Politik
Bundesverfassungsgericht billigt Impfpflicht im Gesundheitswesen
Donnerstag, 19. Mai 2022
Karlsruhe – Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die einrichtungsbezogene Impfpflicht im Gesundheitswesen für rechtens erklärt. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts wies dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerden von rund 50 Personen zurück (Az. 1 BvR 2649/21). Die Impfpflicht etwa für Mitarbeiter von Heimen, Krankenhäusern und Arztpraxen war Mitte März in Kraft getreten.
Das Gericht erklärte, es sei „verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber dem Schutz vulnerabler Menschen den Vorrang vor einer in jeder Hinsicht freien Impfentscheidung gegeben hat“. Trotz der „hohen Eingriffsintensität“ müssten die „grundrechtlich geschützten Interessen der im Gesundheits- und Pflegebereich tätigen Beschwerdeführenden letztlich zurücktreten“.
Die Richterinnen und Richter des Ersten Senats entschieden, dass der Gesetzgeber mit dem Ziel, vulnerable Menschen vor einer Infektion zu schützen, einen legitimen Zweck verfolge. Die Pflicht zum Nachweis einer Impfung für Beschäftigte in Gesundheitsberufen sei geeignet, dazu beizutragen.
Der Gesetzgeber habe hier einen weiten Beurteilungsspielraum, erklärte das Gericht. Er habe davon ausgehen dürfen, dass es keine weniger einschränkenden Maßnahmen zur Erreichung des Schutzziels gebe, die gleich wirksam seien. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht sei verhältnismäßig.
Zwar liege bei der Impfpflicht ein Eingriff in Grundrechte vor, räumten die Karlsruher Richter ein. Alternativ bleibe nur, den Beruf nicht mehr auszuüben oder den Arbeitsplatz zu wechseln. Der Gesetzgeber habe jedoch einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Schutz besonders gefährdeter Menschen vor einer Infektion und den Grundrechtsbeeinträchtigungen für Dritte gefunden.
Die Richter betonten zudem, dass die weitere Entwicklung des Pandemiegeschehens nach Verabschiedung des Gesetzes keine abweichende Beurteilung begründe. Im Februar hatte der Erste Senat bereits den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) begrüßte die Entscheidung. Der Staat sei verpflichtet, verletzliche Gruppen zu schützen, erklärte er in Berlin. „Ich bedanke mich bei allen Einrichtungen, die die einrichtungsbezogene Impfpflicht umgesetzt haben. Sie haben großen Anteil daran, dass es in der schweren Omikron-Welle nicht noch mehr Todesfälle gegeben hat.“
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, hält Coronaschutzmaßnahmen für gefährdete Gruppen grundsätzlich für richtig, zweifelt aber nach wie vor an der einrichtungsbezogenen Impfpflicht.
Effizienter wäre ein verpflichtendes Testsystem für Personal in medizinisch-pflegerischen Einrichtungen, sagte Brysch nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Er bemängelte, dass sich der Senat zur Testoption nicht geäußert habe. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht bleibe „eine administrative und arbeitsrechtliche Baustelle“.
Einen Eilantrag zur vorläufigen Aussetzung der Impfpflicht hatte das BVerfG bereits im Februar abgelehnt. Damit konnte sie Mitte März in Kraft treten. Seitdem müssen die Beschäftigten in medizinischen Einrichtungen und Pflegeheimen nachweisen, dass sie gegen Corona geimpft oder davon genesen sind. Die Einrichtungen müssen das Gesundheitsamt informieren, wenn der Nachweis fehlt.
Einem ZDF-Bericht zufolge führte die einrichtungsbezogene Impfpflicht bislang zu keinen ernstzunehmenden Folgen für die Patientenversorgung. Es sei zu Personalausfällen gekommen, aber „nicht im befürchteten Ausmaß“, berichtete die Leiterin der Geschäftsstelle des Deutschen Pflegerats, Ute Haas. Laut Bericht verzeichnen die Behörden bundesweit fast überall hohe Impfquoten unter den Beschäftigten.
Im Gesundheitsausschuss des Bundestags hatte unlängst Ulrike Döring vom Deutschen Pflegerat gesagt, dass die befürchteten Folgen, dass Pflegekräfte verstärkt den Beruf verlassen würden, ausgeblieben seien. Man habe keine Nachrichten dazu, dass viele Pflegekräfte wegen der Impfpflicht den Beruf verlassen würden, sagte sie. „Der große Schub von Personen, die die Pflege verlassen, ist nicht eingetreten“, erklärte auch Christel Bienstein vom Berufsverband der Pflegeberufe. © afp/dpa/kna/may/aha/aerzteblatt.de

Nachrichten zum Thema




Leserkommentare
Um Artikel, Nachrichten oder Blogs kommentieren zu können, müssen Sie registriert sein. Sind sie bereits für den Newsletter oder den Stellenmarkt registriert, können Sie sich hier direkt anmelden.