Medizin
Long COVID: Zunahme von psychischen Erkrankungen im ersten Jahr
Donnerstag, 17. Februar 2022
St. Louis/Missouri – Zu den Spätfolgen der Coronapandemie könnten vermehrte psychische Erkrankungen in der Bevölkerung gehören.
Eine Studie der US-Veteranenbehörde im Britischen Ärzteblatt (BMJ, 2022; DOI: 10.1136/bmj-2021-068993) weist auf eine Zunahme von Angstzuständen, Depressionen, Stresserkrankungen, Schlafstörungen und kognitiven Störungen hin. Auch die Zahl der Menschen mit Opiat-, Alkohol- und Drogenproblemen hat zugenommen.
Viele Patienten erholen sich nur langsam von einer Infektion mit SARS-CoV-2. Zu den häufigen Long- COVID-Symptomen gehören Müdigkeit, Abgeschlagenheit und häufig auch kognitive Störungen wie eine vermehrte Vergesslichkeit, Verwirrung, Konzentrationsschwächen und andere Beeinträchtigungen, die allgemein als „brain fog“ bezeichnet werden und die Rückkehr ins normale Alltags- und Berufsleben erschweren können. Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie dürften viele Rekonvaleszenten zusätzlich psychisch belasten. Dies git vor allem für Länder ohne soziale Absicherungen wie die USA.
Die Auswirkungen zeigen sich jetzt in einer Analyse der US-Veteranenbehörde, über die US-Soldaten auch nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst krankenversichert sind. Ein Team um Ziyad Al-Aly von der Washington University in St. Louis/Missouri hat untersucht, ob es im 1. Jahr nach einem positiven PCR-Test oder nach einer Hospitalisierung wegen COVID-19 zu einem Anstieg von psychischen Erkrankungen gekommen ist. Als Vergleichsgruppe dienten einmal Veteranen, die sich nicht mit SARS-CoV-2 infiziert hatten und zum 2. eine historische Vergleichsgruppe aus der Zeit vor der Pandemie. Al-Aly analysierte auch die Auswirkungen früherer Grippeepidemien.
Im Vergleich zur Kontrollgruppe aus der Pandemiezeit waren Menschen, die sich mit SARS-CoV-2 infiziert hatten, zu 35 % häufiger wegen Angststörungen (Hazard Ratio HR 1,35; 95-%-Konfidenzintervall 1,30-1,39) und zu fast 40 % häufiger wegen Depressionen (HR 1,39; 1,34-1,43) oder stressbedingter Störungen (HR 1,38; 1,34-1,43) in Behandlung. Entsprechend war auch die Zahl der Verordnungen von Antidepressiva (HR 1,55; 1,50-1,60) und Benzodiazepinen (HR 1,65; 1,58-1,72) gestiegen.
Vor dem Hintergrund der Opioidkrise ist beunruhigend, dass es nach der COVID-19-Erkrankung zu einem Anstieg der Opioidverschreibungen (HR 1,76; 1,71-1,81) und häufiger zum Opioidmissbrauch (HR 1,34; 1,21-1,48) gekommen ist. Der Missbrauch anderer Drogen nahm ebenfalls zu (HR 1,20; 1,15-1,26), ebenso Alkoholabhängigkeiten (HR 1,29; 1,22-1,35), wobei jeweils nur die ärztlich diagnostizierten Fälle erfasst wurden. Al-Aly konnte auch einen Anstieg von kognitiven Erkrankungen (HR 1,80; 1,72-1,89) und Schlafstörungen (HR 1,41; 1,38-1,45) nachweisen.
Für alle psychischen Erkrankungen zusammen ermittelt der Epidemiologe eine Hazard Ratio von 1,60 (1,55-1,66). Auf 1.000 Veteranen kamen 64,38 (58,90-70,01), die infolge von COVID-19 zusätzlich wegen psychischer Störungen behandelt wurden oder Medikamente verordnet bekamen. Der Vergleich mit der Zeit vor Corona führte zu ähnlichen Resultaten. Die psychischen Störungen traten deutlich häufiger auf als bei Patienten, die sich in früheren Jahren von einer schweren Grippe erholten.
Am stärksten waren Patienten betroffen, die wegen COVID-19 im Krankenhaus behandelt wurden. War die Zahl der mentalen Diagnosen bei leichten Erkrankungen nur um 50 % angestiegen (HR 1,50; 1,45-1,55), so litten Patienten, die wegen einer schweren Erkrankung im Krankenhaus behandelt werden mussten, fast 4-fach häufiger unter psychischen Störungen, einschließlich der Verschreibung von Medikamenten (HR 3,85; 3,47-4,27). Die absolute Risikodifferenz betrug 265,84 auf 1.000 Veteranen. Dies bedeutet, dass jeder 4. Veteran im 1. Jahr nach der Entlassung aus der Klinik zusätzlich unter psychischen Problemen litt.
Al-Aly vermutet aufgrund der Ergebnisse, dass es in den USA im 1. Jahr der Pandemie zu 2,8 Millionen zusätzlichen psychischen Erkrankungen gekommen ist. Gezählt seien dabei noch nicht einmal die vielen Menschen, die im Stillen leiden und sich nicht an einen Arzt wenden. © rme/aerzteblatt.de

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