Politik
Gesundheitskioske, Cannabis, GKV: Lauterbachs Fahrplan bis zur nächsten Welle
Mittwoch, 4. Mai 2022
Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will den Sommer für einen „Zwischenspurt in der Gesundheitspolitik“ nutzen: Er rechne mit einer erneuten Verschärfung der Coronasituation im Herbst und wolle deshalb die Zeit bis dahin mit fünf großen Reformvorhaben füllen, kündigte er heute Nachmittag in Berlin an.
Da im Herbst wieder steigende Fallzahlen zu erwarten seien, müsse die Zeit im Sommer genutzt werden, „um gesundheitspolitische Vorhaben mit Kraft anzuschieben, die im Herbst schon gut laufen müssen und sich dann nicht anschieben ließen, weil wir dann wieder Pandemiearbeiten haben“, sagte Lauterbach. Für die von ihm erwarteten steigenden Fallzahlen im Herbst wolle er noch im Mai ein „Pandemiebekämpfungskonzept“ vorlegen.
Bis das in der Praxis gebraucht werde, gebe es an der Zahl aber noch vier weitere große Vorhaben, die er in den kommenden Monaten mit Hochdruck angehen wolle: Zuallererst müsse die Digitalisierung des Gesundheitswesens vorangetrieben werden, wobei es im Wesentlichen zwei kurzfristige und ein mittelfristiges Projekt umzusetzen gebe.
Am nächsten liegt dabei die Einführung des elektronischen Rezeptes (E-Rezepts): Lauterbach kündigte an, dass der Roll-out noch in diesem Jahr erfolgen werde. Nach weit über 10.000 verarbeiteten Verordnungen könne mittlerweile von der Funktionsfähigkeit bis dahin ausgegangen werden.
Der zweite kurzfristige Punkt sei die Digitalisierung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD). Der habe sich schließlich „in der Pandemie unter anderem deshalb schwergetan, weil die Digitalisierung nicht wirklich vorbereitet war“. Die für die Digitalisierung vorgesehenen 800 Millionen Euro aus dem ÖGD-Pakt stünden dafür nach wie vor zur Verfügung, müssten aber endlich abgerufen werden.
Das mittelfristige und aus Lauterbachs Sicht wichtigste Digitalisierungsvorhaben ist für Lauterbach die elektronische Patientenakte (ePA), die „Kernanwendung“ im digitalen Gesundheitswesen, wie er vergangene Woche auf der Digitalisierungsmesse DMEA erklärte. Hier müsse in den kommenden Monaten unbedingt die Opt-out-Regelung vorangetrieben werden – also die automatische Verfügbarmachung der Daten in der ePA, die nur durch aktiven Widerspruch zurückgenommen werden kann.
Ziel sei, „dass die Regel ist, dass die Daten, die zur Verfügung stehen können, auch zur Verfügung stehen und man nicht sie nicht durch ein Opt-in-Verfahren verfügbar machen muss“, erklärte Lauterbach. „Das ist die wichtigste gesetzliche Voraussetzung für den Erfolg der elektronischen Patientenakte überhaupt.“ Ohne die Opt-out-Regelung sei schlicht keine gewinnbringende Nutzung der ePA möglich.
Das zweite seiner großen gesundheitspolitischen Vorhaben sei die Verbesserung der Strukturen im Gesundheitssystem, im Wesentlichen in zwei Bereichen: den Krankenhausstrukturen und den niederschwelligen Strukturen in der Versorgung von Patienten, die in Problembezirken mit schlechter Versorgung leben. Welche Reformen auf die Krankenhäuser zukommen, hängt auch von den Empfehlungen der Kommission ab, die Lauterbach vorgestern bekanntgab.
Die Kommission werde er auch mit Vorschlägen konfrontieren müssen, die gerade im Bundesgesundheitsministerium (BMG) erarbeitet werden. Konkret gehe es um eine Reform der Finanzierung der Kinderheilkunde und Geburtshilfe: Die Versorgung in diesen Bereichen müsse anders finanziert werden, weswegen eine alternative Finanzierung zu den Diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) geprüft werde.
So stehe die Möglichkeit des Selbstkostendeckungsprinzips derzeit im Raum – ausgemacht sei aber noch nichts. Auch in der Notfallversorgung herrsche Reformbedarf, hier würden aus dem BMG heraus Vorschläge an die Krankenhauskommission herangetragen, die diese dann beurteilen soll.
Im Bereich der niederschwelligen Versorgungsangebote hat Lauterbach das Konzept der Gesundheitskioske ins Auge gefasst. In unterversorgten Stadtteilen in Hamburg, Köln und Essen hätten sich diese bereits als erfolgreich erwiesen.
Es brauche „preiswerte Initiativen, um in Brennpunkten den Zugang zur medizinischen Versorgung zu vereinfachen und zu strukturieren“, sagte Lauterbach. „Wir wollen ein Gesetz machen, durch das diese Kioske zur Regelversorgung werden und nicht auf der Grundlage freiwilliger Initiativen einiger weniger Kassen angeboten. werden“
Wegen seines weiteren Großprojekts, der Finanzreform der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), werde momentan von vielen Seiten Druck auf ihn ausgeübt, sagte Lauterbach. Diesem öffentlichen Druck werde er sich aber nicht beugen, beteuerte er: Er gehe davon aus, dass der Ukraine-Krieg sich drastisch auf die Finanzlage der Krankenkassen auswirken werde und das wolle er erst zunächst analysieren. Bis Ende des Monats werde er dann einen Gesetzentwurf vorlegen. „Aber ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich mich da nicht drängen lasse.“
Bisher nicht öffentlich verkündet hatte der Gesundheitsminister sein letztes Vorhaben: „Ich werde die Gesetzesinitiative zur Cannabis-Legalisierung starten“, sagte Lauterbach. Der Prozess werde damit beginnen, dass der Bundesdrogenbeauftragte Burkhardt Blienert (SPD) in Lauterbachs Auftrag Grundfragen mit nationalen und internationalen Experten erörtert.
Er selbst habe sich in den vergangenen Jahren sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt und seine frühere Meinung revidiert. Er sei zur Einsicht gelangt, dass die Gefahren einer Nichtlegalisierung größer zu sein schienen als die einer Legalisierung.
„Verunreinigte Cannabis-Verabreichungen sind aus meiner Sicht mittlerweile ein größeres Risiko als eine kontrollierte Abgabe an Menschen, die Cannabis in der entsprechenden Qualität kontrolliert konsumieren.“ In der zweiten Jahreshälfte werde er deshalb einen Gesetzesentwurf vorlegen. © lau/aerzteblatt.de

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