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Vermischtes

Neue Handlungsempfehlung zur Intervention bei weiblicher Genital­verstümmelung und Früh-/Zwangs­verheiratung

Freitag, 4. Februar 2022

/artit, stock.adobe.com

Berlin – Im Rahmen des EU-Projekts Chain hat Terre des femmes neue Handlungsempfehlungen für Fachkräfte in Berlin zur „Intervention bei weiblicher Genitalverstümmelung und Früh-/Zwangsverhei­ratung“ entwickelt.

Die Mitwirkenden hoffen, dass die Broschüre, die heute in einem Webinar erstmals vorgestellt wurde, auch bundesweit Aufmerksamkeit erhält und implementiert wird. Ziel ist es, ein interdisziplinäres und koordiniertes Fallmanagement zu etablieren, um Mädchen und Frauen zu schützen.

Ärtze, Gynäkologen, Hebammen und Geburtshelfer spielen vor allem bei der Genitalverstümmelung (Fe­male Genital Mutilation/Cutting, FGM/C) eine zentrale Rolle bei der Beratung, Aufklärung und Be­hand­lung von betroffenen und bedrohten Mädchen und Frauen.

Vielerorts mangele es jedoch an Erfah­rung im Umgang mit von FGM/C betroffenen Patientinnen, sodass eine angemessene medizinische Be­handlung nicht immer gewährleistet werden könne, heißt es in der Broschüre.

Das bestätigt auch Mandy Mangler, Gynäkologin an der Klinik für Gynäkologie im Auguste-Viktoria-Klini­kum Berlin. Da man diese Situationen im Studium oder der Ausbildung eventuell nicht kennengelernt habe, müssten medizinische Fachkräfte sich diese oft selbst aneignen, sagte sie.

Warnsignale erkennen

Die Autoren der Broschüre wollen Gesundheitsversorgende ermutigen, das Thema FGM/C offen anzu­sprechen. Sie warnen aber davor, bestimmte Personen oder Personengruppen aufgrund ihrer Her­­­­­kunft oder anderen Merkmalen unter Generalverdacht zu stellen. Warnsignale für Bedrohte oder Betroffene werden in Kapitel 4 aufgelistet.

Ein Hinweis auf eine Genitalverstümmelung könnte beispielsweise sein, wenn die Eltern die ärztliche oder psychologische Versorgung ihrer Tochter verhindern wollen oder eine Frau ungewöhnlich starke Angst vor der Geburt ihres Kindes hat.

Eine Bedrohung könnte dann bestehen, wenn die Eltern sich nicht gegen FGM/C aussprechen oder die junge Frau heiraten soll und einer kulturellen Gemeinschaft ange­hört, die FGM/C praktizieren.

Zahlen und Fakten zu FGM/C

Von weiblicher Genitalverstümmelung sind laut Unicef weltweit mindestens 200 Millionen Mädchen und Frauen betroffen. Die Bundesgeschäftsführerin von Terre des femmes, Christa Stolle berichtet von rund 75.000 Betroffenen und etwa 20.000 Gefährdeten in Deutschland im Jahr 2020 (Dunkelzifferstatistik). Ausweislich einer Erhebung des Bundesfamilienministeriums sind hierzulande 67.000 Mädchen und Frauen betroffen.

Seit 2013 ist die Verstümmelung und Beschneidung weiblicher Genitalien in Deutschland ein eigener Straftatbestand. Die Verstümmelung bzw. Beschneidung weiblicher Genitalien ist eine traumatisierende Körperverletzung. Sie wird meist ab dem Säuglingsalter, in den meisten Fällen vor Beginn oder während der Pubertät vorgenommen.

Bei geringen Erfahrungswerten empfehle es sich, Kulturvermittler einzuschalten. Die Thematisierung weiblicher Genitalverstümmelung im Gespräch würde zudem leichter fallen, wenn der Patientin schon vorher vermittelt wird, dass FGM/C in der Praxis oder auf der Station nicht tabuisiert wird, beispielsweise indem Flyer, Informationsmaterialien ausgelegt oder Poster aufgehängt werden. So können sich Frauen darauf einstellen, angesprochen zu werden, heißt es in der Broschüre.

Bei Terre des femmes und der Berliner Koordinierungsstelle gegen FGM/C können Infomaterialien in mehreren Sprachen bestellt werden. Zudem gibt es die Möglichkeit sich für Fortbildungen anzumelden.

Zum internationalen Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung übermorgen fordern der Deutsche Caritasverband und seine Fachverbände IN VIA Deutschland und der Sozialdienst katholischer Frauen Gesamtverein (SkF), dass alles getan werden muss, um gegen Genitalverstümmelung vorzugehen.

Prä­ven­tive Angebote, Beratung und medizinische Unterstützung für die Mädchen und Frauen in Deutsch­land sind auszubauen. „Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) muss Genitalverstümme­lung im Asylverfahren als geschlechtsspezifischen Asylgrund anerkennen“, so die Verbände.

„Viele Frauen, die zu uns in die Beratung kommen, sprechen aufgrund der erlittenen Gewalt und Scham zunächst nicht über die Beschneidung. Es wird erst im Laufe des Gesprächs zum Thema“, so Birgit Wetter-Kürten von der Beratungsstelle „esperanza“ des SkF e.V. in Köln. „Wir informieren die betroffenen Frauen über ihre Rechte, begleiten sie und vermitteln medizinische Hilfen. Der Schutz von betroffenen Frauen und Mädchen und der Zugang zu medizinischen Hilfen gelingen nur, wenn qualifizierte Fachleute das Tabu brechen und über weibliche Genitalverstümmelung in achtsamer und kompetenter Weise mit den betroffenen Frauen ins Gespräch kommen.“

Genitalverstümmelung im Asylverfahren anerkennen

Als eine Form geschlechtsspezifischer Verfolgung muss Genitalverstümmelung im Asylverfahren besser anerkannt werden, erklärt Claire Deery, Fachanwältin für Migrationsrecht und Rechtsberaterin des Deu­tschen Caritasverbandes: „Das darf nicht nur für Frauen und Mädchen gelten, die vor einer bevorsteh­enden Beschneidung flüchten, sondern auch für bereits betroffene Frauen und ihre Kinder. Viele leiden psychisch und physisch heute noch unter den Folgen.“

Das Personal des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge müsse insgesamt für die Befragungen der Frauen besonders geschult werden. „Bei diesem weiter stark tabuisierten Thema ist ein aktives An­sprechen und sensibles Nachfragen notwendig. Denn viele der betroffenen Frauen wissen oftmals gar nicht, dass sie als besonders schutzwürdig gelten und dies in ihrem Asylverfahren eine Rolle spielt“, so Deery. © gie/aerzteblatt.de

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