Medizin
Impfskepsis gab es schon vor dem Internet, Impfskeptiker werden aber „entschlossener“
Donnerstag, 17. Februar 2022
Berlin/Konstanz – Impfskepsis ist in der Coronapandemie in aller Munde, stellt aber kein neues Phänomen dar, wie eine deutsche Studie zeigt: Während die Gruppe impfskeptischer Eltern in der Vergangenheit abnahm, stieg die Bereitschaft der verbliebenen Impfskeptiker, ihre Kinder nicht impfen zu lassen, an – und dies auch schon vor der massenhaften Nutzung des Internets. Dies geht aus einem Bericht in PLOS ONE hervor (2022; DOI: 10.1371/journal.pone.0263871).
Die beiden Studienautoren Claudia Diehl von der Universität Konstanz und Christian Hunkler von der Humboldt-Universität zu Berlin verglichen das Impfverhalten und die Impfeinstellungen von Eltern, deren Kinder bis Anfang der Nullerjahre zur Welt kamen mit dem von Eltern, deren Kinder bereits Ende der 1980er-Jahre geboren wurden.
„Die Gruppe der impfskeptischen Eltern ist [um die Jahrtausendwende] offenbar kleiner, aber auch entschlossener geworden“, berichtet Diehl. Das heißt, dass sie ihre impfskeptischen Ansichten eher in die Tat umsetzten und ihre Kinder tatsächlich nicht impfen ließen.
Daten zur MMR-Impfung aus der KiGGS-Studie
Grundlage der Analyse ist die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) des Robert-Koch-Instituts (RKI). Diehl und Hunkler fokussierten sich auf die Kinderimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR).
Als impfskeptisch galten Eltern, die – unabhängig vom tatsächlichen Impfverhalten – Vorbehalte gegen die MMR-Impfung hatten, sich also um Nebenwirkungen sorgten oder die entsprechenden Krankheiten für harmlos hielten.
Anteil impfskeptischer Eltern nahm ab
Die beiden Autoren berichten, dass über die Geburtskohorten hinweg die Impfquoten gestiegen seien, und der Anteil impfskeptischer Eltern abgenommen habe – von etwa 10 % bei Kindern, die Ende der 1980er geboren wurden, auf gut 6 % bei den um das Jahr 2000 Geborenen.
Laut KiGGS-Daten gehörten zur Gruppe der Impfskeptiker häufiger Personen mit mittlerer und hoher formeller Bildung sowie in Großstädten lebende Personen und seltener Zugewanderte und Menschen aus Ostdeutschland.
Impfskeptiker hörten noch seltener auf Expertenrat
Ein genauerer Blick auf die Daten zeigte aber auch einen gegenläufigen Trend auf – und zwar bei der kleinen und schrumpfenden Gruppe der impfskeptischen Eltern. Deren Kinder waren über die Geburtskohorten hinweg nicht häufiger, sondern im Gegenteil immer seltener geimpft worden. Im entsprechenden Zeitraum sank bei dieser Gruppe der Anteil geimpfter Kinder von rund 50 auf gut 20 %.
Bis Ende der 1980er-Jahre seien offenbar auch impfskeptische Eltern häufig den Empfehlungen der Expertinnen und Experten gefolgt und hätten ihre Kinder trotz Bedenken impfen lassen, vermutet Diehl. Dies sei bei den später geborenen Kindern seltener der Fall gewesen.
Bereits damals sei die Skepsis gegenüber der Schulmedizin und das Interesse an vermeintlichen Experten aus dem Bereich der Alternativmedizin und Homöopathie, die häufiger impfskeptisch sind, gestiegen, ergänzt die Forscherin.
Internet ist nicht schuld an Impfskepsis
„Es liegt nahe, die leichtere Verfügbarkeit impfkritischer Desinformation im Internet für diese Entwicklung verantwortlich zu machen. Aber zu unserer Überraschung hat sich gezeigt: Der beschriebene Trend begann bereits vor der massenhaften Nutzung des Internets“, berichtet Co-Autor Hunkler.
Dies bedeute keineswegs, dass das Internet heute keine Rolle bei der Erklärung impfskeptischer Haltungen spiele, aber: „Der Trend, den wir beschreiben, endet in den späten 1990er-Jahren. Erst seit diesem Zeitpunkt nutzt aber überhaupt ein nennenswerter Teil der Bevölkerung das Internet.“
Obwohl die Daten keine Aussagen über die letzten beiden Jahrzehnte erlaubten, ließen sich daraus wichtige Schlüsse für die aktuelle Situation ziehen, erklärt Diehl: „Bei der Masernimpfung hat sich gezeigt, dass schon eine kleine Gruppe von entschlossenen Impfskeptikern ausreicht, die Elimination stark ansteckender Viren trotz großer Anstrengungen zu verhindern.“ © nec/aerzteblatt.de

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