Politik
Gutachten: Krankenhäuser können bis 2045 klimaneutral werden
Mittwoch, 30. März 2022
Düsseldorf – Wissenschaftler haben im Auftrag der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) einen Weg aufgezeigt, wie Krankenhäuser bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden können. Dabei haben sie zehn Maßnahmen vorgestellt, die die Häuser umsetzen müssen, um dieses Ziel zu erreichen.
Zunächst müsse dafür ein Klimaschutzmanagement in den Krankenhäusern eingeführt werden, erklärte einer der Autoren des Gutachtens, Oliver Wagner vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, heute vor Journalisten in Düsseldorf: „Man braucht jemanden vor Ort, der das Projekt begleitet, der die Daten erhebt, der Fördergelder akquiriert und der schaut, ob das Krankenhaus auf dem richtigen Weg ist.“
Zeitnah umzusetzen seien zudem die Implementierung einer LED-Beleuchtung sowie der Austausch beziehungsweise das Recyceln klimaschädlicher Narkosegase. Aufwendiger sei die Sanierung der Gebäudehülle. „Das ist ein großer Brocken“, betonte Wagner. „Viele Krankenhäuser haben heute energetisch nicht den allerbesten Standard, was die Wärmeverluste angeht.“
Weder die Gebäudehüllen noch das Dach seien vielfach gut gedämmt. Es müssten allerdings große Anstrengungen unternommen werden, um mehr Handwerker auszubilden, die die notwendigen Arbeiten vornehmen können, so Wagner. Denn derzeit sei es nicht so, dass ausreichend Handwerker für diese Aufgaben zur Verfügung ständen.
Photovoltaik und E-Mobilität
Zudem schlagen die Autoren des Gutachtens vor, Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen) in den Krankenhäusern zu installieren. „In Krankenhäusern gibt es oft große Flächen, die für die Photovoltaik zur Verfügung stehen: vor allem Dachflächen, aber auch Südfassaden, auf denen die PV-Elemente zugleich für Verschattung sorgen können, um die Wärme im Krankenhaus zu reduzieren“, erklärte Wagner.
Darüber hinaus könnten die Wärme- und Kälteerzeugung, die Wärmepumpen und die Lüftungsanlagen erneuert werden. „Lüftungsanlagen haben deutlich an Bedeutung gewonnen. Sie können die Luftqualität verbessern und gleichzeitig Energie einsparen“, so Wagner. Und heute sei es in modernen Häusern möglich, den Wärmeverbrauch auf 30 kWh pro Quadratmeter und Jahr zu reduzieren. Derzeit liege dieser Wert allerdings noch bei 212 kWh.
Schließlich gehöre zu dem Maßnahmenkatalog ein Konzept, mit dem die Mitarbeitenden das Krankenhaus ohne Auto erreichen. „Es gibt die Möglichkeit, mit dem Fahrrad oder mit dem E-Bike zur Arbeit zu kommen“, sagte Wagner. „Dafür braucht man Unterstell- und Lademöglichkeiten. Zudem kann man ein Jobticket als Anreiz einführen, mit dem Öffentlichen Personennahverkehr zur Arbeit zu kommen. Bei Mitarbeitenden, die auf ein Auto angewiesen sind, sollte die E-Mobilität das Mittel der Wahl sein.“ Dafür brauche man dann die notwendige Infrastruktur in den Häusern, um die Autos laden zu können.
„Das Ziel ist erreichbar“
Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 in Deutschland zu erreichen. Im vergangenen Jahr haben die Delegierten des Deutschen Ärztetags zudem an alle Entscheidungsträger im Gesundheitswesen appelliert, die notwendigen Maßnahmen in Angriff zu nehmen, um bis zum Jahr 2030 eine Klimaneutralität für das deutsche Gesundheitswesen zu erreichen. 5,2 Prozent der Treibhausgasemissionen Deutschlands werden dabei vom Gesundheitswesen verursacht. Dem Wuppertal Institut zufolge gehen 3,1 Prozent auf das Konto der Krankenhäuser.
„Die nordrhein-westfälischen Krankenhäuser als zentraler Teil der Daseinsvorsorge sind bereit, ihren Beitrag auf dem Weg zum klimaneutralen Gesundheitswesen bis 2045 zu leisten“, betonte der Vizepräsident der KGNW, Sascha Klein. Und Wagner stellte klar: „Das Ziel ist erreichbar.“ Besonders ambitionierte Krankenhäuser könnten es sogar schaffen, bis 2030 klimaneutral zu werden. Dafür müssten sie aber bereits Vorarbeiten geleistet haben.
7,1 Milliarden Euro in sieben Jahren
„Wir wissen, was man tun kann, um Klimaneutralität im Krankenhaus zu erreichen“, betonte der Geschäftsführer des hcb – Institute for Healthcare Business, Boris Augurzky. „Nun ist die Frage, was es kostet, diese Maßnahmen umzusetzen.“
In einem zweiten Gutachten hat das hcb diese Frage beantwortet. „Der Investitionsbedarf liegt für die 315 Plankrankenhäuser von Nordrhein-Westfalen bei 7,1 Milliarden Euro, gestreckt auf sieben Jahre“, erklärte Augurzky. „Dabei fallen alleine 6,3 Milliarden Euro auf die Sanierung der Gebäudehüllen.“ 189 Millionen Euro kostet der Modellrechnung zufolge die Implementierung der Photovoltaik, 353 Millionen Euro der Umbau der Wärme- und Kälteerzeugung und 88 Millionen Euro der Ausbau der E-Mobilität.
Neben diesen Investitionskosten müssten die Krankenhäuser jedes Jahr etwa 189 Millionen Euro für laufende Kosten veranschlagen, zum Beispiel für die Finanzierung der Vollzeitstelle eines Klimaschutzbeauftragten.
„Die Aufgabe ist groß – und nicht verhandelbar“
Da die Bundesländer in der Vergangenheit nicht einmal die notwendigen Investitionsmittel zum Erhalt der Substanz der Krankenhäuser zur Verfügung gestellt hätten, schlug Augurzky vor, für die Finanzierung der Klimaschutzmaßnahmen einen Fonds aufzulegen, der von Bund und Ländern gemeinsam gefüllt wird. Dieses Modell habe schon gut bei den beiden Krankenhausstrukturfonds und dem Krankenhauszukunftsfonds funktioniert, so der Wissenschaftler. In jedem Fall hätten die Krankenhäuser aus eigener Kraft nicht die Möglichkeit, in Klimaschutzmaßnahmen zu investieren.
Dies betonte auch Klein von der KGNW. Es müsse allen klar sein, dass die Krankenhäuser keinerlei finanzielle Möglichkeiten hätten, um Klimaneutralität zu erreichen. „Die Verbindung von Klimaschutz und Daseinsvorsorge ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die die nächste Landesregierung bewältigen muss“, betonte Klein. Die nächste Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen findet am 15. Mai dieses Jahres statt.
Auch Augurzky betonte, dass die Klimaschutzmaßnahmen von der Allgemeinheit finanziert werden müssten. Die vom Wuppertal Institut vorgeschlagenen Maßnahmen bezeichnete er als „Blaupause für alle anderen Bundesländer“. Die Aufgabe, Klimaneutralität in den Krankenhäusern zu erreichen, sei groß – „und eigentlich nicht verhandelbar“. © fos/aerzteblatt.de

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