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Politik

Neues Infektionsschutz­gesetz verabschiedet, Maskenpflicht in Arztpraxen möglich

Freitag, 18. März 2022

Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, wirft im Bundestag in nach der Debatte zum Infektionsschutzgesetz seine Stimmkarte ein. /picture alliance, Michael Kappeler

Berlin – Die Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen im Bundestag heute hat das neue Infektions­schutz­gesetz (IfSG) beschlossen, weil andern­falls morgen alle bisherigen Coronamaßnahmen aus­gelaufen wären. Für den Gesetzentwurf in einer vom Gesundheitsausschuss geänderten Fassung stimmten in namentlicher Abstimmung 364 Abgeordnete und 277 dagegen bei zwei Enthaltungen.

Das neue Gesetz sieht nun vor, dass künftig generell ein gewisser Basisschutz angeordnet werden kann, zu dem die Mas­kenpflicht in Krankenhäusern, Dialyse- und Pflegeeinrich­tungen und dem öffentlichen Nahverkehr gehört. In letzter Minute entschied dass Parlament noch, dass die Länder nun auch in Arzt­praxen außerhalb der sogenannten Hotspotregelung eine Maskenpflicht weiter anordnen können.

Zudem soll die Maskenpflicht auch im Luft- und Personenfernverkehr bestehen bleiben, die jedoch von der Bundesregierung ausgesetzt werden kann. Möglich bleiben darüber hinaus individuelle Vorkehrun­gen in einem Betrieb oder einer Einrichtung.

Zum Maßnahmenpaket, das weiterhin möglich bleibt, gehören auch Testpflichten zum Schutz vulnerabler Personen. Das gilt unter anderem in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Schulen, Kitas oder Einrich­tungen zur gemeinschaftlichen Unter­bringung von Asylbewerbern.

Die Länder müssen die Maßnahmen jeweils in eigenen Verordnungen auf den Weg bringen. Übergangs­weise können sie bis zum 2. April die bisherigen Regeln weiter gelten lassen. Hintergrund der Neurege­lung ist, dass am 19. März 2022 die bisherige Rechtsgrundlage mit dem Ende der epidemi­schen Notlage von nationaler Tragweite ausläuft.

Im Gesetz vorgesehen sind darüber hinaus Verschärfungen für sogenannte Hotspots. Dabei geht es um lokal begrenzte, bedrohliche Infektionslagen. In solchen Fällen können betroffene Gebietskörperschaften erweiterte Schutzvorkehrungen anwenden, etwa Maskenpflicht, Abstandsgebote oder Hygienekonzepte.

Voraussetzung ist ein Beschluss des Landesparlaments in Bezug auf die Gebietskörperschaft und die Feststellung der konkreten Gefahr einer sich dynamisch ausbreitenden Infektionslage. Die auf den neuen Regelungen beruhenden Auflagen sollen spätestens mit Ablauf des 23. September 2022 außer Kraft treten. Dann soll, auf Basis der aktuellen Infektionslage, neu bewertet werden, welche Schutzvorkehrun­gen im Herbst und Winter erforderlich sind.

Ferner sieht der Entwurf vor, dass aufgrund der besonderen Bedeutung der Impf-, Genesenen- und Test­nachweise diese Begriffe im IfSG definiert werden sollen. Die Bundesregierung soll per Rechtsverord­nung davon abweichende Regelungen treffen dürfen, muss aber Übergangsfristen vorsehen, damit sich die Bürger auf die neue Rechtslage einstellen können. Zur Rechtsbereinigung soll die Coronaeinreise­verordnung angepasst werden. Für stationäre Pflegeeinrichtungen soll das Impfquotenmonitoring ver­stetigt werden.

Deutliche Kritik, Regierung gelassen

Bereits gestern hatten die Ministerpräsidenten der Bundesländer unisono harsche Kritik am Bund geübt. Sie fühlten sich übergangen und nicht in die Arbeit am neuen IfSG einbezogen. Darüber hinaus bemän­gelten sie fehlende Rechtssicherheit vor allem bei der Hotspotregelung, zu viel Bürokratie und eine fehlende praktische Umsetzbarkeit des Gesetzes.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte das Gesetz verteidigt. Die Praktikabilität werde sich erweisen und wenn sich die Coronalage verändere, könne nachgesteuert werden, hatte er gesagt. Heute im Bundestag verteidigten vor allem FDP und SPD das Vorgehen.

Es handele sich um einen „schweren Kompromiss“, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Bundestag bei der abschließenden Beratung über Änderungen des IfSG, durch die viele Corona­maßnahmen demnächst auslaufen werden.

„Das ist aber nicht der Kompromiss zwischen Team Freiheit und Team Vorsicht“, sagte er. Man müsse die rechtliche Lage beachten. „Wir können nicht weiter das gesamte Land unter Schutz stellen, um eine klei­ne Gruppe von Impfunwilligen und denjenigen, die nicht bereit sind die Maßnahmen mitzutragen, um diese zu schützen, die Balance wird geändert.“

Durch die Omikron-Variante sei eine flächendeckende Überlastung der Krankenhäuser nicht mehr zu befürch­ten. Lauterbach wies darauf hin, dass in Gebieten wo dies zu erwarten sei, die Hotspotlösung mit schärferen Maßnahmen zum Einsatz kommen kann.

Das sei der richtige Kompromiss. Sollte sich die Lage ändern sei man jederzeit bereit das IfSG erneut anzupassen. Lauterbach mahnte, die Pandemie sei leider noch nicht vorbei und man brauche weitere Schutzmaßnahmen. „Wir sind nicht an dem Punkt, wo schon ein Freedom-Day kommen könnte.“

Die Union im Bundestag hat den von der Ampel-Koalition vorgelegten Gesetzentwurf für weitgehende Lockerungen der bundesweiten Coronaauflagen scharf kritisiert. Die geplanten Regelungen erzeugten ein „Wirrwarr“, sagte der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge. Er wies auf die heftige Kritik der Länder-Regierungschefs hin, die diese am Vortag in einer Spitzenrunde mit Kanzler Scholz geübt hatten.

„Es ist ein absolutes Novum in der Geschichte, dass 16 Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten dieser Bundesregierung in Protokollerklärungen sagen, dass es so nicht geht“, sagte Sorge. Die Koalition habe nicht geklärt, wann genau eine Kliniküberlastung drohe. Dies ist das von der Ampel vorgesehene hauptsächliche Kriterium dafür, dass die Länder selbst für Hotspots bestimmte Schutzmaßnahmen be­schließen können. Das Gesetz sei „ein einziger unscharfer Rechtsbegriff“, so Sorge.

Die Grünen machten deutlich, dass sie selbst unzufrieden sind mit dem Gesetzentwurf von Lauterbach (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Es sei kein Geheimnis, dass sie sich mehr ge­wünscht hätten, sagte die Grünen-Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther. Auf die Länder kom­me nun eine große Verantwortung zu, die vorgesehene Übergangsfrist bis 2. April sowie die Regelungen für sogenannte Hotspots mit hohen Infektionszahlen zu nutzen. „Wenn die neuen Maßnahmen nicht ausreichen werden, müssen wir nachsteuern.“ Sie hoffe, dass die Masken auch ohne Pflichtvorgaben weiter genutzt würden.

Die AfD-Abgeordnete Christina Baum (AfD) bezeichnete das Gesetz als „Beruhigungspille“. Die wenigen Erleichterungen könnten jederzeit aufgehoben werden. Die Maßnahmen gehörten komplett vom Tisch, meinte sie.

Lukas Köhler (FDP) betonte, das Gesetz sei richtig. Es müsse darum gehen, nicht die Freiheit von Ein­schränkung zu begründen. Vielmehr sei die Einschränkung von Freiheit begründungspflichtig. Man müsse Politik so ausgestalten, dass das, was an Freiheitseinschränkungen nötig sei, auch begründet werde.

Es sei richtig, das Gesetz so auszugestalten, dass man einen Schutz in Hotspots habe und auf der an­deren Seite „die Menschen in den Alltag zurückfinden“. „Das ist es, was wir politisch einfordern können. Wir verbieten niemandem, Masken zu tragen. Wir ermöglichen den Menschen, ihre Freiheit selbst in die Hand zu nehmen“, sagte er. Das sei ein „Urkern liberaleler Politik“. Köhler betonte aber auch wie SPD und Grüne zuvor, dass man handlungsfähig sei und schnell reagieren könne, wenn sich die Coronalage wieder verschärfe.

Am Nachmittag ließ der Bundesrat unter offenem Protest das Gesetz passieren. Bei den Beratungen wurde aber erneut schwerwiegende Kritik an den Plänen und am Vorgehen der Ampel-Koalition laut. Die Belastung in ihrem Land sei hoch wie nie, sagte Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Stefanie Drese (SPD) in der Länderkammer.

Vielerorts in Deutschland sei die Lage in den Kliniken angespannt, mancherorts dramatisch. Die von der Regierung auf den Weg gebrachte Aufhebung elementarer Schutzmöglichkeiten sei falsch. Und die ge­plante Hotspotregelung, mit der die Länder regional schärfere Maßnahmen erlassen könnten, sei unklar. So seien von verschiedenen Bundesministerien unterschiedliche Aussagen zu hören, ob ein ganzes Bundesland ein Hotspot sein könne.

Der bayerische Minister für Bundesangelegenheiten, Florian Herrmann (CSU), sagte: „Das ist alles eine prozedurale Unverschämtheit.“ Die Länder müssten es nun im Eiltempo regeln, wenn sie eine Übergangs­frist nutzen wollten vor dem grundsätzlich beschlossenen Auslaufen bundesweiter Vorgaben. Das gelte aber auch für die Bürgerinnen und Bürger: „Es blickt ja auch niemand mehr durch, welche Regelung wann gilt.“ Große Rechtsunsicherheit sei entstanden. Dies sei verantwortungslos.

Sabine Dittmar (SPD), Staatssekretärin des Bundesgesundheitsministeriums, verteidigte die Pläne. Die Länder könnten durch eigene Beschlüsse die meisten Schutzmaßnahmen weiter aufrecht erhalten, wo dies nötig sei, betonte sie im Bundesrat. Im Übrigen sei das geänderte Infektionsschutzgesetz Ergebnis eines Kompromisses, sagte sie mit Blick auf die im Bund mitregierende FDP.

Angesichts des geplanten Auslaufens eines Teils der Coronaschutzmaßnahmen forderte der Behinder­tenbeauftragte der Bundesregierung mehr staatliche Hilfe für besonders gefährdete Gruppen, weil sie sich dann vor allem selbst schützen müssen.

„Angesichts der aktuellen Inzidenzen und der Ungewissheit über den weiteren Verlauf der Pandemie bedeuten die geplanten Regelungen für diese vulnerable Gruppe eine große Belastung“, sagte Jürgen Dusel heute.

Insbesondere für einkommensschwache Menschen aus diesen Gruppen brauche es Zuschüsse oder Gut­scheine für die Beschaffung von Masken und hochwertigen Selbsttests. Zudem müsse sichergestellt wer­den, dass auch künftig ein Anspruch auf kostenlose Bürgertests bestehe. Die entsprechende Testverord­nung läuft Ende März aus.

Die Hausärzte hatten bereits das gestrige Beratungsergebnis von Bund und Ländern scharf kritisiert. „Die gesamte Diskussion der letzten Tage zwischen Bund und Ländern war chaotisch“, sagte der Bundesvor­sitz­ende des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, der Rheinischen Post. Er sprach von einer Pandemiebekämpfung nach tagesaktuellem Bauchgefühl.

Auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, kritisierte den Coronakurs und das neue Infektionsschutzgesetz. „Gerade angesichts der hohen Infektionszahlen fehlen aktuell Regelungen im Basisschutz zur Maskenpflicht in Innenräumen“, sagte er der Rheinischen Post.

Aus seiner Sicht wäre es sinnvoll, „die Maskenpflicht nicht nur in den öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern auch in öffentlich zugänglichen Räumen aufrecht zu erhalten, etwa in Behörden, in Geschäften oder bei Veranstaltungen“.

Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), zufolge ist es gut, dass es jetzt einen gültigen Rechtsrahmen gibt. „Leider ist die vom Grundsatz her richtige Hotspotrege­lung nicht mit nachvollziehbaren und einheitlichen Kriterien hinterlegt worden“, sagte er.

So drohe wieder ein föderaler Flickenteppich mit von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Re­gelungen. Eine Hotspotregelung könne einen gangbaren Kompromiss darstellen, wenn sie einheitlich angewendet werde. „Im Übrigen sollte die Politik den Bürgerinnen und Bürgern vertrauen. Die allermeis­ten werden sich und ihre Mitmenschen eigenverantwortlich schützen.“

Die Allianz deutscher Ärzteverbände forderte einen Schutz für vulnerablen Gruppen, insbesondere der Menschen über 70 Jahre. Dieser sei insbesondere mit verständlichen und nachvollziehbaren Basisschutz­maßnahmen ohne viel Aufwand und mit großer Akzeptanz in der Bevölkerung umsetzbar. Bundesweit einheitliche und klare Regelungen könnten „unnötige und konfliktträchtige Diskussionen vor Ort“ vermeiden.

„Absolute Rekordstände bei Inzidenzen und eine Art ‚Freedom Day‘ zum 20. März 2022, das passt nicht zusammen“, kritisierte der Sprecher der Allianz, Dirk Heinrich. © dpa/afp/kna/may/aha/aerzteblatt.de

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