Politik
Rufe nach Klarheit bei einrichtungsbezogener Impfpflicht
Montag, 31. Januar 2022
Berlin – Offene Fragen bei der beschlossenen einrichtungsbezogenen Coronaimpfpflicht für Beschäftigte von Krankenhäusern und Pflegeheimen stoßen derzeit weiter auf Kritik bei allen Betroffenen. Unter Kommunen, Betreibern, Beschäftigten und auch den Ländern gibt es Bedenken wegen der Umsetzbarkeit.
Das von Bundestag und Bundesrat im Dezember des vergangenen Jahres beschlossene Gesetz legt fest, dass Beschäftigte in Einrichtungen mit schutzbedürftigen Menschen wie Pflegeheimen und Krankenhäusern oder auch in Arztpraxen bis zum 15. März 2022 Nachweise als Geimpfte oder Genesene vorlegen müssen.
Alternativ ist ein Attest, nicht geimpft werden zu können. Arbeitgeber müssen die Gesundheitsämter informieren, wenn Nachweise nicht vorgelegt werden. Diese können dann die Beschäftigung in der Einrichtung untersagen. Offen ist zum Beispiel die Frage, was passiert, wenn die Gesundheitsämter etwa wegen Überlastung dazu nicht in der Lage sind.
Dass die Coronaimpfpflicht nicht verschoben wird, hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Ende vergangener Woche vor Journalisten in Berlin untermauert. „Das Gesetz gilt“, hatte der Minister gesagt. Es gebe auch keinen Ermessensspielraum für die Gesundheitsämter. Richtig sei aber, dass man die Frage stellen könne, wie die Umsetzung des Gesetzes bundesweit einheitlich geregelt werden solle.
Dazu sei man in Gesprächen mit den Ländern, sagte Lauterbach. Dabei gehe es etwa darum, wie man Personalengpässe verhindern könne. „Was nicht geht, ist, dass die Impfpflicht in Pflegeheimen eines Landes gilt, ein paar Kilometer weiter aber nicht“, hatte Lauterbach zuvor der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gesagt.
Rechtssicherheit besteht nicht
Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes forderte bei der Kontrolle bereits die Einbeziehung der Ordnungsämter. „Die Gesundheitsämter sind jetzt schon überlastet, kommen bei der Kontaktnachverfolgung und den vielen Bürgeranfragen kaum hinterher“, sagte Verbandsvize Johannes Nießen der Bild am Sonntag. „Sie können nicht auch noch die Impfpflicht organisieren. Deswegen sollten die Ordnungsämter einbezogen werden.“
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek forderte eine Ansage der Bundesregierung: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) müsse „umgehend erklären, wie ab dem 16. März eine geltende Rechtslage mit ganz einfachen Regelungen und Kontrollen umgesetzt werden kann“, sagte der CSU-Politiker der Bild am Sonntag. Versorgungsengpässe in der Pflege müssten unbedingt ausgeschlossen werden.
Der Präsident des Deutschen Städtetages, Markus Lewe, hat die Bundesregierung und die Länder dazu aufgerufen, offene Fragen zur Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht sofort zu klären. „Wir halten die Einführung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht ganz klar für richtig. Sie wird aber nur Wirkung entfalten, wenn Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Behörden klar erkennen können, in welchen Fällen Ungeimpfte ihre Tätigkeit nach dem 15. März nicht mehr ausüben dürfen und welche Ausnahmen es gibt“, sagte Lewe der Rheinischen Post.
„Hier stochern im Moment alle im Nebel. Zudem müssen die Verfahren deutlich vereinfacht werden, damit die Gesundheitsämter sie überhaupt durchführen können", sagte der Oberbürgermeister der Stadt Münster. Bei der Impfpflicht für Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeheimen laufe gerade etwas mächtig schief.
„So, wie es ist, wird das Gesetz ins Leere laufen. Denn die Gesundheitsämter bekommen nun abertausende Fälle wegen nicht nachgewiesener Impfungen gemeldet, denen sie einzeln nachgehen sollen“, so Lewe. Dieses Verfahren sei sehr aufwendig, die ohnehin am Limit arbeitenden Gesundheitsämter würden zeitnah kaum Entscheidungen über Tätigkeitsverbote aussprechen können.
„Wir schlagen stattdessen vor, die Pflicht zur Impfung im Gesetz konsequent mit einem Tätigkeits- und Betretungsverbot zu versehen“, sagte Lewe. Zudem gebe es viele offene Fragen. Man wisse zum Beispiel nicht, für wen genau die Impfpflicht gelte. „Wir fordern Bund und Länder auf, umgehend Rechtsklarheit zu schaffen. Angesichts der knappen Zeit wird immer deutlicher, dass auch Übergangsfristen notwendig sein werden“, sagte Lewe.
Datenschutz macht Probleme
Die Asklepios-Kliniken haben mit Blick auf die Umsetzung datenschutzrechtliche Vorgaben kritisiert und mehr Klarheit gefordert. In einem Schreiben an Niedersachsens Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) verlangte der Vorstandsvorsitzende der Asklepios-Kliniken, Kai Hankeln, eine Klarstellung über die Güterabwägung zwischen Datenschutz und Patientenversorgung.
Aktuell drohten den Krankenhäusern laut Hankeln Bußgelder, wenn sie ungeimpfte Mitarbeiter nach Erhebung des Impfstatus zu Impfberatungsgesprächen einladen würden. Das wichtige Anliegen der Impfungen werde „von Datenschutzbedenken torpediert“, kritisierte Hankeln. Es sei bereits unklar, ob der Impfstatus von Mitarbeitern bei der Erstellung von Dienstplänen berücksichtig werden dürfe.
Krankenhausbetreiber müssten allerdings zuverlässige Dienstpläne erstellen können. „Gelingt das nicht, könnten bestimmte sensible Bereiche nicht ausreichend oder im Falle von einzelnen Diensten gar nicht besetzt sein.“ Zuerst hatte die Hannoversche Allgemeine-Zeitung berichtet. Der Brief vom 17. Januar war auch an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) adressiert.
Der Verband medizinischer Fachberufe (VMF) hatte kürzlich erklärt, dass das Thema viele Medizinische Fachangestellte (MFA) umtreibt. Zu viele Details seien dazu etwa arbeitsrechtlich noch ungeklärt. Es gebe eine „große Unsicherheit“ in den Arztpraxen, wie die Arbeitgeber nach dem 16. März mit dem Thema umgehen würden, sagte VMF-Präsidentin Hannelore König dem Deutschen Ärzteblatt.
Debattiert wird unter den MFA König zufolge auch zunehmend die Frage, wie es mit den Boosterimpfungen gegen SARS-CoV-2 weitergeht. So einige stellten sich die Frage, wie oft nun noch nachgeimpft werden müsste. „Hier sind Wissenschaft und Politik gefragt, auf die offenen Fragen Antworten zu liefern“, sagte König.
Die neue Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Claudia Moll (SPD), hatte die Gesundheitsämter zuletzt aufgefordert, vor der Verhängung eines Beschäftigungsverbots für ungeimpfte Pflegekräfte die konkrete Personallage vor Ort zu beachten.
„Klar ist, dass die Gesundheitsämter sehr genau prüfen müssen, ob es durch ein Tätigkeitsverbot von Impfunwilligen zu Personalproblemen kommt“, sagte Moll dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Das müsse immer eine Einzelfallentscheidung sein, mahnte die SPD-Politikerin.
Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, sieht bei Einführung einer allgemeinen Coronaimpfpflicht auch Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. „Erst wenn es eine allgemeine Impfpflicht gibt und Verstöße auch mit Rechtsfolgen verbunden sind, können Arbeitgeber einen Bewerber ablehnen, weil er nicht geimpft oder genesen ist“, sagte Scheele den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
„Auch wir als Bundesagentur müssen dann prüfen, ob eine fehlende Impfung zu einer Sperrzeit führt.“ Eine Sperrzeit bedeutet, dass ein Arbeitsloser für eine bestimmte Zeit kein Arbeitslosengeld bekommt.
Momentan habe der Impfstatus von Beschäftigten faktisch keine Auswirkung auf den Arbeitsmarkt, „denn es gibt gegenwärtig keine entsprechende Rechtsgrundlage“, führte Scheele aus. Mit Einführung einer allgemeinen Impfpflicht werde sich die Lage allerdings ändern.
„So wie aktuell der 3G-Status am Arbeitsplatz abgefragt werden muss, bekommen Arbeitgeber dann das Recht, den 2G-Status zu prüfen. Diese Möglichkeit gibt es gegenwärtig nicht.“
Der Bundestag hat am vergangenen Mittwoch in einer Orientierungsdebatte erstmals ausführlich über die Einführung einer allgemeinen Coronaimpfpflicht diskutiert. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat vereinbart, dass die Abgeordneten in freier Abstimmung ohne die sonst üblichen Fraktionsvorgaben beraten und entscheiden sollen. Entschieden werden könnte nach SPD-Planungen im März. © dpa/kna/may/aerzteblatt.de

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