Medizin
Auswirkungen von Long COVID als Schwerpunktthema
Freitag, 4. März 2022
Köln – Im medizinisch-wissenschaftlichen Teil des Deutschen Ärzteblattes (DÄ) informieren 3 Beiträge und ein begleitendes Editorial über die Auswirkungen von Long COVID. Sie gehören zur Schwerpunktausgabe in Heft 10, in der neben diesen wissenschaftlichen Arbeiten auch journalistische Artikel zum Thema erscheinen.
Über persistierende Symptome nach COVID-19 berichten Christian Förster und Co-Autoren in ihrer Originalarbeit. In einer bevölkerungsbasierten Kohorte haben sie Daten zur Prävalenz und zu Risikofaktoren erhoben.
Hintergrund für diese Untersuchung ist die Beobachtung, dass nach Genesung einer Erkrankung mit COVID-19 viele Betroffene über Langzeitfolgen klagen. Die Ergebnisse bisheriger epidemiologischer Studien zu dieser Beobachtung variieren sehr. Das Autorenteam hat in 3 Landkreisen Symptome und klinische Merkmale nach COVID-19 mit dem Schwerpunkt auf Symptomen nach 12 Wochen anhand eines Fragebogens erhoben. Sie konnten die Daten von rund 1.450 Patienten auswerten.
Die Prävalenz von Post COVID-19 betrug 72,6 % bei hospitalisierten und 46,2 % bei nichthospitalisierten Patienten. Die häufigsten Langzeitsymptome waren Müdigkeit, körperliche Erschöpfung, Konzentrationsstörungen, Geschmacks- und Geruchsverlust. Die Patienten mit Post COVID-19 empfanden ihre Lebensqualität als deutlich erniedrigt.
Als stärkste Risikofaktoren für Post COVID-19 erwiesen sich weibliches Geschlecht, Gesamtmaß von Begleiterkrankungen und Schweregrad der Akutphase von COVID-19. Auch nichthospitalisierte Patienten, so die Forscherinnen und Forscher, leiden nach COVID-19 häufig unter fortbestehenden Symptomen. Die Heterogenität der Symptome erfordert ihrer Ansicht nach einen multidisziplinären, gestuften Versorgungsansatz. Dabei sei die Identifizierung von Risikopatienten entscheidend.
Eine weitere Arbeit zur Prävalenz persistierender Symptome nach COVID-19 wird von Korbinian Lackermair und Co-Autoren vorgestellt. Dieses Autorenteam führte eine Querschnittsstudie mit 896 ausschließlich ambulant behandelten Patientinnen und Patienten durch.
Neben der Ermittlung der Prävalenz gingen die Forscherinnen und Forscher der Frage nach, ob eine weniger schwere Infektion auch weniger persistierende Symptome verursacht. Ihre Daten dazu erhoben sie anhand strukturierter, telefonischer Interviews, denen ein standardisierter Fragebogen zugrunde lag.
Im Studienzeitraum März 2020 bis Februar 2021 wurden 1.673 Patienten im MVZ Dachau positiv auf COVID-19 getestet. Für 896 Patienten lag der vollständige Follow-up-Fragebogen vor. Die mittlere Follow-up-Zeit betrug 6,9 Monate, das mittlere Patientenalter lag bei 41,7 Jahren. Bei etwa der Hälfte der Erkrankten bestanden Vorerkrankungen. 34 % der Patienten gaben persistierende Symptome an.
Die Autorinnen und Autoren fanden, dass neben unspezifischen Beschwerden wie Müdigkeit oder Kopfschmerz auch typische COVID-19-Symptome wie Geruchs- und Geschmacksverlust oder Atemnot häufig persistierten. Patienten mit persistierenden Beschwerden waren signifikant älter, häufiger Frauen und die akute Erkrankung war mit mehr Symptomen einhergegangen.
Auch in der Fallkontrollstudie zu postakuten Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion von Mandy Schulz und Co-Autoren geht es um ambulant behandelte Patienten. Das Autorenteam hatte zum Ziel, Patientinnen und Patienten im Hinblick auf Risikofaktoren und die Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen zu charakterisieren. Dazu nutzten sie bundesweite Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenversicherung.
Eingeschlossen wurden Patientinnen und Patienten, für die im 2. Quartal 2021 der ICD-Code U09.9! vergeben wurde. Das war bei 160.663 Patientinnen und Patienten der Fall. Die Kontrollgruppe bildete eine Zufallsstichprobe aller im 2. Quartal behandelten Patientinnen und Patienten (n = 321 326), die in Alter, Geschlecht und Wohnort passten und für die weder ein Post-COVID-Code in 2021 vergeben noch eine bestätigte COVID-19-Erkrankung (ICD-Code U 07.1!) in 2020 und 2021 dokumentiert worden war.
Die Fallgruppe umfasste mehr Frauen und Patienten mittleren Alters als die Kontrollgruppe und einen höheren Anteil an Patienten, die bereits im Jahr 2020 vertragsärztlich behandelt wurden. Patienten mit COVID-19 machten fast doppelt so viele Behandlungsfälle aus wie die Kontrollgruppe.
Wenigstens eines der untersuchten Post-COVID-Symptome trat bei 61 Prozent der Fallgruppe und bei 33 Prozent der Kontrollgruppe auf. Patienten mit Komorbiditäten, wie insbesondere Rückenschmerzen, Adipositas, Anpassungsstörungen und somatoforme Erkrankungen, hatten altersunabhängig ein höheres Risiko für eine Post-COVID-19-Erkrankung. In der Post-COVID-19-Gruppe wurden häufiger vertragsärztliche Leistungen, vor allem hausärztliche Konsultationen, in Anspruch genommen als in der Kontrollgruppe.
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- Post-COVID-Syndrom – mehr Fragen als Antworten
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- Postakute Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion
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Dass das Post-COVID-Syndrom mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt, zu diesem Schluss kommt Tobias Welte in seinem die Beiträge begleitenden Editorial. Er unterscheidet bei Post-COVID-Beschwerden 3 Patientengruppen: Patienten, die wegen COVID-19 im Krankenhaus und teilweise intensivmedizinisch behandelt wurden, Patienten mit vielen verschiedenen Beschwerden, die aber in ihrem Alltag nicht schwer beeinträchtigt sind, und Patienten, die vor allem aufgrund massiver Erschöpfung und Belastungsinsuffizienz ihren Alltag nicht mehr eigenständig meistern können.
Dabei umfasst die mittlere Gruppe die meisten Patientinnen und Patienten. Bei ihnen stehen Mattigkeit und Konzentrationsstörungen sowie das Gefühl mangelnder Leistungsfähigkeit im Vordergrund. Die Herausforderung in der Behandlung dieser Menschen besteht nach Ansicht Weltes darin, zwischen COVID-19-bedingten medizinischen Störungen und pandemiebedingten psychosozialen Veränderungen zu unterscheiden.
Wesentlich abzumildern seien die Folgen von COVID-19 jedoch nur, so sein Fazit, wenn man die Zahl der Infektionen reduzieren könne und sich die Haltung zu Corona verändern würde. Denn der Erreger werde auf absehbare Zeit nicht verschwinden und SARS-CoV-2-bedingte Erkrankungen würden wie andere Infektionskrankheiten zu unserem Alltag gehören. Daher sollten die Möglichkeiten der Prävention und der Therapien genutzt werden, um ein Leben mit SARS-CoV-2 zu lernen. © se/aerzteblatt.de

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