Vermischtes
Medizintourismus in Deutschland geht zurück
Donnerstag, 21. April 2022
Berlin/Hamburg/München – In jüngster Zeit sind viele Medizintouristen aus dem Ausland weggeblieben. In den Berliner Vivantes-Kliniken ging die Zahl sogenannter Medizintouristen zuletzt sogar so stark zurück, dass der landeseigene Krankenhauskonzern Ende März seine zentrale Abteilung für internationale Patienten aufgelöst hat.
Wirtschaftswissenschaftlerin Mariam Asefi von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg geht davon aus, dass mit Datenstand 2018 ausländische Patienten deutschen Krankenhäusern noch etwa 1,2 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen jährlich gebracht haben. Rund eine Viertelmillion Patienten aus über 180 Ländern wurden demnach stationär oder ambulant behandelt. Fast zwei Drittel aller Auslandspatienten kamen aus der EU, die meisten aus Polen.
Aktuellere Zahlen würden noch aufgearbeitet, sagt die Medizintourismusexpertin. Im Gespräch mit der dpa erklärt sie aber bereits, wie stark sich mehrere Faktoren auf die zurückliegenden Jahre auswirkten. Durch Corona sei die Einreise oft nicht möglich gewesen oder der Aufnahmestopp vieler Kliniken habe die Behandlung ausländischer Patienten verhindert. Neben der Pandemie sorge auch der Ukraine-Krieg dafür, dass weniger Privatpatienten aus Russland kämen, sagt Asefi.
Dabei sei der Medizintourismus aus Russland einer der Fokusmärkte und für viele deutsche Kliniken finanziell bedeutsam gewesen. Neben Patienten aus Deutschlands Nachbarländern sei auch die Gruppe von Menschen aus dem arabischen Raum bedeutungsstark. Auch diese Märkte unterlägen zuletzt starken Aufs und Abs.
Das Aus der zentralen Abteilung in Berlin begründete ein Vivantes-Sprecher kürzlich gegenüber der dpa mit den veränderten Märkten: So würden Länder auf der Arabischen Halbinsel andere Schwerpunkte setzen und Verträge mit anderen Ländern schließen.
Nicht-EU-Patienten würden direkt durch spezialisierte Fachbereiche an ausgewählten Klinikstandorten betreut. Auch die Pandemie und Reisebeschränkungen hätten bei Vivantes zu einem Rückgang der Zahlen und einem geringen Umsatz geführt. Wegen des Ukraine-Krieges sei damit zu rechnen, dass die Patientenzahl aus Russland stark abnehmen werde. Die Entscheidung, die Abteilung zu schließen, sei aber schon 2021 gefallen und habe mit dem Krieg nichts zu tun.
In anderen großen deutschen Kliniken sind viele Medizintouristen zuletzt ebenfalls ausgeblieben: Am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München sei das Auslandsgeschäft in zwei Jahren Pandemie „weitgehend zum Erliegen gekommen“, sagt eine Sprecherin. „Es wird sich mit der Zeit zeigen, ob und wie sich die Patientenflüsse im Bereich des Medizintourismus wieder einpendeln.“
Zwar sei die Zahl ausländischer Patienten am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) seit Jahren stabil, betont eine Sprecherin. In der Pandemie habe es aber auch Einschnitte gegeben – nicht wegen fehlender Anfragen, sondern weil der Vorstand entschieden habe, Betten nicht mit ausländischen Patienten zu belegen.
Aus anderen Hamburger Kliniken heißt es, die Zahl der Patienten aus Russland sei zuletzt zurückgegangen. Allerdings sei das nicht so dramatisch, dass eine Abteilung geschlossen werden müsste. Es kämen weniger Menschen aus Russland, weil die Reise nur über die Türkei oder Finnland möglich sei. Zudem fühlten sie sich in Deutschland nicht so willkommen. Besonders die Hamburger Onkologie habe einen guten Ruf bei Tumorpatienten aus Russland, weshalb manche weiterhin kämen. Natürlich habe auch Corona zu einem Rückgang geführt.
Generell sei das Geschäft vom Standort in Deutschland und dem jeweiligen Markt im Ausland abhängig, resümiert Asefi. Schließlich unterliege der Zweig externen Faktoren. Das Beispiel Vivantes und die Schließung einer ganzen Abteilung sieht sie aber eher als Einzelfall – nicht als Signal für den kompletten Einbruch des Medizintourismus in Deutschland. Schwankungen seien schon vor Corona nicht ungewöhnlich gewesen. „Langfristig wird sich das wieder erholen.“
Künftig könnten zudem neue Märkte für Deutschland relevanter werden – etwa durch mehr Patienten aus Kasachstan, Georgien, Rumänien oder weiteren Staaten. © dpa/aerzteblatt.de

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