Politik
Kritik an geplanten Coronalockerungen wird lauter
Montag, 14. März 2022
Berlin – Wenige Tage vor dem Auslaufen der meisten Beschränkungen in der Coronakrise gibt es weiter Kritik an der Pandemiepolitik der Bundesregierung. Das zeigte nicht zuletzt auch eine öffentliche Anhörung heute zum Thema im Bundestag. Mehrere Experten warnten davor, das Niveau der Basisschutzmaßnahmen nicht zu sehr abzusenken.
So sprach sich Bernd Salzberger, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI), dafür aus, eine Maskenpflicht in allen Einrichtungen des Gesundheitswesens beizubehalten. Auch Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) verwies auf die Wichtigkeit der Basisschutzmaßnahmen.
Derzeit stiegen die Inzidenzen und auch die Hospitalisierungen, zugleich werde aber die „Abkapselung“ der noch Ungeimpften durch die Lockerunngen weitgehend beendet – laut Brinkmann eine „schlechte Kombination“. Aus ihrer Sicht sei eine Infektionsvermeidungsstrategie weiterhin notwendig, zudem müsse bei stärkeren Anstiegen der Fallzahlen schnell reagiert werden können. Eine vorgelagerte Diskussion in den Landesparlamenten sehe sie deshalb kritisch.
Übermorgen sollen erstmals im Bundestag Änderungen am Infektionsschutzgesetz (IfSG) beraten werden; die meisten bundesweiten Coronaauflagen sollen zum 20. März entfallen. Mit der Änderung des IfSG soll festgelegt werden, welche Schutzvorkehrungen die Länder künftig treffen können, wenn ab dem 19. März die bisherige Rechtsgrundlage entfällt. Bereits zwei Tage später soll im Plenum über den umstrittenen Entwurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) entschieden werden.
Lauterbach und Buschmann schlagen einen deutlich verringerten Basisschutz für ganz Deutschland vor. Bundesweit möglich sein sollen demnach nur noch Maskenpflichten in Pflegeheimen, Krankenhäuseern und Nahverkehr sowie Testpflichten in Heimen und Schulen.
Bundesweit bleiben soll auch die Maskenpflicht in Zug und Flugzeug. Die Länder sollen aber weitere Coronaauflagen für jeweils auszurufende Hotspots beschließen können. Angesichts der rasanten Ausbreitung des Virus in den vergangenen Tagen wird an diesem Kurs jedoch von vielen gezweifelt.
Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen will sich nun für eine Änderung des Regierungsentwurfs einsetzen. „Ich werbe sehr dafür, den Gesetzentwurf zur Reform des Infektionsschutzgesetzes noch einmal anzupassen und die Maskenpflicht in Innenräumen als Basisschutzmaßnahme beizubehalten“, sagte Dahmen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
SPD-Chefin Saskia Esken sprach sich ebenfalls für einen ausreichenden Basisschutz aus – mit Masken in Geschäften. „Das Frühjahr kommt, doch Corona bleibt uns offenbar erhalten“, sagte Esken. „Auch im neuen Infektionsschutzgesetz brauchen wir deshalb einen ausreichenden Basisschutz, der überall gleichermaßen gilt“, so die SPD-Chefin. „Dazu gehören Maske und 3G im öffentlichen Fern- und Nahverkehr ebenso wie die Maske im Einzelhandel. Die Länder müssen auf lokale Infektionsgeschehen mit weitergehenden Maßnahmen reagieren können.“
Die FDP verteidigte hingegen das Vorgehen. Der Wegfall der meisten Coronabeschränkungen am 20. März sei ein großer Erfolg nach zwei Jahren Pandemie, sagte der designierte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der Rheinischen Post. Gleichzeitig blieben die Länder handlungsfähig, sollte sich die Coronalage wieder drastisch verschärfen. „Diese Kombination aus verantwortungsvollem Handeln und dem Ende der Freiheitseinschränkungen ist genau richtig“, betonte er.
In einer Ministerpräsidentenkonferenz wollen die Länder mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag die Lage beraten. Ebenfalls an dem Tag wird im Bundestag erstmals über Anträge zu einer allgemeinen Impfpflicht diskutiert.
BÄK übt Kritik
Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, hält die geplanten Lockerungen für das falsche Signal. Er sei beunruhigt, da die Infektionszahlen in der letzten Woche wieder gestiegen seien, sagte er heute im Deutschlandfunk. „Es ist insofern schwer verständlich, warum eine Maskenpflicht in bestimmten Einrichtungen sein soll, aber zum Beispiel im Einzelhandel, der Gastronomie nicht, während man im öffentlichen Nahverkehr eine Maske aufsetzen soll. Es ist nicht so richtig durchgängig.“
Reinhardt kritisierte auch den zeitlichen Ablauf der kommenden Gesetzesänderung. „Wir haben ja den Entwurf dieser Veränderung des Infektionsschutzgesetzes als Verbände nachts um eins bekommen und sollten bis morgens um 10 Uhr Stellung bezogen haben“, so der Präsident.
„Das ist im Hinblick auf Beteiligung von Betroffenen, Verbänden und Einrichtungen, Institutionen vielleicht dann doch ein bisschen eine Farce.“ Es habe es im Anschluss zwar eine Entschuldigung dafür gegeben. Doch wenn es um Gesetze gehe, die eine nicht unerhebliche Tragweite hätten, wäre es nach seinen Worten wünschenswert, wenn die Beteiligten genügend Zeit zur Prüfung hätten.
Im Rahmen der Anhörung des Bundestagsgesundheitsausschusses warnte Reinhardt, eine Verkleinerung des zur Verfügung stehenden Instrumentariums zur Bekämpfung der Coronapandemie passe nicht zur Lage. So sei aus Sicht der BÄK beispielsweise eine deutlich umfassendere Maskenpflicht als geplant sinnvoll – ähnlich äußerten sich Experten der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).
Auch die Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN) hält die vom Bund geplanten Lockerungen angesichts der hohen Infektionszahlen für verfrüht. „Ich stehe ausgesprochen ratlos vor den Beschlüssen der Bundesregierung, am 20. März alle effektiven Maßnahmen der Pandemiebekämpfung fallen zu lassen. Davor kann ich nur warnen“, sagte Ärztekammer-Präsidentin Martina Wenker der Neuen Osnabrücker Zeitung. „Wir haben ein Allzeithoch und vor allem täglich weiter steigende Inzidenzen“, sagte sie. „Die Öffnungspläne müssen verschoben werden.“
Das Virus sei nicht weg, und es werde sich auch am 20. März nicht in Luft auflösen, nur weil das Bundeskabinett einen „Freedom Day“ beschlossen habe, kritisierte Wenker. „Ganz Deutschland ist doch momentan ein Hotspot.“ Mindestens die allgemeine Maskenpflicht und die derzeit bestehenden Regelungen müssten weiter gelten, aber auch zusätzliche Verschärfungen dürften nicht ausgeschlossen werden.
„Wenn die Zahlen noch weiter steigen, die Kliniken an die Belastungsgrenze gelangen und wir weitere Personalausfälle in der Patientenversorgung zu beklagen haben, dann sehe ich uns wieder in eine prekäre Situation kommen. Und dann müssen wir auch wieder zu schärferen Maßnahmen greifen“, sagte die Ärztekammerpräsidentin. „Wir können doch nicht eine steigende Krankheitslast und immer mehr Todesfälle in Kauf nehmen, nur weil wir uns ein Datum gesetzt haben.“ © aha/dpa/afp/kna/aerzteblatt.de

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