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Ärzteschaft

„Wir brauchen einen modernen ÖGD“

Montag, 4. April 2022

Berlin – Die immense Bedeutung eines leistungsfähigen Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) zeigte sich im Zuge der Coronapandemie deutlich. Ebenso deutlich traten jedoch strukturelle Schwächen sowie die Folgen der mangelhaften personellen Ausstattung zutage.

Das Deutsche Ärzteblatt (DÄ) sprach mit Johannes Nießen, Leiter des Gesundheitsamtes der Stadt Köln, unter anderem über den ÖGD-Pakt, die weitere Digitalisierung der Gesundheitsämter und die Versorgung der Geflüchteten.

5 Fragen an Johannes Nießen, Verbandsvorsitzender des Bundes­verbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheits­dienstes (BVÖGD)

DÄ: Wie hat sich das Rollenbild des Öffentlichen Gesundheits­diens­tes (ÖGD) aufgrund der Coronapandemie gewandelt?
Johannes Nießen: Der ÖGD wird als wichtiger Player im Gesund­heitswesen stärker und anders wahrgenommen als vor der Pande­mie. Es hat sich gezeigt, dass es neben dem ambulanten und sta­tionären Versorgungssystem auch eine Versorgungsstruktur braucht, die die Bevölkerung im Blick hat, Maßnahmen koordiniert und Infektionsschutz betreibt.

Mit den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine schließen sich nahtlos neue Aufgaben für den ÖGD an, von Impfungen und Infektions­schutz in den Gemeinschafts­unterkünften bis hin zu Untersu­chungen der Kinder für eine Betreuung in Kita oder Schule.

DÄ: Läuft die mit dem ÖGD-Pakt verbundene Personalaufstockung zufriedenstellend?
Nießen: Über neue 2.400 Stellen sind in den 378 Gesundheitsämtern in Deutschland bereits geplant und zum Teil auch schon besetzt. Eine weitere Tranche von über 3.500 Stellen soll in diesem Jahr die Ämter erreichen.

Dabei zeigen sich zwei Probleme: Wenn alle Gesundheitsämter gleichzeitig auf einem leer gefegten Markt fischen, lassen sich die Stellen nicht besetzen und neue Fachkräfte müssen erst ausgebil­det wer­den. Und wenn man 20 Jahre lang Stellen gekürzt hat, bedeutet der jetzige Stellenzuwachs allenfalls eine Kompensation des vorangegangenen Verlusts und wird auch bei zukünftigen, ähnlichen Krisensitua­tionen kaum reichen. Wir brauchen neben dem Stellenaufwuchs auch eine Neustrukturierung und -ausrichtung hin zu einem modernen ÖGD.

DÄ: Der ÖGD-Beirat empfiehlt, die Attraktivität der Tätigkeit im ÖGD durch arztspezifische Tarifverträge zu erhöhen. Gibt es hier Fortschritte?
Nießen: Immer noch gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen dem Grundgehalt einer Ärztin bezie­h­ungsweise eines Arztes im Krankenhaus und im Gesundheitsamt. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände erweist sich hier als absolut uneinsichtig, was dazu führt, dass sich die Kommunen über Zulagengewährung – außerhalb des Tariflohns – gegenseitig die Mitarbeiter abwerben.

Obwohl der Mar­­­­burger Bund uns sehr unterstützt hat, die GMK in zahlreichen Beschlüssen eine Verbes­se­­rung gefor­dert hat und im Pakt für den ÖGD ausdrücklich der Mitteleinsatz auch für eine bessere Bezah­lung aller Mitarbeitenden im ÖGD vorgesehen ist, weigern sich die kommunalen Arbeitgeber, die Situa­tion zum Beispiel durch spezifische Tarifverträge zu verbessern und zu sichern.

Die Kolleginnen und Kol­le­gen stimmen bereits mit den Füßen ab und verlassen den ÖGD. Hier muss man juristisch ansetzen, denn die Kommunen haben einen Sicherstellungsauftrag, dem sie nicht mehr nach­kommen können, wenn die Ärztinnen und Ärzte das Gesundheitsamt verlassen.

DÄ: Einen Schwerpunkt des ÖGD-Paktes stellt die stärkere Digitalisierung dar. Wie schätzen Sie den aktuellen Stand ein?
Nießen: 800 Millionen Euro sind im ÖGD-Pakt vorgesehen, aber die Entwicklung der digitalen Infra­struk­tur ist regional und von Amt zu Amt sehr unterschiedlich. Größtes Problem sind die verschiedenen kom­mu­nalen Softwarelösungen, die zwar eine Meldungsübermittlung von der Kommune an das Land und den Bund vorsehen, aber den Austausch von Daten und Meldungen zwischen den Kommunen extrem erschweren beziehungsweise unmöglich machen. Die angewendeten Softwareformate sind unbedingt zu vereinheitlichen beziehungsweise über Schnittstellen und Datenplattformen austauschfähig zu gestal­ten.

DÄ: Wo werden bezüglich der Flüchtlinge aus der Ukraine die Schwerpunkte liegen?
Nießen: Die ukrainischen Flüchtlinge bedürfen einer sofortigen medizinischen Betreuung und gegebe­nenfalls auch Therapie, die der ÖGD mitorganisiert. Für die Gefährdung in den Gemeinschaftsunterkünf­ten durch Infektionskrankheiten (Tuberkulose, COVID-19-Infektionen, Windpocken) ist der öffentliche Gesundheitsdienst primär und in besonderer Weise verantwortlich. © aha/aerzteblatt.de

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