Ärzteschaft
Ärger um Kassenaussagen zu Impfnebenwirkungen
Donnerstag, 24. Februar 2022
Berlin/Langen – Um mögliche Nebenwirkungen von Impfstoffen noch besser zu analysieren, sollen die offiziellen Impfquoten in einer Studie mit Daten der Krankenkassen verknüpft werden. Sie solle zeitnah starten, teilte das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen mit.
Die Krankenkasse BBK Provita will nach einer Analyse von Versichertendaten auf erheblich höhere Zahlen bei Nebenwirkungen der Corona-Impfstoffe gekommen sein.
„Unsere Analyse zeigt, dass wir es hier mit einer deutlichen Untererfassung zu tun haben“ sagte BKK-Vorstand Andreas Schöfbeck der Welt. Die offiziellen Zahlen zu den unerwünschten Impfnebenwirkungen müssten „dringend plausibilisiert werden“.
In einem Schreiben an PEI-Präsident Paul Cichutek nennt Schöfbeck der Zeitung zufolge die Auswertung ein „erhebliches Alarmsignal, das unbedingt beim weiteren Einsatz der Impfstoffe berücksichtigt werden muss“.
Dem PEI liegt der Brief nach eigenen Angaben seit Dienstag vor. Man könne die Daten nicht beurteilen, „da das Institut bislang keinen Zugang zu den Originaldaten hat und ihm außerdem keine Informationen zur Auswertungsmethode vorliegen“. Die Angaben im Schreiben seien „allgemein und unspezifisch“.
So werde nicht angegeben, wie viele Fälle sich auf leichte und wie viele auf – meldepflichtige – schwerwiegende Reaktionen beziehen. Generell seien Abrechnungsdaten nicht mit Nebenwirkungen gleichzusetzen. „Darüber hinaus ist aus dem Schreiben nicht zu entnehmen, ob tatsächlich ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung festgestellt worden ist.“
Man sei hellhörig geworden, als im Fallmanagement der BKK Provita immer häufiger Diagnosen aufgetreten seien, die auf Impfnebenwirkungen schließen ließen, berichtete die Kasse. Daraufhin habe man die Datenpools aller BKK-Kassen ausgewertet und alle für Impfnebenwirkungen vorgesehenen Diagnosecodierungen herausgefiltert.
Der BKK Dachverband teilte allerdings per Twitter mit, „dass die Daten nicht wie gemeldet vom BKK Dachverband stammen“. „Um unnötige Verunsicherungen zu vermeiden, ist es wichtig, dass Aussagen grundsätzlich auf der Basis valider Daten gemacht werden. Dies gilt nicht nur aber insbesondere bei Themen, die so emotional geladen und sensibel sind, wie die Impfungen gegen das Coronavirus“, teilte der Verband mit.
Daher unterstütze der BKK Dachverband „ausdrücklich das Vorhaben des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), im Rahmen einer Studie die Diagnoseangaben aus den ärztlichen Abrechnungsdaten, die den Krankenkassen vorliegen, auszuwerten und mit den Impfdaten des Digitalen Impfquoten-Monitors zu verbinden“. Ziel müsse es sein, einen differenzierten Blick auf Impfreaktionen beziehungsweise Impfnebenwirkungen und ihre Schweregrade zu erhalten und somit die Diskussion zu versachlichen.
Die BKK Provita behauptet in einer Analyse, die der Welt vorlag, alleine in den ersten sieben Monaten des Jahres 2021 seien 216.695 BKK-Versicherte wegen Nebenwirkungen durch Impfstoffe behandelt worden. Die Daten bezögen sich auf 10,9 Millionen Versicherte.
Zum Vergleich: Bis Ende 2021 verzeichnete das PEI auf Basis von 61,4 Millionen Geimpften lediglich 244.576 Nebenwirkungsmeldungen. Zur Art und Schwere der Beschwerden könne man nichts sagen: „Klar ist nur: Es ist den Leuten so schlecht gegangen, dass sie zum Arzt gegangen sind“, hieß es.
Der Bundesvorsitzende des Verbandes der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte (Virchowbund) erklärte heute, die BKK Provita vermische in ihrer Analyse zwei völlig unterschiedliche Bereiche: die ärztliche Diagnosecodierung mit ICD-Codes und die Meldung an das PEI.
„Der ICD-Code U12.9, der zur Dokumentation empfohlen ist, soll etwa bei ,Unerwünschten Nebenwirkungen bei der Anwendung von COVID-19-Impfstoffen, nicht näher bezeichnet' angegeben werden“, betonte der Chef des Virchowbunds, Dirk Heinrich.
„Unerwünscht“ und „nicht näher bezeichnet“ umfasse jedoch die gesamte Bandbreite der erwartbaren, milden und vorübergehenden Folgen einer Impfung, wie etwa eine leichte Schwellung an der Einstichstelle oder erhöhte Temperatur durch die Immunantwort.
Von einer „Gefahr für das Leben von Menschen“, wie die Kasse sich ausdrückt, könne dabei also keine Rede sein, so Heinrich. Die ICD-Codes dienten auch vor allem dem Zweck der Abrechnung ärztlicher Leistungen. Handelt es sich dagegen um einen Verdacht auf „über das übliche Maß hinausgehende“ Nebenwirkungen, sind Ärzte verpflichtet, diese an das PEI zu melden.
„Das ist ein eklatanter Unterschied, den die Kasse hier unter den Tisch fallen lässt. Genauso wie man die Zahl der Verdachtsfälle nicht einfach mit der Zahl der bestätigten Nebenwirkungen gleichsetzen kann“, so Heinrich weiter. „Dazu kommt, dass bei der ‚Auswertung‘ eine ganze Reihe von ICD-Codes in einen Topf geworfen werden, nach dem Motto: Je mehr, desto besser.“
„Diese undifferenzierte Schwurbelei passt aber ganz offensichtlich in das Markenimage der Kasse, die mit Homöopathie und Osteopathie als Satzungsleistungen wirbt und sich selbst als ,veggiefreundlichste Krankenkasse‘ tituliert. Offenbar will man vor allem Werbung in der impfkritischen Klientel machen.“
Leif Erik Sander von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité Berlin wies via Twitter darauf hin, dass Impfreaktionen, als physiologische Reaktionen des Immunsystems, unangenehm sein könnten.
Diese seien bei der COVID19-Impfung gelegentlich stärker ausgeprägt und träten häufiger auf als bei einigen anderen Impfungen, twitterte er. „Das ist sehr gut bekannt. Impfkomplikationen sind hingegen sehr selten.“ Zur Begrifflichkeit „Impfreaktion“ (nicht meldepflichtig), „Impfkomplikation“ (meldepflichtig) könne man sich beim RKI informieren. © dpa/may/aerzteblatt.de

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