Ärzteschaft
Experten erwarten deutliche Strukturveränderungen bis 2030
Montag, 31. Januar 2022
Münster – Auf einem Symposium der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) haben sich Experten für eine Reform des diagnosebezogenen Fallpauschalensystems (DRG) ausgesprochen.
„Im DRG-System steht nicht der kranke Mensch im Mittelpunkt, sondern die Summe seiner Fallwerte“, kritisierte die 1. Vorsitzende des Marburger Bundes (MB), Susanne Johna. „Das wollen wir nicht.“
Zudem zeige sich derzeit, dass unter den Anreizen des DRG-Systems dieselben Fehler im ärztlichen Bereich gemacht würden, die zuvor in der Pflege gemacht worden seien.
„Wir sehen, dass durch die Herausnahme der Pflegepersonalkosten aus den DRG der Druck auf den ärztlichen Bereich steigt“, sagte Johna. Denn zurzeit gebe es einen Stellenabbau im ärztlichen Bereich – weil die Krankenhäuser jetzt nicht mehr bei der Pflege sparen könnten.
Bedarfsgerechte Personalausstattung
Johna forderte, dass den Krankenhäusern künftig ihre Vorhaltekosten finanziert werden. Zudem rief sie den Bund auf, sich dauerhaft an der Finanzierung der Krankenhäuser zu beteiligen – so, wie es jetzt mit dem Sonderprogramm zur Finanzierung der Digitalisierung geschehen sei.
Gleichzeitig müsse aber auch die Krankenhausplanung aktiver werden. „Finanzierung und Planung müssen künftig zusammengedacht werden“, sagte die MB-Vorsitzende. Darüber hinaus sprach sie sich für eine patientengerechte Personalausstattung im Krankenhaus aus, die sich am Bedarf orientiere.
Norbert Roeder vom Beratungsunternehmen Roeder & Partner erwartet, dass es in der anstehenden Dekade „sehr deutliche“ Strukturveränderungen geben werde. „Der Strukturierungsdruck wird nach der Pandemie nicht geringer, sondern stärker“, sagte er.
Grund dafür seien unter anderem regionale Überkapazitäten. Roeder geht davon aus, dass Qualitätselemente die Krankenhausfinanzierung und die Leistungssteuerung stärker beeinflussen werden als bislang. „Es wird eine Zentralisierung von spezialisierten Leistungsangeboten geben“, prognostizierte er, „und damit einen Trend zu größeren Krankenhäusern.“
Boris Augurzky vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung sieht in der kommenden Dekade die Engpässe der Personalressourcen als größte Herausforderung für die Gesellschaft. Im Jahr 2025 ständen 1,26 Millionen 65-Jährige 740.000 20-Jährigen gegenüber. „Das heißt, immer weniger Menschen können mithelfen, eine Medizin und Pflege in Würde zu erbringen“, so Augurzky.
„Anders formuliert: Ein ‚Weiter so‘ bedeutet mittelfristig eine Rationierung der Versorgung mangels Fachkräften.“ Als Optionen nannte Augurzky zum Beispiel eine Stärkung der Prävention, um die Bedarfe zu reduzieren, die Nutzung neuer Technologien und eine effiziente Allokation des Personals, indem beispielsweise die Pflegenden mehr Verantwortung bekommen. Auch er geht dabei von einer Zentralisierung sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich aus.
Als Alternative zum DRG-System schlägt Augurzky die Einführung regionaler Gesundheitsbudgets vor, bei denen ausgewählte Pilotregionen ein bestimmtes Budget erhalten, mit dem sie über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren die Versorgung im stationären und ambulanten finanzieren. Es müssten Qualitätsziele gesetzt werden, ansonsten müssten die Akteure vor Ort jedoch frei gestalten können, forderte Augurzky. © fos/aerzteblatt.de

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