Ärzteschaft
Klimawandel: „Ärzte müssen klar Stellung beziehen“
Mittwoch, 2. Februar 2022
Stuttgart – Der Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg, Wolfgang Miller, hat die Akteure des Gesundheitswesens dazu aufgerufen, den Treibhausgasausstoß des Systems zu senken. „Corona ist immer noch das alles beherrschende Thema“, erklärte Miller kürzlich anlässlich des 7. Landeskongresses Gesundheit Baden-Württemberg.
„Allerdings stellen die Auswirkungen der Klimakrise auf das Gesundheitswesen ein nicht minder drängendes Problem dar.“ Denn zum einen sorge das Gesundheitssystem als eine der größten Branchen selbst für einen Teil der Emissionen.
Zum anderen seien die Auswirkungen des Klimawandels auf das Wohlergehen der Menschen bereits heute im ärztlichen Behandlungsalltag spürbar. Es sei höchste Zeit, anzupacken und beispielsweise für eine nachhaltigere Ausrichtung des Gesundheitssystems zu sorgen.
„Wenn die asiatische Tigermücke in Baden-Württemberg heimisch wird und Allergien durch invasive Arten rasant zunehmen, sind das Alarmsignale für das Gesundheitswesen“, betonte Eckart von Hirschhausen auf dem Kongress.
„Die Klimakrise ist mit Hitze, Extremwetterereignissen und neuen Infektionskrankheiten mit Abstand die größte Gesundheitsgefahr im 21. Jahrhundert – nicht nur global, sondern eben auch hier bei uns.“ Bereits 2018 habe der heiße Sommer 20.000 Hitzetote gefordert. Von Hirschhausen zufolge sei künftig fest mit weiteren Hitzewellen zu rechnen. Kommunen, Krankenhäuser und Altenheime seien auf diese neuen Herausforderungen allerdings nicht annähernd vorbereitet.
Ärzte sollten Patienten aufklären
Dass sich die Ärzteschaft mit diesem komplexen Sachverhalt an vielen Stellen beschäftige, sei richtig. Ärztinnen und Ärzte müssten zum Klimawendel klar Stellung beziehen. So könne die Ärzteschaft im Alltag wichtige Patientenaufklärung in punkto gesunde Ernährung und Mobilität leisten, was für den Gesundheits-, Umwelt- und Klimaschutz sehr förderlich sei. Zudem gehöre das Thema in die ärztliche Aus- und Weiterbildung.
„Die Klimakrise ist die größte Bedrohung des 21. Jahrhunderts“, sagte von Hirschhausen. Das Problem sei, dass für viele der Klimawandel ein rein abstraktes Problem darstelle; es fehle die Anschaulichkeit. „Wir brauchen Case Studies, die konkret aufzeigen, wo der Klimawandel die Gesundheit der Leute beeinträchtigt“, forderte von Hirschhausen.
Keine eindeutige Federführung
Ingo Bode von der Universität Kassel meinte, dass die Organisation der Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen recht fragmentiert und chaotisch sei. Zudem arbeite das Gesundheitspersonal vielerorts am Limit. Zur Bewältigung der Klimaproblematik brauche es eindeutige Federführung, klare Prozesse und territorial abgestufte Koordination aus einer Hand.
Jan-Marc Hodek von der Hochschule Ravensburg-Weingarten erklärte, dass die Politik zu wenig in die Energieeffizienz von Krankenhäusern investiere. Pro Krankenbett sei so viel Energie notwendig wie für mehrere Privathäuser, sagte er.
Kritik an medizinischer Überversorgung
Alina Herrmann vom Universitätsklinikum Heidelberg ging auf die negativen Folgen für das Klima durch die medizinische Überversorgung ein. „Die Medikamente machen beispielsweise 20 Prozent der CO2-Emissionen im Gesundheitswesen aus“, sagte Herrmann. „Es wird zu viel verschrieben, später müssen dann die ungenutzten Arzneimittel entsorgt werden. Wir sollten daher diskutieren, ob das sinnvoll ist.“
Ein großes Einsparpotenzial gebe es auch bei der modernen Diagnostik, die bei zu vielen Behandlungen eingefordert werde, so Herrmann. Den wenigsten Patienten sei dabei klar, dass eine Magnetresonanztomografie zwischen 200 und 300 Kilogramm CO2 erzeuge. Ärztinnen und Ärzte sollten die Patienten darüber besser informieren.
Partner des Landeskongresses Gesundheit in Baden-Württemberg sind neben der Landesärztekammer auch die Bezirksärztekammer Nordwürttemberg, die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg und die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft. © fos/aerzteblatt.de

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