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Medizin

Anthony Fauci: Herdenimmunität bei COVID-19 kein erstrebenswertes Ziel mehr

Freitag, 1. April 2022

/oxinoxi, stock.adobe.com

Bethesda – Eine klassische Herdenimmunität, die die Grundlage für die Eradikation von SARS-CoV-2 bilden könnte, ist nach Ansicht von Anthony Fauci nicht mehr möglich und auch nicht notwendig. Die in den letzten beiden Jahren durch Erkrankungen erreichte Hintergrundimmunität sollte zusammen mit Impfstoffen, antiviralen Medikamenten und monoklonalen Antikörpern ausreichen, um trotz der weiteren Zirkulation der Viren zur Normalität zurückzukehren, schreibt der Direktor des US-National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) mit Kollegen im Journal of Infectious Diseases (2022; DOI: 10.1093/infdis/jiac109).

Die Herdenimmunität war nach dem Beginn der Pandemie das Mantra der Virologen. Sie wurden nicht müde, der Öffentlichkeit zu erklären, dass die Epidemie vorüber sei, wenn 2/3 der Bevölkerung durch Erkrankungen oder Impfung schützende Antikörper im Blut haben. Inzwischen dürften die meisten Länder eine noch höhere Seroprävalenz in der Bevölkerung erreicht haben, doch die Zahl der Infektionen ist mit jeder neuen Variante von SARS-CoV-2 weiter gestiegen.

Die Virologen haben erkannt, dass die Erfahrungen, die mit dem Polio- und dem Masernvirus, den klassi­schen Vorbildern für die Herdenimmunität, gemacht wurden, nicht auf SARS-CoV-2 übertragbar sind. Dies liegt zum einen daran, dass SARS-CoV-2 anders als die Erreger von Polio und Masern nicht „phänotypisch stabil“ ist, schreibt Fauci zusammen mit seinen Kollegen David Morens und Gregory Folkers.

SARS-CoV-2 gehört vielmehr zu den Viren, die ihr Erbgut ständig variieren. Außerdem habe man bei Polio und den Masern die Erfahrung machen müssen, dass eine Herdenimmunität nicht vor Ausbrüchen schützt. Sie bleiben möglich, sobald es einzelne Gruppen in der Gesellschaft mit einem geringeren Impfschutz gebe. In diesem Fall komme es schnell zu importierten Infektionen, was bei Polio und Masern zur Realität gehört. Die Herdenimmunität mag in der Theorie ein nützliches Instrument sein, um den Verlauf von Epidemien zu beschreiben, so Fauci, als praktisches Mittel für die Bekämpfung von Epide­mien sei sie jedoch nicht ausreichend geeignet.

Fauci vergleicht die Erfahrungen, die in den letzten beiden Jahren mit COVID-19 gemacht wurden, mit der Influenza. Eine Grippe hinterlasse ebenfalls nur eine zeitlich begrenze Immunität, der sich die Viren in jedem Jahr durch einen antigenen Drift entziehen können (weshalb jedes Jahr ein neuer Impfstoff konzipiert werden muss). In größeren Abständen komme es durch Antigenshifts zur Entstehung neuer Viren, die dann eine schwere Pandemie auslösen, bevor sie in abgeschwächter Form als endemische Viren für saisonale Ausbrüche verantwortlich sind. Fauci verweist auf das Virus der Spanischen Grippe von 1918, dessen Nachfahren auch heute noch, wenn auch in abgeschwächter Form für saisonale Epide­mien und manchmal auch für Pandemien verantwortlich sind.

Es sei in den letzten 80 Jahren nicht gelungen, die Grippe durch Impfstoffe vollständig zu kontrollieren. Eine ähnliche Entwicklung sehen die US-Forscher für SARS-CoV-2 voraus. Es werde wahrscheinlich un­möglich sein, SARS-CoV-2 auszurotten, wie dies bisher nur mit einem menschlichen Virus, dem Pocken­erreger, gelungen sei. SARS-CoV-2 werde deshalb auch in Zukunft trotz Impfstoffen jedes Niveau einer Herdenimmunität überwinden und bei passenden Voraussetzungen neue Epidemien auslösen.

Dennoch sind die US-Experten optimistisch. Nach mehr als 2 Jahren einer Viruszirkulation und mehr als 1 Jahr mit Impfungen und Auffrischungen könnte inzwischen ein hoher Grad an Hintergrundimmunität in der Bevölkerung gegen SARS-CoV-2 entstanden sein, der schwere Epidemien seltener mache. Außerdem stünden mit antiviralen Medikamenten und monoklonalen Antikörpern Mittel zur Verfügung, die bei recht­zeitiger Diagnose ein Fortschreiten der Krankheit verhindern können.

Mit diesen Interventionen könne es gelingen, das Virus unter Kontrolle zu bringen, ohne dafür die Stö­rungen der Gesellschaft in Kauf zu nehmen, die in den letzten zwei Jahren durch COVID-19 verursacht wurden. „Wir brauchen das schwer fassbare Konzept der Herdenimmunität nicht mehr als erstrebens­wertes Ziel“, schreibt Fauci: „Die Kontrolle von COVID-19 ist bereits in greifbarer Nähe.“ © rme/aerzteblatt.de

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