Politik
Gesetzgeber muss Kinderzahl bei Pflegebeitrag berücksichtigen
Mittwoch, 25. Mai 2022
Karlsruhe – Bei der Beitragshöhe für die gesetzliche Pflegeversicherung muss der Gesetzgeber nach der Zahl der Kinder von beitragspflichtigen Eltern unterscheiden. Momentan würden Eltern mit mehreren Kindern auf verfassungswidrige Weise benachteiligt, erklärte das Bundesverfassungsgericht heute in Karlsruhe.
Es trug dem Gesetzgeber auf, die Beiträge zur Pflegeversicherung bis Ende Juli 2023 neu zu regeln (Az. 1 BvL 3/18 u.a.). Nach Karlsruhe gezogen waren mehrere Mütter und Väter. Zudem legte das Sozialgericht Freiburg dem Bundesverfassungsgericht die Frage vor.
Bereits im Jahr 2001 hatten die Karlsruher Richterinnen und Richter im sogenannten Pflegeurteil entschieden, dass Eltern gegenüber Kinderlosen bei den Beiträgen zur Pflegeversicherung entlastet werden müssen. Kinderlose zahlen darum seit 2005 einen Zuschlag, der zum Jahr 2022 noch einmal erhöht wurde.
Nun machte das Gericht deutlich, dass auch zwischen Familien mit einem Kind und solchen mit mehreren Kindern unterschieden werden müsse. Eltern mit mehr Kindern würden „beitragsrechtlich lediglich in dem gleichen Maße besser gestellt“ wie Eltern mit weniger Kindern, „obwohl der wirtschaftliche Erziehungsmehraufwand mit wachsender Kinderzahl steigt“, erklärte es. „Diese Benachteiligung tritt bereits ab einschließlich dem zweiten Kind ein.“
Das bedeutet aber nicht, dass Menschen ohne Kinder und mit nur einem Kind in Zukunft zwangsläufig höhere Beiträge zahlen müssen, um kinderreiche Familien zu entlasten. „Der Gesetzgeber kann sich auch zu einer Steuerfinanzierung entschließen“, erklärte das Gericht. Laut Grundgesetz sei es weder ge- noch verboten, die gesetzliche Sozialversicherung teilweise aus Steuermitteln zu finanzieren.
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) kündigte nach dem Urteil an, die Entscheidungsgründe nun „eingehend analysieren und zügig die erforderlichen Vorschläge für Anpassungen erarbeiten“ zu wollen. Dafür gebe das Gericht Hinweise, schreibt das Ministerium.
Das Gericht habe den großen Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum betont, der dem Gesetzgeber bei der verfassungskonformen Ausgestaltung zustehe. Es habe ausgeführt, dass vielfältige Möglichkeiten bestünden, wie der Gesetzgeber die gebotene kinderzahlbezogene Differenzierung von Eltern im Beitragsrecht vornehmen und gegenfinanzieren könne, ohne dass er erfassungsrechtlich auf eine dieser Möglichkeiten festgelegt wäre.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat nach der Entscheidung eine Umsetzung bis Juli nächsten Jahres zugesagt. „Diesen Beschluss werden wir in der erklärten Frist umsetzen“, sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Die Pflegeversicherung muss aber auch grundsätzlich solider finanziert werden. Auch das werden wir angehen“, fügte er hinzu.
Der Geschäftsführer des Deutschen Familienverbands, Sebastian Heimann, reagierte erfreut auf die Entscheidung. „Teilerfolg für die Familienverbände“, erklärte er. Der Familienverband und der Familienbund der Katholiken hatten die Verfassungsbeschwerden unterstützt.
Der Erste Senat entschied heute außerdem über Verfassungsbeschwerden, die eine Entlastung von Eltern bei der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung forderten. Diese Forderungen wurden jedoch zurückgewiesen.
Durch die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei der Rente habe der Gesetzgeber bereits einen ausreichenden Ausgleich für die wirtschaftliche Mehrbelastung von Eltern geschaffen, begründete das Gericht seine Auffassung. Auch bei der Krankenversicherung seien Eltern nicht benachteiligt, weil Kinder bei den Krankenkassen kostenfrei versichert sind. © afp/dpa/may/aerzteblatt.de

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