Medizin
US-Studie: Auch milde Schwangerschaftshypertonie profitiert von einer Behandlung mit Labetalol oder Nifedipin
Freitag, 22. April 2022
Birmingham/Alabama – Die frühzeitige Behandlung einer milden Hypertonie hat in einer randomisierten US-Studie die Rate von Präeklampsien und anderen Komplikationen in der Schwangerschaft gesenkt, ohne dass es zu einem signifikanten Anstieg von Mangelgeburten oder anderen Komplikationen beim Neugeborenen kam. Die Ergebnisse wurden im New England Journal of Medicine (2022; DOI: 10.1056/NEJMoa2201295) publiziert.
Die Zahl der Frauen, die bereits in der Frühphase der Schwangerschaft einen erhöhten Blutdruck haben, ist in den letzten Jahrzehnten infolge eines höheren Alters der Mütter und vor allem einer Zunahme der Adipositas deutlich gestiegen. Die Risiken der Schwangerschaftshypertonie sind bekannt. Dazu gehören nicht nur Präeklampsie oder Eklampsie, die oft eine frühzeitige Einleitung der Geburt erforderlich machen. Ein deutlich erhöhter Blutdruck kann auch einen Schlaganfall, eine Herzinsuffizienz, ein Lungenödem oder ein akutes Nierenversagen auslösen. Weitere Risiken sind eine vorzeitige Plazentaablösung, Frühgeburten, intrauterine Wachstumsstörungen und ein perinataler Tod.
Eine frühzeitige Behandlung der Hypertonie kann Mutter und Kind schützen. Dennoch sind die Leitlinien in der Regel zurückhaltend bei der Empfehlung einer medikamentösen Behandlung. Es wird befürchtet, dass die Behandlung die Durchblutung der Plazenta vermindert und dadurch die Versorgung des Feten gefährdet. Diuretika gelten deshalb in der Schwangerschaft als kontraindiziert. Als nicht geeignet werden auch ACE-Hemmer und Angiotensinantagonisten bewertet, weil sie im Verdacht stehen, Fehlbildungen auszulösen oder die Nieren der Feten zu schädigen. Andere Antihypertonika werden vermieden, weil ihre Sicherheit in der Schwangerschaft nicht bekannt ist. In Deutschland ist Alpha-Methyldopa Mittel der 1. Wahl. In angelsächsischen Ländern werden der Betablocker Labetalol und der Kalziumantagonist Nifedipin bevorzugt.
Die meisten Leitlinien, so auch in Deutschland, raten derzeit nur bei einer schweren Hypertonie mit Blutdruckwerten über 160/110 mm Hg zu einer medikamentösen Therapie. Als Zielwerte werden hierzulande 130-150 mm Hg systolisch und 80-100 mm Hg diastolisch angestrebt. Diese Werte sind aus kardiologischer Sicht zu hoch, Gynäkologen verweisen jedoch darauf, dass die Sicherheit einer aggressiveren Blutdrucksenkung bisher nicht erwiesen ist.
Die bisher einzige größere randomisierte Studie, die Nutzen und Risiken einer engeren Blutdruckeinstellung untersucht hat, war die kanadische CHIPS-Studie („Control of Hypertension in Pregnancy Study“). Dort war es zwar gelungen, den Blutdruck auf 133/85 mm Hg und die Häufigkeit von schweren Hypertonien (160/110 mm Hg oder höher) von 40,6 % auf 27,5 % zu senken. Die Studie war mit 987 Teilnehmerinnen zu klein, um Auswirkungen auf die Morbidität von Mutter und Kind zu untersuchen.
Jetzt liegen die Ergebnisse der größeren CHAP-Studie vor („Chronic Hypertension and Pregnancy“), an der an 61 US-Zentren 2.408 Schwangere teilnahmen, bei denen bereits vor der 23. Gestationswoche der Blutdruck erhöht war mit einem systolischen Wert von 140-160 mm Hg systolisch oder einem diastolischen Wert von 90-105 mm Hg.
Die Frauen wurden in einer offenen randomisierten Studie zu gleichen Teilen auf eine antihypertensive Behandlung (Zielwert 140/90 mmHg) oder eine Standardbehandlung randomisiert. Dort wurde nur interveniert, wenn die Blutdruckwerte auf über 160/105 mm Hg anstiegen. Die bevorzugten Mittel waren Labetalol oder Nifedipin mit verlängerter Wirkstofffreisetzung.
Der primäre Endpunkt war eine Kombination aus einer schweren Präeklampsie (schwere Hypertonie und Proteinurie oder Hypertonie oder andere schwere Merkmale), eine medizinisch indizierte Frühgeburt (in der Regel wegen der Präeklampsie) vor der 35. Schwangerschaftswoche, eine Plazentaablösung oder ein perinataler Tod.
Der primäre Sicherheitsendpunkt war die Inzidenz von SGA-Mangelgeburt („small for gestational age“) mit einem Gewicht unter der 10. und 5. Perzentile für das Gestationsalter.
Wie Alan Tita von der Universität von Alabama in Birmingham und Mitarbeiter berichten, wurde der Blutdruck in der Behandlungsgruppe auf 129,5/79,1 mm Hg gesenkt gegenüber 132,6/81,5 mm Hg in der Kontrollgruppe. Die Unterschiede waren mithin nicht groß. Sie reichten aber aus, die Inzidenz des primären Endpunkts von 37,0 % auf 30,2 % zu senken. Tita und Mitarbeiter ermitteln eine adjustierte Rate Ratio von 0,82, die mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,74 bis 0,92 signifikant war.
Den größten Anteil am primären Endpunkt hatten Präeklampsien mit schweren Merkmalen, deren Inzidenz von 29,1 % auf 23,3 % zurückging (adjustiert Rate Ratio 0,80; 0,70-0,92), und medizinisch indizierte Frühgeburten, deren Inzidenz von 16,7 % auf 12,2 % sank (adjustiert Rate Ratio 0,73; 0,60-0,89). Plazentaablösungen (von 1,9 % auf 1,7 %) und ein neonataler Tod (von 4,3 % auf 3,5 %) wurden ebenfalls vermindert, allerdings konnte der Unterschied wegen der geringen Teilnehmerzahl keine Signifikanz erreichen.
Auch in vielen sekundären Endpunkten zeigte sich ein Vorteil der Blutdrucksenkung. Die Zahl der Endpunkte war allerdings so groß, dass sich hier Zufallsergebnisse nicht ganz ausschließen lassen (was in der Statistik als Alphafehler-Kumulierung bezeichnet wird).
Im primären Sicherheitsendpunkt wurde ein leichter Anstieg der SGA-Geburten unter der 10. Perzentile von 10,4 % auf 11,2 % gefunden. Die adjustierte Rate Ratio von 1,04 war jedoch mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,82 bis 1,31 nicht signifikant. SGA-Geburten unter der 5. Perzentile traten unter der intensiven Blutdrucksenkung mit 5,1 % versus 5,5 % etwas seltener auf. Die adjustierte Rate Ratio von 0,89 ist mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,62 bis 1,26 jedoch nicht sehr aussagekräftig.
Ob die Ergebnisse die Leitlinien verändern werden, bleibt abzuwarten. Das „American College of Obstetricians and Gynecologists“ (ACOG) dürfte die Indikation ausweiten und die Zielwerte senken. Für die Leitlinienautoren hierzulande dürften einige US-amerikanische Besonderheiten zu denken geben. Dazu gehört, dass in beiden Studien etwa 45 % der Patientinnen vor Beginn der Studie ASS einnahmen. Bis zur Entbindung stieg der Anteil auf über 75 % an. Insgesamt 47,5 % der Teilnehmerinnen waren Afroamerikanerinnen, die ein erhöhtes Risiko auf eine Schwangerschaftshypertonie haben. Mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen waren Medicaid-Empfänger und damit sozioökonomisch benachteiligt. Auch der Body-Mass-Index von 37,5 war für die Frühschwangerschaft ungewöhnlich hoch. © rme/aerzteblatt.de
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