Medizin
COVID-19: WHO empfiehlt Paxlovid bei leichten Erkrankungen und befürchtet Benachteiligung ärmerer Länder
Freitag, 22. April 2022
Genf – Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine starke Empfehlung („strong recommendation“) für das Virustatikum Paxlovid (Nirmatrelvir/Ritonavir) bei nicht-schweren Erkrankungen abgegeben.
Ein gesicherter Nutzen besteht laut der im Britischen Ärzteblatt (BMJ, 2022; DOI: 10.1136/bmj.m3379) publizierten Living Guideline bei Patienten mit dem höchsten Risiko auf eine Krankenhauseinweisung.
In dieser Gruppe wird erstmals auch eine bedingte Empfehlung („conditional recommendation“) für Remdesivir ausgesprochen. In einer Pressemitteilung fordert die WHO eine gerechtere Verteilung und mehr Transparenz von Seiten des Herstellers.
Nirmatrelvir/Ritonavir gehört neben Molnupiravir zu den neuen Virustatika, die im Gegensatz zu Remdesivir oral verfügbar sind, was den Einsatz bei Patienten erleichtert, die zu Beginn der Infektion nicht schwer erkrankt sind. Die WHO hatte Molnupiravir bereits in der letzten Version der Leitlinie vom 1. März 2022 berücksichtigt. Es wurde allerdings nur eine bedingte oder schwache Empfehlung ausgesprochen für Patienten mit dem höchsten Risiko auf eine Hospitalisierung, weil es Bedenken zur langfristigen Sicherheit von Molnupiravir gibt. Sie betreffen den Verdacht einer Karzinogenität, der sich auf die Ergebnisse von „in vitro“-Studien und Tierversuchen gründet.
Diese Bedenken bestehen bei Nirmatrelvir und dem zur Wirkungsverstärkung zugefügten Ritonavir nicht, weshalb die Empfehlung der WHO ohne Einschränkungen positiv ausfällt. Grundlage sind die Ergebnisse aus 2 Studien (EPIC-SR und EPIC-HR), an denen 3.078 ambulant behandelte Patienten mit nicht schwerem COVID-19 teilgenommen hatten.
Nach einer Metaanalyse der WHO hat die Behandlung mit Nirmatrelvir/Ritonavir das Risiko auf eine Krankenhauseinweisung um 85 % gesenkt (Odds Ratio OR 0,15; 95-%-Konfidenzintervall 0,06 bis 0,38). Auf 1.000 Patienten kamen 84 weniger Hospitalisierungen. Die WHO sieht eine moderate Evidenz für eine Wirksamkeit.
Hinsichtlich der Senkung der Sterberate sieht die WHO nur eine niedrige Evidenz. Die Sterberate wurde zwar deutlich gesenkt (OR 0,04; 0,00 bis 0,67). Wegen der geringen Zahl von Todesfällen bei nicht-schweren Erkrankungen war die absolute Differenz mit 6 weniger Todesfällen pro 1.000 Patienten jedoch gering. Bei der Verträglichkeit gibt es keine Bedenken. In den Studien kam es nur selten zu schweren Nebenwirkungen, die zum Absetzen des Arzneimittels führten (OR 0,48; 0,29 bis 0,80; absolute Differenz 0 pro 1.000 Patienten). Die WHO sieht eine hohe Evidenz für eine gute Verträglichkeit.
Ein Hindernis für den Einsatz von Paxlovid sieht die WHO darin, dass das Medikament nur in einem frühen Stadium sinnvoll eingesetzt werden kann. Dies setze die Verfügbarkeit von schnellen und genauen Tests voraus, die in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen nicht immer gegeben sei. Die durchschnittliche Testrate liege in Ländern mit niedrigem Einkommen derzeit um den Faktor 80 niedriger als in Ländern mit hohem Einkommen. Die WHO befürchtet, dass ärmere Länder – wie bei COVID-19-Impfstoffen – erneut ans Ende der Warteschlange gedrängt werden.
Auch bei der Verfügbarkeit gebe es offene Fragen. Die WHO wirft dem Hersteller Pfizer in der Pressemitteilung eine mangelnde Transparenz vor. Sie erschwere es den öffentlichen Gesundheitsorganisationen, sich ein genaues Bild von der Verfügbarkeit des Arzneimittels zu machen. Außerdem begrenze eine von Pfizer mit dem „Medicines Patent Pool“ geschlossene Lizenzvereinbarung die Anzahl der Länder, die von der generischen Produktion des Medikaments profitieren können.
Eine 2. Änderung der Empfehlungen betrifft Remdesivir. Die WHO hatte sich im November 2020 aufgrund unklarer Studienergebnisse gegen den Einsatz ausgesprochen. Inzwischen fällt die Bewertung aufgrund der günstigen Ergebnisse der PINETREE-Studie positiv aus.
Nach den Ergebnissen einer Metaanalyse aus 5 Studien kann Remdesivir bei nicht-schwer erkrankten ambulanten Patienten das Risiko einer Krankenhauseinweisung um 75 % senken (OR 0,25; 0,06 bis 0,88). Auf 1.000 Patienten kamen 73 weniger Hospitalisierungen. Die WHO sieht eine moderate Evidenz.
Eine niedrige Evidenz bestehe hinsichtlich der Vermeidung von Todesfällen an COVID-19. Das Sterberisiko wird zwar um 32 % gesenkt (OR 0,68; 0,39 bis 1,21). Wegen der geringen Mortalität von nicht-schweren Erkrankungen bedeutet dies allerdings nur 2 weniger Todesfälle auf 1.000 Patienten. Hinsichtlich der Verträglichkeit gibt es bei allerdings niedriger Evidenz keine Bedenken.
Die WHO gibt eine schwache bis bedingte Empfehlung für Remdesivir bei Patienten mit leichten bis moderaten Erkrankungen ab. Der Einsatz bei Patienten mit schwerem oder kritischem COVID-19 werde derzeit überprüft, heißt es in der Pressemitteilung. © rme/aerzteblatt.de

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