NewsVermischtes„Diskriminierungs­erfahrungen werden häufig bagatellisiert“
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„Diskriminierungs­erfahrungen werden häufig bagatellisiert“

Montag, 9. Mai 2022

Berlin – Das Thema Rassismus hat zwar in den vergangenen Jahren mehr Aufmerksamkeit bekommen als zuvor, dennoch wird es bisher sowohl im Studium der Psychologie als auch in der psychotherapeutischen Ausbildung beziehungsweise Weiterbildung kaum gelehrt.

Das Deutsche Ärzteblatt (DÄ) hat mit der Diplom-Psychologin Stephanie Cuff-Schöttle über ihre Arbeit als „Rassismus-sensible Therapeutin“ gesprochen und darüber, wie sich die aktuelle Situation verändern sollte.

Cuff-Schöttle ist zudem Mitbegründerin der Online­plattform „MyUrbanology“, die Perspektiven von Schwarzen Menschen und People of Colour sichtbar machen will.

5 Fragen an Stephanie Cuff-Schöttle, Psychologin und Rassismus-sensible Therapeutin in Berlin

DÄ: Was hat Sie dazu veranlasst, die Plattform „MyUrbanology.de“ zu gründen?
Stephanie Cuff-Schöttle: Auf der einen Seite war es uns wichtig, Schwarzes Leben im deutschsprachigen Raum und die Perspektiven von Black, Indigenous, People of Color (BIPoC) fernab der Reduktion auf Rassismuserfahrungen, sichtbar zu machen. Auf der anderen Seite war es uns ein Anliegen psychosoziale Angebote insbesondere für eine junge Zielgruppe zu enttabuisieren.

Wichtig war es, die Angebote, Ressourcen und Aspekte rund um die Themen mentale Gesundheit auf einer Ebene mit anderen Themen des alltäglichen Interesses, wie beispielsweise Lifestyle und Business zu behandeln und somit den Zugang zu diesen Ressourcen zu erleichtern.

DÄ: Wie beurteilen Sie das Angebot für Rassismus-sensible Psychotherapie für BIPoC in Deutschland?
Cuff-Schöttle: Es gibt insgesamt viel zu wenig therapeutische Möglichkeiten für Rassismus erfahren(d)e Menschen. Bei der Onlinesuche nach Rassismus-sensibler Therapie findet man kaum Angebote.

Die Therapeutinnen und Therapeuten, die sich fachlich intensiver mit dem Thema auseinandersetzen, sind überlaufen und haben endlose Wartelisten. Das ist auch so, weil es weder im Studium, noch in der Aus- und Weiterbildung spezifische Angebote gibt.

Mittlerweile gibt es aber mehr als früher zu meinen Studienzeiten. Vor allem, weil es eben Studierende gibt, die sagen, dass sie explizit etwas zum Thema Rassismus und mentale Gesundheit lernen wollen. Die Ausbildung ist im Moment nicht ausreichend.

Gleichzeitig ist die Studienlage im deutschsprachigen Raum weiterhin sehr gering, weshalb der Blick bislang vornehmlich auf Studien aus England, Kanada und den USA gerichtet ist. Das wirft die Diskussion der Übertragbarkeit auf.

Ich finde es hoch problematisch, dass die Auswirkungen von Rassismuserfahrungen auf die psychische und physische Gesundheit im deutschsprachigen Raum weder ausreichend erforscht, noch bekannt, noch anerkannt sind. Somit werden solche Erfahrungen im Rahmen der Diagnostik nicht abgefragt und als Belastungsfaktor nicht gesehen.

Einerseits kann das die Diagnosen und Behandlungsplanung beeinträchtigen. Andererseits führt es dazu, dass die spezifischen Präventions- und Interventionsangebote für die Betroffenen nicht entwickelt werden.

DÄ: Welche Erfahrungen machen Schwarze Menschen und People of Color bei der Behandlung mentaler Erkrankungen?
Cuff-Schöttle: Die Menschen kommen aus ganz unterschiedlichen Gründe zu mir. Häufig berichten sie von einem ausgeprägten „Othering“, das heißt, Therapeutinnen und Therapeuten überbetonen das „anders“ sein mit stereotypen Annahmen.

Auf der Basis ist es oftmals von Anfang an schwer, eine vertrauensvolle und gleichwertige therapeutische Beziehung zu ermöglichen. Das ist aber einer der wesentlichen Wirkfaktoren in der Psychotherapie.

Manche Menschen sind auch in gut laufenden Therapien und fragen mich, ob sie „nur“ den Aspekt der Rassismuserfahrungen bei mir „auslagern“ könnten.

Diskriminierungserfahrungen in der Therapie werden aber auch häufig bagatellisiert. Menschen berichten mir, dass Therapeuten und Therapeutinnen ihre Erfahrungen abtun und als Belastungsfaktor in Frage stellen, nach dem Motto: ‚Nur weil sie darüber sprechen, ist sie auch ein Problem‘.

DÄ: Welche Fortbildungsmöglichkeiten gibt es für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten?
Cuff-Schöttle: Es gibt insgesamt nur wenig Fortbildungsangebote. Da es intensiver Recherchen bedarf, welche zu finden, sind wir dabei, eine Online-Fortbildungsplattform namens „DE_CONSTRUCT“ ins Leben zu rufen. Dort wollen wir derartige Fortbildungsangebote ort-und zeitunabhängig digital verfügbar machen.

Im Rahmen eines Projektes namens „POWER ME“ des Trägers „Ariba e.V.“ biete ich Fortbildungen für Menschen an, die mit rassismuserfahren(d)en Kindern und Jugendlichen arbeiten.

In den ein- bis zweitägigen Fortbildungen geht es zunächst darum, die Räume aufzuzeigen, in denen Heranwachsende Rassismus erfahren. Das kommt zum Beispiel häufig in alltäglichen Institutionen, wie Kita oder Schule vor. Aber auch interfamiliär oder im öffentlichen Raum sind Heranwachsende oftmals direkt oder indirekt betroffen.

DÄ: Wie sollte sich die aktuelle Situation in der Psychotherapie verändern?
Cuff-Schöttle: Es sollte viel mehr Wissen über Rassismuserfahrungen und intersektional verknüpfte Diskriminierungsdimensionen vermittelt werden.

Das Thema sollte in Diagnostik, Prävention und Behandlung deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen. Die Zusatzdiagnose Z.60.5 des ICD 10 „Zielscheibe feindlicher Diskriminierung und Verfolgung“ stellt eine Möglichkeit dar, den Belastungsfaktor für die Krankenkassen und somit für das deutsche Gesundheitssystem sichtbarer zu machen.

Das halte ich für wichtig, weil nach meiner Erfahrung das Motto gilt, was nicht sichtbar ist, gibt es auch nicht.

Weiterhin halte ich es für sehr wichtig, dass (angehende) Therapeutinnen und Therapeuten in rassismuskritischem Denken geschult werden. Oftmals sind es nicht der böse Wille oder das fehlende Wissen, sondern auch die Unsicherheiten mit den genannten Themen umzugehen.

Rassismuskritisches Denken dabei als lebenslangen Lern-und Auseinandersetzungsprozess zu verstehen, bildet eine Basis für eine offene, angstfreie und lernbereite Kommunikation. © mim/aerzteblatt.de

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