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Vermischtes

„In wenigen Ländern Europas ist der Schwangerschafts­abbruch strenger geregelt als in Deutschland“

Mittwoch, 26. Januar 2022

Berlin – Aktuell wird wieder die Abschaffung des Paragrafen 219a, der ein Werbeverbot für Schwanger­schaftsab­brüche vorsieht, diskutiert. Ein entsprechender Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministe­ri­um liegt seit wenigen Tagen vor.

Seit langem ist der Strafrechtsparagraf umstritten, seine Neuregelung 2019 hatte Jens Spahn zum Anlass genommen, eine Studie zu den psychischen Folgen nach Schwangerschaftsabbrüchen auf den Weg zu bringen.

Die ursprüngliche Forschungsfrage wurde nach deutlicher Kritik aus Forschungskreisen angepasst und erweitert. Über die aktuell laufende Studie sprach das Deutsche Ärzteblatt (DÄ) mit Daphne Hahn, Ge­sundheitswissenschaftlerin an der Hochschule Fulda und Studienverantwortliche.

5 Fragen an Daphne Hahn, Gesundheitswissenschaftlerin an der Hochschule Fulda

DÄ: Im vergangenen Jahr haben sie das Projekt ELSA gestartet – wie ist die Studie aufgebaut, welche Ziele verfolgen Sie und was erhoffen Sie sich von den Ergebnissen, auch im Hinblick auf deren Interpre­ta­tion und daraus folgende Implikationen?
Daphne Hahn: Im Projekt ELSA „Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer. Angebote der Beratung und Versorgung“ wollen wir untersuchen, welche Faktoren das Erleben und Verar­beiten einer ungewollten Schwangerschaft beeinflussen.

Dazu werden wir Daten zur psychosozialen und medizinischen Versorgungssituation ungewollt schwan­ge­rer Frauen in Deutsch­land erheben. Es geht um das Verstehen von Unterstützungs- und Versorgungs­bedarfen, um daraus Schlussfolgerungen für die ge­sund­heitliche, wie auch psychosoziale Versorgung ziehen zu können.

Die Studie besteht aus drei Arbeitspaketen. In einem ersten Durchgang werden Frauen mit ungewollten Schwangerschaften befragt. Im zweiten Arbeitspaket wird die psychosoziale Versorgungssituation unter­sucht. Arbeitspaket drei befasst sich mit der medizinischen Versorgungssituation bei Schwangerschafts­ab­­­brüchen durch eine Strukturdatenerfassung und die standardisierte Befragung aller Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche durchführen sowie durch Interviews mit Expertinnen und Experten.

Unserer Studie wird in dieser Form und Breite erstmalig in Deutschland durchgeführt. Sie vereint quanti­ta­tive sowie qualitative Forschungsansätze (mixed method). Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass sie als Projektverbund bestehend aus sechs Hochschulen durchgeführt wird.

DÄ: Inwiefern entspricht der jetzige Studienrahmen dem, was Jens Spahn 2019 in Auftrag gegeben hat?
Hahn: Jens Spahns Entscheidung, eine Studie zu den psychischen Folgen nach Abbrüchen in Auftrag zu geben, folgten viele kritische Reaktionen. Diese beriefen sich auf den internationalen Forschungsstand, der keinen Zusammenhang zwischen psychischen Folgen aufzeigte, die ursächlich und linear einem Schwan­gerschaftsabbruch zugerechnet werden können.

Vielmehr zeigt die internationale Forschung, dass Belastungen in der Vorgeschichte von Frauen und zum Zeitpunkt der ungewollten Schwangerschaft die Belastungen, das Erleben und die Verarbeitung nach einer Geburt oder einem Abbruch am stärksten beeinflussen.

Das Bundesministerium für Gesundheit passte 2019 das Forschungsvorhaben gemäß dieser Fragestel­lun­gen und dem aktuellen Forschungsstand an. Die Ausschreibung Förderung von Forschungsvorhaben zu psychosozialer Situation und Unterstützungsbedarf von Frauen mit ungewollter Schwangerschaft“ beinhaltete nun zwei Module: das erste sah die Erforschung von Einflussfaktoren für die Entstehung, das Erleben und die Verarbeitung einer ungewollten Schwangerschaft vor“ – hier war auch die psychosoziale Unterstützung aufgenommen. Modul 2 enthält die „Untersuchung der medizinischen Versorgungssitua­tion zur Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs“.

DÄ: Wie ist die aktuelle Versorgungslage in Deutschland?
Hahn: Dem Statistischen Bundesamt müssen alle Stellen, die Abbrüche durchführen, gemeldet werden. Die Zahl dieser Meldestellen (Arztpraxen, OP-Zentren und Kliniken) ist seit 2003 um fast die Hälfte ge­sun­ken. In zahlreichen Regionen wird von Versorgungsproblemen berichtet. Dieser Rückgang wird dem­nächst noch eine Verschärfung erfahren, wenn in den kommenden Jahren die noch praktizierenden Ärzt­in­nen und Ärzte in den Ruhestand gehen und sie keine Nachfolgerinnen beziehungsweise Nachfolger finden.

Daher werden wir neben den genannten Zahlen auch Faktoren wie Strukturen, Prozesse und Kapazitäten in unsere systematische Versorgungsforschung mit einbeziehen. Der Aspekt von „best practice“, der die Grundlage unserer Forschung bildet, findet sich beispielsweise auch in der Frage von Verfügbarkeiten von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen oder der Verortung des Themas in einem medizinischen Studi­um wieder. Unser Anliegen ist es, die Faktoren zu ermitteln, die die Versorgungssituation beeinflussen.

DÄ: Schwangerschaftsabbruch als Straftatbestand – Welche Probleme schafft die nach wie vor bestehen­de Rechtslage in Deutschland?
Hahn: In wenigen Ländern Europas ist der Schwangerschaftsabbruch strenger geregelt als in Deutsch­land. Die Verortung des Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch neben Mord und Totschlag liegt in der Histo­rie Deutschlands begründet und kann sich für heute praktizierende Ärztinnen und Ärzte problematisch darstellen.

Keine andere ärztliche Leistung ist in vergleichbare strafrechtliche Richtlinien eingebettet und mit juris­tischen Sanktionen versehen. Das Ansehen von Ärztinnen und Ärzten, die Abbrüche durchführen, kann innerhalb dieses Kontextes zu gesellschaftlicher aber auch kollegialer Missbilligung führen.

So kann sich für praktizierende Medizinerinnen und Mediziner die Frage stellen, ob sie diese Leistung unter den genannten Aspekten anbieten wollen. Ähnliches gilt für ärztliche beziehungsweise gynäkolo­gische Aus- oder Weiterbildung.

Neben der Frage der theoretischen Inhalte (es gibt aktuell noch keine Leitlinien für den Schwanger­schafts­abbruch) obliegt es den Kliniken und Einrichtungen, zu entscheiden, ob und wie Schwanger­schafts­abbrüche durchgeführt werden.

DÄ: Wie bewerten Sie die durch die neue Bundesregierung angekündigte Abschaffung des Paragrafen 219a?
Hahn: Dies ermöglicht Ärztinnen und Ärzten nun, straffrei über das Anbieten von Schwangerschafts­abbrüchen und die jeweiligen Methoden zu informieren. Für die betroffenen Frauen erleichtert es den Informationszugang. Das ändert jedoch nichts an der Problematik der Frauen, generell Ärztinnen und Ärzte zu finden, die Abbrüche durchführen sowie am engen Zeitrahmen von zwölf Wochen, in dem eine Schwangerschaftskonfliktberatung verpflichtend ist. © kk/aerzteblatt.de

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