Politik
Ärger um „Ex-Post“-Triage, Dementi von Lauterbach
Montag, 9. Mai 2022
Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will keine Regelung für eine Triage treffen, die den Abbruch einer intensivmedizinischen Behandlung im Krankenhaus zugunsten eines Patienten mit größeren Überlebenschancen erlaubt. Das teilte heute sein Pressesprecher mit.
Der Minister dementiert damit Medienberichte vom vergangenen Freitag zu einer Regelung in einem Entwurf einer Formulierungshilfe des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Der Gesetzentwurf, der noch nicht mit den Ressorts abgestimmt sein soll und das Datum 5. Mai 2022 trägt, liegt dem Deutschen Ärzteblatt vor. Medien hatten berichtet, Lauterbach habe sich mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) dazu verständigt.
In dem Papier heißt es in der Begründung, dass für den Fall pandemiebedingt nicht ausreichend vorhandener überlebenswichtiger intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten eine Entscheidung über den Abbruch einer intensivmedizinischen Behandlung zum Zweck der Zuteilung der Behandlungsressource an einen anderen Patienten ein erweitertes Mehraugenprinzip gelten solle.
Anders als bei der Entscheidung über die Zuteilung noch freier Behandlungskapazitäten müsse so eine Zuteilungsentscheidung stets von drei mehrjährig intensivmedizinisch erfahrenen praktizierenden Fachärzten mit der Zusatzweiterbildung Intensivmedizin einvernehmlich getroffen werden. Zudem müssten die drei Fachärzte die betroffenen Patienten unabhängig voneinander untersuchen.
Heute distanzierte sich Lauterbach von dem Referentenentwurf aus seinem Hause. Eine „Ex-Post-Triage“ sei „ethisch nicht vertretbar“, sagte er. Sie sei weder Ärzten, noch Patienten oder Angehörigen zuzumuten. „Deshalb werden wir es auch nicht erlauben.“ Und selbst die Triage im Vorfeld einer Behandlung solle nur unter „hohen Auflagen“ möglich sein, fügte Lauterbach hinzu.
Aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Triage aus dem vergangenen Jahr „müssen wir den Graubereich von medizinischen Entscheidungen in der Pandemie allerdings ausleuchten“, sagte Lauterbach. Das BVerfG hatte vom Gesetzgeber eine Regelung gefordert, die Menschen mit Behinderung im Fall einer pandemiebedingten Triage vor Diskriminierung schützen soll.
Einen entsprechenden Gesetzentwurf wolle man „in Kürze“ vorlegen, versprach der Minister heute. Darin soll es aber nur um die Ex-Ante-Triage gehen. Ex-Ante-Triage bedeutet, dass vorab entschieden wird, wer behandelt wird. Ex-Post-Triage bedeutet, dass die Behandlung eines Patienten mit geringer Überlebenswahrscheinlichkeit abgebrochen wird, um einen Patienten mit besserer Prognose versorgen zu können. Dabei wird bei begrenzten Kapazitäten vorab entschieden, wer behandelt wird und wer nicht.
Lauterbach wies heute darauf hin, dass es sich dabei im Wesentlichen um eine abstrakte, theoretische Möglichkeit handele. So seien Triage-Entscheidungen in dieser Coronapandemie in Deutschland zwar eine reelle Gefahr, aber nie Alltag gewesen, sagte er. Durch Coronamaßnahmen und Patientenverlegungen sei es gelungen, alle Kranken gut zu versorgen. „Das soll auch in Zukunft so bleiben.“
Die im Entwurf geplante Regelung einer Ex-Post-Triage war am Wochenende auf erhebliche Kritik gestoßen, etwa bei den Grünen. „Mit diesem Gesetz käme der Staat seiner besonderen Schutzpflicht nicht nach“, sagte deren Abgeordnete Corinna Rüffer.
Auch der Deutsche Caritasverband hatte gefordert, diese Form der Triage auszuschließen. Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa warnte vor einer schleichenden Veränderung in der Diskussion um die Triage – „von einem Instrument der medizinischen Abwägung in akuten Notfallsituationen zu einer Legitimation von Rationierung medizinischer Leistungen nach Nützlichkeit und Lebenswert“.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warnte vor solchen Regelungen. Der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, Behinderte bei Triage-Entscheidungen besser zu schützen, werde durch die Übertragung der Entscheidung an drei Privatpersonen keinesfalls erfüllt, sagte Vorstand Eugen Brysch.
Der Gesetzgeber müsse konkrete Vorgaben und Kriterien festlegen, nach denen solche Entscheidungen getroffen werden. Sollte es solche Regelungen nicht geben, kündigte Brysch eine „harte ethische Auseinandersetzung“ über diese Frage an. © kna/afp/dpa/may/aerzteblatt.de

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