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Medizin

Wie Stress die Immunabwehr gegen COVID-19 oder Grippe schwächt

Dienstag, 31. Mai 2022

/dottedyeti, stock.adobe.com

New York – Wenn Mäuse unter Stress stehen, werden sie anfälliger für einen tödlichen Verlauf von COVID-19 oder einer Influenza. Eine Studie in Nature (2022; DOI: 10.1038/s41586-022-04890-z) bringt dies mit einer Umverteilung der Abwehrzellen im Körper in Verbindung, die offenbar durch das Gehirn gesteuert wird.

Eine vermehrte Aktivierung von neutrophilen Granulozyten stärkt die angeborene Immun­abwehr, doch eine Abwanderung der Lymphozyten schwächt das adaptive Immunsystem, was bei COVID-19 oder einer Influenza fatale Folgen haben kann. Die stressbedingte Reaktion könnte jedoch auch einen Nutzen haben.

Wenn Mäuse in einen engen Zylinder gesperrt werden, geraten sie unter Stress. Dies zeigt sich nicht nur in der bekannten Aktivierung des sympathischen Nervensystems und der vermehrten Ausschüttung von Stress­hormonen aus der Nebenniere.

Auch das Immunsystem zeigte eine Reaktion. In den Experimenten, die Wolfram Poller von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York und Mitarbeiter durchführten, kam es innerhalb von 30 Sekunden zu einem Anstieg der neutrophilen Granulozyten im Blut.

Dies ist eine gewünschte Reaktion, da diese Zellen zur ersten Abwehrlinie gehören. Ihre Aufgabe ist, in das geschädigte Gewebe einzuwandern, dort Mikroorganismen zu erkennen und durch Phagozytose zu beseitigen.

Parallel zum Anstieg der Neutrophilen kam es jedoch zu einem Abfall der Lymphozyten. Dies ist eher ungün­stig, weil diese Zellen, zu denen B-Zellen und T-Zellen gehören, bereits von früheren Infektionen bekannte Er­reger gezielt angreifen könnten. Doch statt sich ebenfalls in die geschädigten Gewebe zu begeben, scheinen diese Zellen einen Schutzraum im Knochenmark aufzusuchen.

Im Fall einer Infektion hat dies fatale Folgen, wie die Forscher in einem Experiment zeigen. Mäuse, die nach dem Stressereignis mit SARS-CoV-2 infiziert wurden, hatten höhere Viruskonzentrationen, und sie starben häufiger an COVID-19 (Für das Experiment wurden genmodifizierte Mäuse verwendet, die das menschliche Gen für den ACE 2-Rezeptor besitzen). Nach einer Infektion mit Influenzaviren kam es nicht zur Vergrößerung der Lymphknoten, da die Abwehrzellen dort fehlten.

In einer Reihe von Experimenten haben die Forscher nach den Ursachen für die stress-induzierte Immun­schwäche gesucht. Einen Schlüssel fanden sie im Nucleus paraventri­cularis des Gehirns. Er gehört zum Hypothalamus und ist ein Kommandozentrum für Stressreaktionen im Gehirn.

Die Zellen dort bilden das Corticotropin-releasing Hormone (CRH), das über die Hypophyse ans Blut abge­geben wird und die Nebennierenrinde zur Ausschüttung von Cortison veranlasst. Mäuse, die kein CRH bilden können, reagierten in den Experimenten auf Stress nicht mit einer Zunahme der Neutrophilen und dem Rückgang der Lymphozyten.

Die Nervenbahnen des sympathischen Nervensystem hatten in den Versuchen keinen Einfluss auf die Stressreaktion des Immunsystems. Stattdessen scheinen die motorischen Nerven und die Reaktion des Muskelgewebes eine Rolle zu spielen. Worin sie genau besteht, konnten die Forscher noch nicht ermitteln.

Unbeantwortet ist auch die Frage, warum die Stressreaktion die adaptive Immunabwehr schwächt. Auf den ersten Blick ergibt dies keinen Sinn, da die Mäuse dadurch geschädigt werden. Aus der Perspektive der Evolu­tion hätte sich diese Eigenschaft schwerlich durchsetzen können.

Sie musst deshalb einen Vorteil haben (außer es handelt sich um einen Unfall, den die Evolution zufälliger­weise nicht geahndet hat). Die Forscher vermuten, dass der Rückzug der Lymphozyten eine Schutzmaßnahme zur Vermeidung von Autoimmunreaktionen ist.

Tatsächlich konnten sie in einem Experiment zeigen, dass Mäuse nach einer Stressreaktion vor der Entwick­lung einer experimentellen autoimmunen Enzephalomyelitis (EAE) geschützt waren. Die EAE ist eine Modell­erkrankung für die Multiple Sklerose. Sie wird bei den Tieren durch die Injektion von Antigenen der Myelin­scheiden ausgelöst, die das Ziel der Autoim­munreaktion bei der Multiplen Sklerose ist.

Eine mögliche Erklärung von Autoimmunerkrankungen ist, dass das Immunsystem die Antigene von Krank­heits­erregern mit körpereigenen Antigenen verwechselt. Die Stressreaktion könnte davor schützen, indem sich die Lymphozyten zunächst ins Knochenmark zurückziehen, bis die Neutrophilen die Eindringlinge be­seitigt haben. Bei bestimmten Erkrankungen wie SARS-CoV-2 oder der Influenza könnte dies für den Körper jedoch die falsche Reaktion sein. © rme/aerzteblatt.de

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