die sich in der Zelle mit der Messenger-RNA verbinden und die Umsetzung in ein Protein verhindern.
Antisense-Medikamente werden bereits zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie (Nusinersen), einer bestimmten Amyloidose (Inotersen), der familiären Chylomikronämie (Volanesorsen) und der Zytomegalie-Retinitis (Fomivirsen) eingesetzt.
Ob auch Patienten mit einer ALS, ausgelöst durch eine der etwa 50 bekannten FUS-Mutationen, in Zukunft dazu gehören werden, soll die laufende Phase-3-Studie mit geplant 64 Patienten zeigen. Die vorbereitenden Experimente hat ein Team um Neil Shneider vom Irving Medical Center in New York durchgeführt.
Die Forscher erzeugten die Erkrankung zunächst an Mäusen. Dabei stellte sich heraus, dass die Erkrankung durch Ablagerungen des FUS-Proteins ausgelöst wird, was zum Absterben der Motoneurone führt. Eine Behandlung mit ION363 des Herstellers Ionis Pharmaceuticals (der auch Nusinersen, Inotersen und Volanesorsen entwickelt hat) hat die Erkrankung bei den Mäusen verhindert.
Im Verlauf der Experimente lernte Shneider eine Patientin kennen, deren eineiige Zwillingsschwester bereits an einer ALS durch eine FUS-Mutation gestorben war. Die Patientin war ebenfalls erkrankt. Die Forscher erhielten von der Arzneimittelbehörde FDA die Genehmigung für einen Heilversuch.
Die Patientin wurde 6 Monate nach den ersten Symptomen mit ION363 in ansteigender Dosierung behandelt. Über 10 Monate erhielt sie 12 Infusionen in den Liquorraum. Der weitere Verlauf der Erkrankung konnte dadurch verlangsamt werden. Die Erkrankung war jedoch schon zu weit fortgeschritten. Die Patientin starb etwa ein Jahr nach der ersten Infusion.
Bei der Obduktion zeigte sich, dass ION363 die Motoneuronen erreicht hatte und weitere Ablagerungen des FUS-Proteins verhindert hatte. Die Forscher sind deshalb zuversichtlich, dass die Phase-3-Studie erfolgreich verlaufen wird.
An der Studie beteiligen sich 6 Zentren in den USA, 1 Zentrum in Kanada und das King's College Hospital in London. Zu den Einschlusskriterien gehört der Nachweis einer FUS-Mutation. Die Erkrankung darf noch nicht so weit fortgeschritten sein, dass eine permanente Beatmung erforderlich ist. © rme/aerzteblatt.de
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