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Politik

Coronapandemie macht koloniale Strukturen sichtbar

Mittwoch, 23. März 2022

/mhp, stock.adobe.com

Berlin – Die Coronapandemie lässt die kolonialen Muster in der globalen Gesundheitspolitik offen zutage treten. Das offenbarte heute der Kongress Armut und Gesundheit in Berlin.

Die ungleiche Verteilung von Macht sowie soziale und wirtschaftliche Ausschlussmechanismen würden gerade bei der Verteilung der COVID-19 Impfstoffe entlang der ökonomischen Stärke von National­staa­ten sowie beim Umgang mit Patenten deutlich sichtbar, betonten heute die Teilnehmenden eines Panels zu den (de-)kolonialen Perspektiven der COVID-19 Pandemie.

Der Kongress steht unter Schirmherrschaft des Bundesministers für Gesundheit, Karl Lauterbach (SPD), und Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Er wird von Gesundheit Berlin-Branden­burg organisiert wird.

Der ungleiche Zugang zu COVID-19-Impfstoffen sei eng mit rassistischen und kolonial geprägten Aus­schlussmechanismen verwoben, betonte Tammam Aloudat, Geschäftsführender Director des Global Health Centers in Genf. „Es geht um den Machtausbau, nicht um die Gesundheit der Menschen“, sagte der Arzt. Die Ungleichheit in der Welt sei so lange akzeptiert worden, dass sie sich bereits normalisiert habe, analysierte er. Es gebe jetzt einen „Bilderbuch-Kolonialismus“.

Frühere Mittel des Kolonialismus seien jetzt durch das Konzept der Entwicklungshilfe ersetzt worden, kontrolliert durch Reiche und Regierungen, die sich dadurch besser fühlen könnten. „Die Hilfe wird nicht als etwas Schlechtes angesehen. Sie hält aber den Status quo am Leben“, erläuterte Aloudat. „Wir werden von den Unternehmen regiert – so war es schon immer.“

Die Macht der Konzerne sei es auch, die dazu führten, dass reiche Länder Impfdosen im Überfluss hätten, während dem Großteil der Welt der Zugang zu den Coronaimpfstoffen verschlossen bleibe, sagte Miriam Saage-Maaß, Leiterin des Programms Wirtschaft und Menschenrechte beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin.

Eine zentrale Ursache liegt nach ihrer Ansicht bei den Rechten auf geistiges Eigentum, darunter bei den Patenten, deren Entstehen eng mit der Kolonialzeit verwoben ist. „Sie zeigen, wo die Macht ist. Deshalb überwiegen bei einer Abwägung der unterschiedlichen Rechte auch die Rechte der Konzerne und nicht die Menschenrechte“, so die Rechtsanwältin. Die Impfinitiative COVAX schaffe da keinen richtigen Aus­gleich.

„Die Coronapandemie war die Chance, das koloniale System aufzugeben. Denn wir sind alle betroffen“, sagte Saage-Maaß. Doch seit über einem Jahr blockierten einige westlichen Staaten, darunter auch Deutschland, den indisch-südafrikanischen Antrag für eine Aussetzung der Coronaimpfstoffpatente für den Zeitraum der Pandemie.

Der deutsche Staat müsste sich eigentlich für den bei der Welthandelsorga­nisation (WTO) verhandelten „Waiver“ (Verzichtserklärung) im Rahmen des TRIPS-Abkommens einzusetzen, meint sie. Doch das tue er mit Rücksicht auf die Pharmaindustrie nicht.

Dabei werde nach Ansicht von Saage-Maaß auch nicht vor Falschmeldungen zurückgeschreckt: Um ihre Blockadehaltung zu legitimieren, behaupteten Politik und Pharmafirmen, dass es im globalen Süden keine geeigneten Produktionsstätten gebe und dass die mRNA-Impfstoffe sich dort nicht gut herstellen ließen. Dies sei jedoch falsch. Afrikanische Länder könnten umrüsten und die mRNA-Impfstoffe herzu­stellen, sei auch nicht so kompliziert, wie der Anschein erweckt werde.

Den Waiver, eine global vereinbarte und in der WTO verankerte Verzichtserklärung von Rechten des geis­tigen Eigentums auf COVID-19 Medizinprodukte, haben etwa 70 Staaten bereits unterzeichnet. Er soll nicht für immer gelten, sondern nur bis die Weltbevölkerung eine Immunität gegen das Virus entwickelt hat. Dass der Widerhall in Europa jedoch gering ist, wundert Saage-Maaß nicht.

Die Patente dienten den Interessen der Pharmaindustrie und steigerten die Kosten für dringend benötig­te Gesundheitsgüter, erklärte sie. „Die medizinische Grundversorgung wird teurer, weil die Konzerne die Hand darauf haben.“ Dies gelte auch jetzt während der Pandemie.

Angesichts der globalen Impfungerechtigkeit und deren dramatischen Folgen für Millionen Menschen sei allerdings die Zeit für die Aussetzung der Patente überreif, meint Anne Jung von medico international.

„Es geht zwar nur um eine temporäre Aussetzung, doch offensichtlich ist die Angst zu groß, dass damit ein Präzedenzfall geschaffen und das System offengelegt wird.“ Nicht nur die Torpedierung des Waivers, sondern auch das TRIPS-Abkommen selbst, symbolisieren für Jung die Dominanz der kolonialen Ordnung, die „gerade bis zur letzten Impfdosis verteidigt“ werde. © ER/aerzteblatt.de

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