Medizin
Studie: Sport und Ernährungsberatung können Mobilität länger erhalten
Dienstag, 17. Mai 2022
Rom – Die Kombination aus einem Fitnessprogramm mit einer Ernährungsberatung hat in einer randomisierten Studie die Muskelmasse und -kraft von gebrechlichen Senioren verbessert und den Verlust der Mobilität teilweise aufgehalten. Die Ergebnisse wurden jetzt im britischen Ärzteblatt (BMJ 2022; DOI: 10.1136/bmj-2021-068788) publiziert.
Mit zunehmendem Alter lassen beim Menschen die körperlichen Kräfte nach. Ursache ist ein Rückgang der Muskulatur an Armen und Beinen, der durch Bewegungsmangel und eine proteinarme Ernährung verstärkt wird. Diese Sarkopenie schränkt die Mobilität der Senioren immer weiter ein, bis sie nicht mehr in der Lage sind, ein selbstständiges Leben zu führen.
Die SPRINTT-Studie („Sarcopenia and Physical fRailty IN older people: multi-componenT Treatment strategies“) hat untersucht, ob ein kombiniertes Sport- und Ernährungsprogramm die Sarkopenie verlangsamen und dadurch die Mobilität im Alter erhalten kann.
An der Studie nahmen an 16 Zentren in 11 europäischen Ländern 1.519 Männer und Frauen im Durchschnittsalter von über 70 Jahren teil, bei denen mit der dualen Röntgenabsorptiometrie (DXA) ein Rückgang der Muskelmasse an Armen und Beinen festgestellt wurde und deren Mobilität eingeschränkt war.
Die Teilnehmer erreichten noch 3 bis 9 Punkte im SPPB-Test („short physical performance battery“). Die Bandbreite reicht hier von 0 bis 12 Punkten, wobei niedrigere Werte eine schlechtere körperliche Funktion anzeigen. Eine weitere Bedingung für die Studienteilnahme war, dass die Senioren noch in der Lage waren, 400 Meter ohne Hilfe zu gehen.
Die Teilnehmer wurden auf 2 Gruppen randomisiert. Die 1. Gruppe nahm 2-mal in der Woche an sportlichen Übungen teil, die Ausdauer, Kraft, Flexibilität und Gleichgewicht verbessern sollten.
An eine Aufbauphase im 1. Jahr schloss sich eine Erhaltungsphase an, in der die Intensität nicht weiter gesteigert wurde. Zusätzlich zu den Gruppenübungen wurden die Teilnehmer zu häuslichen Übungen motiviert, die sie 4-mal pro Woche absolvieren sollten. Dies wurde zeitweise durch das Tragen eines Aktometers kontrolliert.
Das Sportprogramm wurde durch eine Ernährungsberatung ergänzt, um die Aufnahme der für den Muskelaufbau notwendigen Proteine zu erhöhen. Die andere Hälfte der Senioren nahm lediglich an Kursen zu einer gesunden Lebensweise teil.
Die Teilnehmer waren zu Beginn im Mittel 78,9 Jahre alt und mit einem durchschnittlichen Body-Mass-Index (BMI) von 28,6 zumeist übergewichtig. Die mittlere Muskelmasse an Armen dun Beinen betrug noch 21,0 kg bei Männern und 14,6 kg bei Frauen.
Die meisten Teilnehmer litten an einer Osteoarthritis (76,9 %), einer arteriellen Hypertonie (65,9 %) und viele auch an einem Diabetes (21,5 %). Fast jeder 2. Teilnehmer (44,6 %) war im Jahr zuvor mindestens 1-mal gestürzt.
Das Sportprogramm wurde von den Senioren gut angenommen. Insgesamt 67 % nahmen an den Gruppenübungen teil und 73,5 % führten auch die häuslichen Übungen durch.
Ein Nutzen war nach den von dem Team um Emanuele Marzetti vom „Policlinico Universitario Agostino Gemelli“ in Rom vorgestellten Ergebnissen bei den gebrechlicheren Senioren nachweisbar. In der Gruppe mit einem Ausgangs-SPPB von 3 bis 7 verbesserte sich der SPPB-Score um 2,0 Punkte. Gegenüber der Kontrollgruppe, in der es ebenfalls zu einer leichten Verbesserung kam, betrug der Unterschied nach 2 Jahren 0,8 Punkte und nach 36 Monaten 1,0 Punkte. Die Differenz war jedoch nicht signifikant.
Der Rückgang der Muskelmasse konnte nicht komplett aufgehalten werden. Der Verlust war jedoch in der Kontrollgruppe größer. Bei Frauen war der Unterschied signifikant. Auch die Muskelkraft beim Händedruck ging in der Kontrollgruppe stärker zurück. Auch hier war der Unterschied nur bei den Frauen signifikant.
Der primäre Endpunkt der Studie war der Anteil der Patienten, die bei den regelmäßigen Nachuntersuchungen die 400-Meter-Strecke nicht mehr erreichten. In der Gruppe mit einem Ausgangs-SPPB von 3-7 Punkten verfehlten 21,0 % der Senioren das Ziel bei mindestens 2 Terminen.
In der Kontrollgruppe waren es 25,0 % der Senioren. Marzetti ermittelt eine Effektstärke von 0,79, die mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,62 bis 1,01 das Signifikanzniveau jedoch nicht erreichte.
Damit hat die Studie ihr Ziel, die gebrechlichen Senioren vor einem weiteren Verlust ihrer Mobilität zu schützen, streng genommen nicht erreicht. Hinzu kommt, dass es unter den Senioren mit besseren SPPB-Ausgangswerten von 8 oder 9 Punkten sogar tendenziell häufiger zu einem Verlust der Mobilität (gemessen am 400-Meter-Ziel) kam, allerdings auch hier ohne statistische Signifikanz (Hazard Ratio 1,14; 0,55 bis 2,3695).
Zu ähnlichen Ergebnissen wie die europäische SPRINTT-Studie war vor 8 Jahren die US-amerikanische LIFE-Studie gekommen. Dort hatten gebrechliche Senioren im Alter von 70 bis 89 Jahren an einem Sportprogramm (allerdings ohne Ernährungsberatung) teilgenommen. In der Gruppe mit einem Ausgangs SPPB von 8 oder weniger hatten 38,2 % der Senioren nach 2,6 Jahren das 400-Meter-Mobilitätsziel mehrmals verpasst gegenüber 46,8 % in einer Kontrollgruppe.
Zusammen genommen sprechen die Ergebnisse nach Einschätzung des Editorialisten Thomas Gill von der Yale School of Medicine in New Haven/Connecticut für den Nutzen eines Sportprogramms. Ob eine zusätzliche Ernährungsberatung notwendig ist, erscheint Gill dagegen zweifelhaft. © rme/aerzteblatt.de
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