Ärzteschaft
Umfrage: Ärztliches Handeln unter kommerziellem Druck
Dienstag, 24. Mai 2022
Bremen – Ökonomische Vorgaben bestimmen den Alltag junger Ärztinnen und Ärzte – sowohl im Krankenhaus, als auch in der ambulanten Versorgung.
Das Deutsche Ärzteblatt hat mit Teilnehmenden vom Dialogforum der Bundesärztekammer gesprochen und gefragt, ob und in wieweit ökonomische Vorgaben den klinischen Alltag beeinflussen.
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Frauke Gundlach, Ärztin in Weiterbildung, Allgemeinmedizin
Bis zuletzt habe ich in einer Notaufnahme gearbeitet. Die Klinikleitung hatte eine ganz klare Haltung in Richtung primäre Versorgung, sodass ich dort keine ökonomischen Zwänge gespürt habe. Anders ist das, wenn Patienten stationär aufgenommen waren. Hier habe ich schon mitbekommen, dass Patienten teils ohne medizinische Indikation ein bis zwei Tage länger auf der Intensivstation liegen, um Beatmungsstunden abrechnen zu können.
Im Krankenhaus ist man oft unter hohem zeitlichen Druck. Es fehlt an Gesprächen, was an der Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patient nagt. Die fehlende Zeit auch schon in der Anamnese führt manchmal zu Fehlern in der Diagnostik und Therapie. Denn die sprechende Medizin wird nicht finanziert. Um das System zu verändern, muss das Geld, dass investiert wird, auch in dem System bleiben. Private Konzerne dürfen dieses Geld nicht als Rendite abzweigen.
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Max Tischler, Dortmund, Facharzt für Dermatologie, angestellt in einer Praxis
Die Ökonomie beeinflusst uns in unserem ärztlichen Handeln sicher immer. Ich in meiner Konstellation als angestellter Arzt in einer ärztlich geführten dermatologischen Praxis mit neun Kolleginnen und Kollegen bin in meiner freien Therapieentscheidung glücklicherweise kaum beeinflusst. Da es sich um eine Mischkalkulation in der Praxis handelt, kann ich mir bis zu einem gewissen Maße Zeit für meine Patienten nehmen.
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Anika Biel, Fachärztin für Urologie, Honorarärztin
Nicht jede Diagnostik, die ich gerne machen würde, kann ich auch einsetzen. Das würde zu teuer werden beziehungsweise die Krankenkassen würden die Kosten nicht übernehmen. Es ist eine Mischkalkulation: Finanzielle Überschüsse von einigen Operationen müssen höhere Therapiekosten bei anderen Patienten auffangen. Die Therapie ist sicher ausreichend. Aber ohne ökonomischen Druck würden einige ärztliche Diagnostik- und Therapieentscheidungen bestimmt anders ausfallen.
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Melissa Camara Romero, Fachärztin für Innere Medizin, Klinik für Hämatologie und Onkologie
Die Ökonomisierung in der Medizin ist im beruflichen Alltag allgegenwärtig. Ich konnte den wirtschaftlichen Druck bereits seit dem ersten Tag meines ärztlichen Handelns spüren. Inzwischen habe ich einen tieferen Einblick, welche Stellschrauben es gibt und ich habe das Glück, in einer Klinik zu arbeiten, in der bei der medizinischen Notwendigkeit weiterhin die Ökonomie zurücksteht.
Eine gewisse Wirtschaftlichkeit ist angesichts der begrenzten Ressourcen im Gesundheitssystem natürlich unerlässlich. Man muss sich bewusstmachen, dass wir jeden Euro nur einmal ausgeben können. Und trotzdem besteht im aktuellen System die Gefahr, aufgrund von Fehlanreizen bestimmte Maßnahmen vorrangig durchzuführen und andere eher zu unterlassen.
Wir müssen uns davor schützen, dass medizinische Entscheidungen nicht aufgrund des ökonomischen Druckes beeinflusst werden. Zudem stehen wir im Gesundheitssystem unter einem massiven Effizienzdruck durch das aktuelle Vergütungssystem. Der Patient sollte jedoch weiterhin im Fokus stehen – nicht der Profit. Sonst wird die sprechende Medizin massiv vernachlässigt.
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Christine Jabbour, Fachärztin für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, angestellt in einer Praxis
Ökonomische Faktoren beeinflussen die Arbeit und setzen die Ärzte bei der Arbeit unter Druck. Pro Quartal bekommt der Arzt für einen Patienten eine Pauschale von zwanzig Euro, egal wie oft die Person kommt oder warum. Das kann dazu führen, dass wenig Zeit für einzelne Patienten ist und dass viele Leistungen, die dem Arzt wichtig sind, erbracht werden, ohne dafür Geld zu bekommen. Jedes Mal stellt sich die Frage, was abgerechnet werden kann und was nicht. Wir treffen zwar alle Entscheidungen im Sinne des Patienten, aber dabei darf man das finanzielle nicht aus den Augen lassen. Im stationären Bereich ist der finanzielle Druck auch da, aber eher indirekt. Das zeigt sich unter anderem in Personalmangel und unbezahlten Überstunden etc. Viele Patientengespräche und Stationsarbeit müssen in der Freizeit erfolgen ohne, dass man dafür bezahlt wird.
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Theodor Uden, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinik
Ich habe den Eindruck, dass große Unterschiede zwischen den Kliniken bestehen, aber an allen zeigen sich aufgrund der Kommerzialisierung eine Arbeitsverdichtung, Zeitdruck und vermehrte Überstunden. Viele Kolleginnen und Kollegen fühlen sich unter Druck gesetzt – auch hinsichtlich ihrer ärztlichen Entscheidungen.
Dies erlebe ich an einer Universitätsklinik zwar persönlich weniger. Aber ich bin Kinderarzt und verspüre da nochmal einen anderen Druck: Ich bin an der Behandlung vieler komplex erkrankter Kinder beteiligt und erlebe gleichzeitig viele Notfalleinweisungen – beides ist durch das aktuelle DRG-System nicht im Ansatz kostendeckend finanziert.
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Christoph Polkowski, Facharzt für Radiologie, Arzt in Weiterbildung für Neuroradiologie, Universitätsklinik
Aktuell habe ich das Glück, in einer Abteilung zu arbeiten, in den Entscheidungen zum Wohl des Patienten getroffen werden und nicht aufgrund von Profitstreben. Das ist in der Medizin sicherlich eher die Ausnahme und nicht die Regel.
Von dem kommerziellen Druck bekomme ich vor allem in meiner Position als Assistentensprecher, Mitglied der Landesärztekammer und dem Marburger Bund mit.
Zum Beispiel konnte die Notaufnahme in einem privatisierten Haus aufgrund von Personal- und Bettenmangel keine Patienten mehr versorgen. Daher erfolgte eine Abmeldung bei der Leitstelle. Der kaufmännische Direktor hat sich dann selbst an die Leitstelle gewandt und diese Abmeldung wieder aufgehoben, weil er wollte, dass weiterhin Patienten kommen.
Das verletzt die ärztliche Selbstbestimmung. Ein kaufmännischer Direktor darf das eigentlich gar nicht entscheiden. Der Profit sollte nicht im Vordergrund stehen, sondern die Gesundheit der Patientinnen und Patienten.
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Dorothea Kerner, Fachärztin für Radiologie, Universitätsklinik
Ich denke, dass jüngere Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus ökonomische Zwänge zunächts wenig merken. Man hört dann nur „die und die Untersuchung führen wir nicht durch“.
Dass der Grund dafür ist, dass bestimmte Untersuchungen zu teuer sind, merkt man dann erst später. Man trifft zwar keine Entscheidungen gegen das Patientenwohl, aber ich habe gemerkt, dass einige Standards gekürzt werden.
Bestes Beispiel dafür sind die Schilddrüsenwerte. Früher wurde standardmäßig der Thyreoidea-stimulierendes Hormon-(TSH-)Wert im Aufnahmelabor abgenommen, das ist bei uns heute nicht mehr so. Das Nachmelden des TSH kostet Zeit und verzögert Abläufe. © ER/mim/aerzteblatt.de

Schlaraffenland unbekannt?
Besonders geeignet wäre beispielsweise § 85 SGB V, der die Gesamtvergütung beschreibt und dies so:
"Die Krankenkasse entrichtet nach Maßgabe der Gesamtverträge an die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung für die gesamte vertragsärztliche Versorgung der Mitglieder mit Wohnort im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung einschließlich der mitversicherten Familienangehörigen."
Da lässt sich doch vollkommen unbefreit alles machen ...
https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__85.html

Ökonomische Vorgaben -- ist das denn wirklich so schlimm?
Als Arzt verwende ich außerdem das Geld der Solidargemeinschaft , da ist besonders sorgfältige Abwägung gefragt !
Also: nicht die ökonomische Begrenzung an sich ist das Problem. Vielmehr sollte ich mich fragen: wessen Interessen sind hier gerade tangiert ? ( meine ? die der Solidargemeinschaft? oder gar die des shareholder value?) . Und verantwortlich handeln.
Ein Schlaraffenland gibt es nicht, nicht zu Hause, nicht in Klinik oder Praxis .

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