Medizin
Zwergfadenwurm könnte zur Überschätzung von Ivermectin-Effekt bei COVID-19 beitragen
Dienstag, 22. März 2022
New York City – Studien, die einen Nutzen des Antiparasiditikums Ivermectin bei COVID-19 zeigen, sind möglicherweise durch Infektionen mit dem Zwergfadenwurm Strongyloides stercoralis in den Kontrollgruppen verfälscht. Dies schreiben Forschende aus den USA in einem Artikel in JAMA Network Open (DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2022.3079)
„Bei der Untersuchung von Ivermectin als Therapie für COVID-19 interagiert die Prävalenz von Strongyloidiasis mit dem relativen Sterberisiko“, schreiben Avi Bitterman vom Department of Dermatology an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York City. „Es gibt keine Evidenz dafür, dass Ivermectin in Regionen, in denen Strongyloidiasis endemisch ist, Todesfälle bei COVID-19-Patienten verhindert.“
Im vergangenen Jahr erregte eine Metaanalyse von 12 randomisiert-kontrollierten Studien zu Ivermectin bei COVID-19 für Aufsehen. Sie war zu dem Ergebnis gekommen, dass sich durch den Einsatz von Ivermectin zahlreiche COVID-19-Todesfälle vermeiden ließen, weshalb das Wurmmittel schon frühzeitig im Krankheitsverlauf angewendet werden sollte, um das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern.
Bitterman und seine Kollegen gehen aber davon aus, dass eine verkannte Interaktion mit dem parasitischen Zwergfadenwurm Strongyloides stercoralis zu diesem Ergebnis beigetragen hat und die Metaanalyse demzufolge ganz anders interpretiert werden müsste.
Strongyloides stercoralis ist ein den menschlichen Darm befallender Parasit, der in Lateinamerika, Südostasien und Sub-Sahara-Afrika endemisch ist. Eine Infektion mit dem in Mitteleuropa seltenen Erreger wird als Strongyloidiasis bezeichnet. Bei immungeschwächten Personen, speziell auch beim Einsatz von Kortikosteroiden, kann es zu einem lebensbedrohlichen Hyperinfektionssyndrom kommen.
Ivermectin-Studien vorwiegend in endemischen Regionen
„Die Studien zu Ivermectin bei COVID-19 fanden überwiegend in Regionen statt, in denen Strongyloidiasis endemisch ist“, schreiben die Autoren. „Und Kortikosteroide werden in den Kontrollgruppen dieser Studien oft als Teil der Standardtherapie gegeben.“
Normalerweise wird eine Strongyloidiasis mit Ivermectin behandelt, was für die Kontrollgruppe einer Ivermectin-Studie aber ausgeschlossen ist. „So wird quasi ein Studiendesign geschaffen, dass die Kontrollgruppe systematisch einem erhöhten Sterberisiko aussetzt“, erklären die Autoren. „Und so werden künstlich Ergebnisse zur Sterblichkeit erzeugt, die es so aussehen lassen, als ob Ivermectin zur Behandlung von COVID-19 geeignet ist.“
Kontrollgruppe bleibt bei Parasiteninfektion unbehandelt
In Wirklichkeit sei es vielmehr so, dass im Falle einer Infektion mit dem parasitischen Fadenwurm nur die Patienten in der Ivermectin-Gruppe wirksam behandelt würden, während die Kontrollgruppe unbehandelt bleibe. Hinzu kommt, dass die COVID-19-Behandlung mit Kortikosteroiden in der Kontrollgruppe das Risiko eines Hyperinfektionssyndroms erhöht. Zudem ist auch COVID-19 selbst mit Eosinopenie assoziiert, auch ohne Kortikosteroidtherapie, und Eosinopenie verschlechtert die Prognose bei einer Strongyloidiasishyperinfektion.
„Selbst wenn die Patienten in den Studien keine Kortikosteroide erhielten, allein die Durchführung der Studien in Strongyloidiasisendemiegebieten kann die Ergebnisse verfälschen“, schreiben die Autoren um Bitterman. Doch in der überwiegenden Zahl der Ivermectin-Studien habe man das nicht berücksichtigt und weder auf Fadenwurminfektionen getestet, noch alternative Therapieversuche unternommen.
„Die Ergebnisse von Ivermectin-Studien aus diesen Regionen können nicht auf Patienten übertragen werden, die kein erhöhtes Risiko für eine Strongyloidiasis-Infektion haben“, betonen sie.
Neuanalyse in Abhängigkeit von Strongyloidiasisprävalenz
Um herauszufinden, wie groß der Effekt von Strongyloidiasisinfektionen in Ivermectin-Studien wirklich ist, überprüften Bitterman und seine Kollegen die 2021 veröffentlichte Original-Metaanalyse sowie zusätzlich alle Referenzen in der dezidierten Ivermectin-Datenbank c19ivermectin von Januar 2019 bis November 2021.
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Die Metaanalyse umfasst 12 Studien mit insgesamt 3901 Patienten. Vier Studien (33 %) fanden in Regionen mit einer hohen Strongyloidiasisprävalenz statt. Acht Studien (67 %) wurden in Regionen mit niedriger Strongyloidiasisprävalenz durchgeführt.
In Regionen mit einer niedrigen Strongyloidiasisprävalenz war das relative Sterberisiko in Ivermectin-Studien nicht signifikant verringert (RR 0,84 [95-%-KI 0,60-1,18]; p=0,31). Fanden die Ivermectin-Studien dagegen in Regionen mit hoher Strongyloidiasisprävalenz statt, war das relative Sterberisiko signifikant verringert (RR 0,25 [95-%-KI 0,09-0,70]; p=0,008).
Subgruppenanalysen ergaben einen signifikanten Unterschied zwischen den Ergebnissen von Gruppen mit niedriger oder hoher Strongyloidiasisprävalenz (p=0,03). Sowohl die Varianz der Studieneffektstärken als auch das Ausmaß an Variabilität, das durch Heterogenität zwischen den Studien zu erklären ist, lagen bei 0.
Eine Metaregressionsanalyse zeigte eine Abnahme des relativen Risikos um 38,8 % (95-%-KI 0,87-62,25) pro Anstiegs der Strongyloidiasisprävalenz um 5 %.
„Günstige Resultate zur Sterblichkeit fanden sich nur in Studien in Regionen mit hoher Strongyloidiasisprävalenz“, berichten die Autoren um Bitterman. Es habe aber auch keine Hinweise auf einen Nutzen von Ivermectin auf das Sterberisiko in Regionen mit niedriger Prävalenz gegeben. © nec/aerzteblatt.de

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