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Herz und Lunge: Digitale Therapieansätze bewähren sich

Dienstag, 5. April 2022

/freshidea, stock.adobe.com

Berlin – Die Digitalisierung des Gesundheitswesens erfreut sich unter Leistungserbringern nicht immer großer Beliebtheit. Was oft vergessen wird: Sie besteht aus weit mehr als elektronischer Arbeitsunfähig­keitsbescheinigung (eAU) und elektronischem Rezept (E-Rezept).

Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) zeigte gestern auf, wie digitale Ansätze die Patien­ten­ver­sorgung bei internistischen Erkrankungen sinnvoll ergänzen können. So hat beispielsweise ein Team der Universitätsmedizin Essen ein Programm zur telemedizinischen Überwachung der Lungenfunk­tion per Smartphone-App und Bluetooth-Spirometer entwickelt, das bei Patienten und Ärzten gleicher­maßen auf große Zustimmung trifft.

Digitale Tools können es Patienten mit Lungenerkrankungen ermöglichen, mit geringem Aufwand eine deutlich engmaschigere Therapie zu erhalten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universitäts­me­dizin Essen (DOI: 10.1007/s00108-022-01266-3): 745 Patienten, die an Asthma, chronisch-obs­truk­tiver Lungenerkrankung (COPD) oder anderen Lungenerkrankungen litten oder zuvor an COVID-19 erkrankt waren, erhielten dabei ein E-Spirometer, mit dem sie von zuhause aus ihr Lungen- und Atemvo­lumen messen konnten.

Hierzu erhielten sie eine App namens Sani-Q: Über Bluetooth erhält sie die Daten des Spirometers und leitet die Messergebnisse sowie weitere freiwillige Daten wie Gewicht, Medikamenteneinnahme oder ähnliches Ende-zu-Ende-verschlüsselt an die Studienzentren übermitteln konnten. Dort werteten die Ärzte sie aus. Die Patienten können ihre Daten wie in einer elektronischen Patientenakte über ein Dash­board betrachten und darüber hinaus mit ihren behandelnden Ärzten kommunizieren, genauso wie um­gekehrt.

„Die Studie wurde zu Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie aufgesetzt, um besonders vulnerablen Gruppen mit Lungenerkrankungen eine fortgesetzte Versorgung mittels Telemonitoring zu ermöglichen“, erklärte Christoph Schöbel, Leiter des Instituts für Schlaf- und Telemedizin an der Universitätsmedizin Essen und Vorsitzender der DGIM-Arbeitsgruppe Telemedizin, der die Studie mitverfasst hat. „Es war keine randomi­sierte Studie, denn wir wollten möglichst schnell möglichst viele Erfahrungen sammeln.“

Dreimal mehr Messungen als in der Regelversorgung

Die gesammelten Erfahrungen waren laut Schöbel durchweg positiv, allen voran bei der Messadhärenz und der Kommunikation zwischen Arzt und Patient. „Wir konnten in der Tat deutlich hochfrequentere Messungen feststellen“, so Schöbel.

Mehr als 100.000 Messungen seien im Versuchszeitraum durchgeführt wurden, wobei zwei Drittel der Pa­tien­ten mindestens einmal im Monat das Spirometer benutzten und mit 48,5 Prozent knapp die Hälfte sogar mindestens einmal pro Woche. In der Regelversorgung in der Praxis wird hingegen meist nur eine Messung pro Quartal vorgenommen.

„Dank der einfachen Datenübertragung per App lagen uns mehr Daten vor, die Aufschluss über die Lungenfunktion der Patientinnen und Patienten gaben. So können wir deutlich früher erkennen, wenn sich der Zustand eines Patienten verschlechtert und frühzeitig nötige Behandlungsschritte ergreifen“, so Schöbel.

Die deutlich höhere Frequenz habe aber nicht nur den Vorteil einer besseren Datengrundlage für die The­rapie, sondern habe auch das Krankheitsverständnis und Selbstmanagement der Patienten verbes­sert, beispielsweise bei der Medikamenteneinnahme.

„Es ist wichtig, zu verstehen, dass das Programm nicht nur eine Kontrolle ist, sondern dass die Patienten dadurch auch eine höhere Kompetenz erlangen. Wir werden künftig mit den Patienten stärker auf Augen­höhe reden“, zeigte sich Schöbel überzeugt.

99 Prozent der Patienten bewerteten das Programm bei der anschließenden Befragung positiv, 70 Pro­zent gaben an, dass es zu einer Verbesserung ihrer Lebensqualität beigetragen habe. Auch die beteiligten Ärzte attestierten dem Programm einen hohen Nutzen.

Außerdem sei es ein Erfolgsbeispiel: „Auch in der Coronapandemie konnten wir kurzfristig eine digitale Versorgung erfolgreich implementieren mit guter Akzeptanz bei Ärzten und Patienten – den beiden wichtigsten Stakeholdern in diesem Prozess“, so Schöbel. Noch handele es sich um eine Insellösung. Es sei wichtig, solche Ansätze künftig verstärkt in Disease-Management-Programme aufzunehmen.

Das gilt nicht nur für Lungenerkrankungen. Auch in der Kardiologie wachsen Nutzen und Möglichkeiten digitaler Medizin. Ähnlich wie beim Monitoring der Lungenfunktion können auch kardiologische Daten mittels invasiver und nicht-invasiver Methoden engmaschiger überwacht werden, erklärte Sebastian Spethmann, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie an der Berliner Charité.

Die Anwendungen in dem Bereich seien „ein gutes Beispiel dafür, wie Evidenzen in die Regelversorgung kommen“. Die Bandbreite der Möglichkeiten erklärte daraufhin Dennis Lewin, wissenschaftlicher Mitar­beiter an der Medizinischen Fakultät der Universität Bielefeld.

Vorhofflimmern mit der Handykamera erkennen

Insbesondere Vorhofflimmern lasse sich mittlerweile dank Smartphone-Apps und KI-Algorithmen mit geringen Mitteln immer zuverlässiger detektieren. EKG-basierte Verfahren können über Smartwatches, Wearables oder Handheld Devices kontinuierlich Daten generieren. Allein das sei schon ein großer Fort­schritt. „Wir erfassen derzeit nur episodisch Daten, indem wir beispielsweise ein EKG machen. Aber alles, was dazwischenliegt, wird dabei nicht erfasst“, so Lawin.

Er selbst habe schon Patienten erlebt, bei denen sogar im Langzeit-EKG keine ausreichende Belege Herzrhythmusstörungen gefunden werden konnten, obwohl sie selbst über Symptome klagten. Erst als sie sich Smartwatches zugelegt und dauerhaft Daten erhoben hatten, habe man daraus die richtigen Schlüsse ziehen können.

Und die technische Entwicklung gehe weiter: Mittlerweile werde auch die Photoplethysmografie über Smartphones immer zuverlässiger: Dabei legt der Nutzer einfach seinen Finger auf die Kamera des Smartphones. Deren Blitzlicht geht an und durchleuchtet die Fingerbeere des Nutzers, wobei Blutvo­lumenänderungen im mikrovaskulären Gewebebett erfasst werden können – so werden Pulswellen aufgezeichnet, die bereits ausreichen, um Vorhofflimmern festzustellen.

Aktuelle Studien deuten auf eine sehr gute Spezifität und Sensitivität des Verfahrens hin, die Leitlinien schreiben aber weiterhin ausschließlich EKG zur Diagnose von Vorhofflimmern vor. Für Lawin ergibt sich daraus ein Auftrag: „Es fehlen Studien im Alltag. Wir brauchen definitiv mehr Evidenz, um festzustellen, wo sich diese Anwendungen bei Vorhofflimmern lohnen und wo nicht.“ © lau/aerzteblatt.de

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