Politik
Fallzahlrückgänge im Krankenhaus halten an
Dienstag, 5. April 2022
Berlin – Die stationären Fallzahlen sind auch im zweiten Jahr der Coronapandemie nicht wieder auf das Niveau angestiegen, auf dem sie zuvor gelegen haben. Waren die somatischen Fälle 2020 um 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen, lagen sie 2021 um 14 Prozent niedriger als 2019.
Das geht aus dem AOK Krankenhaus-Report 2022 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hervor, der heute in Berlin vorgestellt wurde. Die Rückgänge betreffen dabei sowohl schwere Erkrankungen wie Herzinfarkte, Schlaganfälle und Tumorerkrankungen als auch – in stärkerem Maße – planbare Leistungen wie Hüfttotalendoprothesen und Tonsillektomien.
Die Zahl der im Krankenhaus versorgten Herzinfarkte war 2020 um sieben Prozent zurückgegangen. 2021 lag der Rückgang bei neun Prozent im Vergleich zu 2019.
„Eine Detailanalyse zeigt, dass in den Kliniken dabei eher die schweren Fälle angekommen sind“, erklärte der Geschäftsführer des WIdO, Jürgen Klauber. Dies weise darauf hin, dass Patientinnen und Patienten mit milderen Symptomen vielfach nicht oder nur verzögert den Rettungsdienst alarmiert haben.
Deutlich weniger Darmkrebsoperationen
Die Zahl der stationär versorgten Schlaganfälle war 2020 um fünf Prozent zurückgegangen. 2021 lag der Rückgang bei sieben Prozent. Der Rückgang bei den Brustkrebsoperationen hat sich 2021 mit minus ein Prozent deutlich abgeschwächt (2020: minus fünf Prozent), während bei den Darmkrebsoperationen der Rückgang mit minus 13 Prozent gegenüber 2019 sogar noch stärker ausgeprägt war als im ersten Pandemiejahr (2020: minus zehn Prozent).
Außerdem wurden dem Report zufolge in den Krankenhäusern pandemiebedingt weniger Darmspiegelungen durchgeführt (minus 15 Prozent im Jahr 2020, minus 18 Prozent im ersten Halbjahr 2021). „Hier steht die Befürchtung im Raum, dass fehlende Diagnostik und spätere Behandlung zu mehr schweren Krebserkrankungen, höheren Tumorstadien bei der Erstdiagnostik und einer Erhöhung der Sterblichkeit führen“, so Klauber. In den Krebsregistern seien diese Effekte bisher allerdings noch nicht sichtbar.
Tonsillektomien um 49 Prozent zurückgegangen
Stark zurückgegangen sind die Fallzahlen bei der Implantation künstlicher Hüftgelenke (2021: minus zehn Prozent, 2020: minus elf Prozent), bei der Entfernung der Gebärmutter bei gutartigen Erkrankungen (2021: minus 16 Prozent, 2020: minus 14 Prozent) und bei Mandelentfernungen (2020: minus 33 Prozent, 2021: minus 49 Prozent).
Klauber wertete dies als Zeichen dafür, dass es bei diesen Indikationen zuvor eine Überversorgung in den deutschen Krankenhäusern gegeben habe. Die Leistungen seien zuvor tendenziell zu häufig und teilweise ohne leitliniengerechte Indikationsstellung durchgeführt worden. Insofern sei eine vollständige Rückkehr zum Fallzahlniveau von vor der Pandemie keineswegs sinnvoll.
Starke Einbrüche zum Jahresbeginn
Auch bei den ambulant-sensitiven Krankenhausfällen, die nicht zwangsläufig im Krankenhaus versorgt werden müssten, hielten die Fallzahlrückgänge 2021 an. Sie reichten 2021 von minus 13 Prozent bei der Behandlung von Herzinsuffizienzen bis zu minus 34 Prozent bei der Behandlung der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD).
Besonders hoch war der Fallzahlrückgang in den ersten beiden Monaten des Jahres 2022. Hier lagen die Rückgänge im somatischen Bereich bei minus 22 Prozent und im psychiatrischen Bereich bei minus 14 Prozent.
„Der Hauptgrund für die aktuellen Einbrüche sind die hohen Infektionszahlen in der Bevölkerung, die zu deutlichen Personalengpässen in den Krankenhäusern und in der Folge zur Absage von Behandlungen und Operationen führen“, erklärte Klauber.
Umwandlung in Gesundheitszentren
Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, forderte vor dem Hintergrund dieser Zahlen eine weitere Konzentration von Krankenhausleistungen in Zentren, mehr Kooperationen und eine stärkere Spezialisierung der Krankenhäuser.
Die anstehende Struktur- und Finanzreform im Krankenhausbereich müsse für einen „klug geplanten, gesteuerten und qualitätsorientierten Umbau der Versorgungsstrukturen“ genutzt werden, meinte sie.
Die im Krankenhaus-Report gezeigten Fallzahleinbrüche bei den ambulant-sensitiven Diagnosen seien dabei ein deutlicher Hinweis darauf, dass in Deutschland wesentlich mehr Krankenhausfälle ambulant versorgt könnten als bisher.
Reimann betonte ausdrücklich, dass Krankenhäuser im Rahmen des Konzentrationsprozesses nicht geschlossen werden sollten, sondern dass sie in „interprofessionelle Gesundheitszentren“ umgewandelt werden sollten, in denen ambulante Leistungen erbracht und Patienten kurzzeitig in Überwachungsbetten aufgenommen werden könnten.
AOK: Krankenhausstrukturen sind nicht zukunftsfähig
Durch eine stärkere Konzentration der Krankenhausleistungen könne man auch die Ärzte und Pflegekräfte entlasten, meinte Reimann. „Die Pandemie lässt erkennen, dass die stationären Strukturen im Krankenhaus nicht zukunftsfähig sind“, sagte sie. „Wir verteilen unsere gut ausgebildeten Mediziner und Pflegekräfte auf viel zu viele Klinikstandorte.“ Dies sei ineffizient und erhöhe die Arbeitsbelastung der Mitarbeitenden.
Schließlich sei es auch zu teuer, die bisherigen Krankenhausstrukturen zu finanzieren. Angesichts der anstehenden Finanzierungslücke in der gesetzlichen Krankenversicherung sei es jetzt wichtig, im Rahmen der Krankenhausreform die ineffizienten Strukturen zu reformieren.
COVID-19 sollte vor allem in Zentren behandelt werden
Auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN), Christian Karagiannidis, sprach sich für eine stärkere Konzentration der Versorgung aus, insbesondere im Bereich der Intensivstationen.
Von den etwa 1.500 somatischen Krankenhäusern in Deutschland hätten 329 über 60 Prozent der COVID-19-Fälle behandelt. Dabei handelte es sich um Kliniken mit durchschnittlich 686 Betten. „Die Versorgung dieses Krankheitsbildes ist sehr komplex und aufwendig und sollte in erster Linie an Schwerpunktzentren mit entsprechender Ausstattung und Erfahrung erfolgen“, forderte Karagiannidis. „Dies gilt besonders, wenn die Patientinnen und Patienten beatmet oder sogar an eine künstliche Lunge angeschlossen werden müssen.“
Die Sterblichkeit der stationär behandelten COVID-19-Patienten liegt dem Report zufolge bei 19 Prozent. Bei den Beatmeten ist sie mit 51 Prozent deutlich höher. In der Altersgruppe der über 80-Jährigen liegt die Sterblichkeit bei 76 Prozent. Karagiannidis stellte die Frage, ob es angesichts dieser Zahlen wirklich sinnvoll sei, eine Intensivtherapie bei so hochaltrigen Patienten durchzuführen. In anderen Ländern sei dies nicht üblich.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) stimmte dem AOK-Bundesverband in mehreren Punkten zu. „Richtig ist die Analyse der AOK, dass wir einen klug geplanten und gesteuerten Umbau der Versorgungsstrukturen brauchen und dass damit der bisher kalte Strukturwandel beendet werden muss“, kommentierte der Vorstandsvorsitzende der DKG, Gerald Gaß.
„Dieser Strukturwandel sollte nicht das primäre Ziel haben, Krankenhausstandorte ersatzlos aufzugeben, sondern das Leistungsgeschehen orientiert am Versorgungsbedarf der Menschen in den Regionen neu zu ordnen.“ Richtig liege der AOK-Bundesverband zudem, wenn er fordere, die ambulanten Potenziale der Krankenhäuser besser zu nutzen.
Aus Sicht der DKG zeigten die Fallzahlrückgänge in den vergangenen zwei Jahren hingegen nicht, dass die bisherigen Leistungen nicht benötigt werden oder nun komplett ambulant erfolgen könnten.
Vielmehr zeigten gerade die Zahlen bei Herzinfarkt und Schlaganfall, dass viele leichtere Fälle überhaupt nicht behandelt wurden, weil Patienten aus Angst vor Infektion oder Überlastung das Krankenhaus gemieden hätten. „Auch bei Darmkrebspatienten müssen wir gravierende Spätfolgen befürchten, da in hoher Zahl Früherkennungsbehandlungen nicht mehr stattfanden“, meinte Gaß. © fos/aerzteblatt.de

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