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Ärzteschaft

„Viele Ärztinnen und Ärzte engagieren sich enorm, um den Geflüchteten zu helfen“

Dienstag, 5. April 2022

Mainz – Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert mittlerweile seit fast fünf Wochen an. Hunderttausende Menschen sind aus ihrem Heimatland nach Deutschland geflüchtet. Sergiy Davydenko ist im Jahr 1998 während seines Medizinstudiums aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Heute arbeitet der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie als stellvertretender klinischer Leiter der Abtei­lung Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Mainz.

Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt () erklärt er, wie sich die Lage der geflüchteten Ukrainerin­nen und Ukrainer derzeit darstellt, wie er die Hilfsbereitschaft von Ärzten wahrnimmt und welches seine größte Sorge ist.

5 Fragen an Sergiy Davydenko, Universitätsmedizin Mainz

DÄ: Herr Dr. Davydenko, Hunderttausende Ihrer Landsleute sind vor dem russischen Angriffskrieg nach Deutschland geflüchtet. Wie funktioniert die Aufnahme aus Ihrer Sicht?
Sergiy Davydenko: Das Engagement und die Hilfsbereitschaft der Deutschen ist nach wie vor sehr groß. Viele haben Geflüchtete bei sich aufgenommen und engagieren sich ehrenamtlich, um den Menschen zu helfen – oft handelt es sich ja um Frauen mit Kin­dern, die aus der Ukraine geflüchtet sind. Sie wurden aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen und sind desorientiert.

Die große Aufgabe ist jetzt, sie zu integrieren und ihnen die Hilfe zu geben, die sie benötigen. Dabei muss man bedenken, dass viele von ihnen traumatisiert sind. Sie leben in der ständigen Ungewiss­heit, ob sie ihre Männer oder Väter jemals lebend wiedersehen werden. Gleichzeitig müssen sie in einem frem­den Land klar­kommen, dessen Sprache sie nicht sprechen. Das ist eine enorme psychische Belastung.

Auch die Behörden geben ihr Bestes, um die Geflüchteten zu integrieren und ihnen Wohnraum zur Verfü­gung zu stellen. Man muss allerdings sagen, dass die Behörden auf diese Situation nicht vorbereitet waren. Niemand hat ja mit einem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gerechnet. Manche Behör­den agieren in dieser Situation schnell und unbürokratisch. Bei anderen dauert es länger.

DÄ: Wie funktioniert die Aufnahme der Geflüchteten in das deutsche Gesundheitswesen?
Davydenko: Gut. Viele Ärztinnen und Ärzte engagieren sich enorm. Ich kenne Allgemeinmediziner, die in Hilfseinrichtungen und in der ukrainischen Community ihre Visitenkarte hinterlassen und sagen: Wenn Geflüchtete Hilfe benötigen, können sie sich immer an mich wenden. Und viele benötigen medizinische Hilfe. Denn es kommen natürlich auch chronisch kranke Menschen nach Deutschland, die jetzt auch hier ihre Medikation benötigen. Das gilt für Diabetiker ebenso wie für Geflüchtete, die schon vor dem Krieg an einer Depression litten.

Krieg gegen die Ukraine: Hilfsbereitschaft bleibt hoch

Während der Krieg gegen die Ukraine andauert, bleibt das Engagement von Ärztinnen und Ärzten hoch, den Kriegsopfern zu helfen. Viele haben sich für einen Einsatz in der Ukraine registrieren lassen. Zugleich bereiten sich die Unfallchirurgen auf die Versorgung von Kriegsverletzten vor.

DÄ: Bieten Sie auch Hilfe an?
Davydenko: Ja. In der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz arbeiten neben mir noch eine Ärztin und eine Krankenpflegerin, die aus der Ukraine stammen. Wir bieten jetzt psychiatrische Hilfe für Geflüchtete an, die an einer psychischen Erkrankung leiden. Wir haben dafür Flyer in ukrainischer und russischer Sprache entworfen und auf unsere Website gestellt. Zudem infor­mieren auch wir Hilfsorganisationen und die ukrainische Community, damit sich erkrankte Geflüchtete an uns wenden können.

Vor einigen Tagen kam zum Beispiel eine junge Frau zu uns, die in der Ukraine wegen ihrer Depression behandelt wurde. Sie ist jetzt in der Pfalz in einer ländlichen Region gelandet und wusste nicht weiter. Sie hat von unserer Initiative gehört und ist zu uns gekommen. Wir konnten ihr die Psychopharmaka verordnen, auf die sie eingestellt ist. Wir werden nun auch ihre Regelversorgung übernehmen, ihre Medi­ka­tion dauerhaft sicherstellen und ihre Blutwerte kontrollieren. Wir rechnen die Leistungen bislang über das Sozialamt ab. Bis die Vergütung über die Krankenkassen läuft, wird es wohl noch etwas dauern.

DÄ: Was können Ärztinnen und Ärzte tun, um den Menschen in der Ukraine und den Geflüchteten zu helfen?
Davydenko: Grundsätzlich können sie dasselbe tun, was alle Bürger tun können: Sie können ukrainische Familien bei sich aufnehmen, wenn sie die Möglichkeit und den Wunsch dazu haben. Sie können sich an Hilfsorganisationen wenden und ihre Unterstützung anbieten. Sie können auch dabei helfen, Hilfsliefe­run­gen mit Arzneimitteln und Medizinprodukten an die ukrainische Grenze zu schicken. Viele Kranken­häuser und Arztpraxen engagieren sich ja in diesem Bereich. Und sie können Geld spenden.

DÄ: Welches ist derzeit Ihre größte Sorge?
Davydenko: Meine größte Sorge ist, dass der Krieg gegen die Ukraine noch lange anhalten wird. Leider sieht es derzeit aber danach aus. Ich hoffe deshalb sehr, dass die Hilfsbereitschaft und das Engagement der Deutschen auch weiterhin anhalten. Ich weiß: Nach zwei Jahren Coronapandemie sind viele Men­schen in Deutschland erschöpft. Ich hoffe dennoch, dass sie nicht müde werden, den Opfern des Krieges zu helfen. © fos/aerzteblatt.de

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