Politik
Verordnung von starken Schmerzmitteln nimmt zu
Donnerstag, 2. Juni 2022
Berlin – Innerhalb der vergangenen Jahre ist die Zahl der Verordnungen von starken Schmerzmitteln in Deutschland kräftig gestiegen. Insbesondere bei Rückenschmerzen oder Arthrose werden immer häufiger auch Opioide eingesetzt.
Im Hinblick auf die dramatische Opioidkrise in den USA ist die Situation in Deutschland aber unter Kontrolle, so ein Forschungsteam von der Universität Bremen. In den Vereinigten Staaten von Amerika sind nach Angaben der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) in den vergangen beiden Jahrzehnten aufgrund einer Drogenüberdosis rund eine halbe Million Menschen gestorben.
Hierzulande hat sich inzwischen die Zahl der Verschreibungen von starken Schmerzmitteln wie Opioiden mehr als verdoppelt. Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wurden 1996 noch 129 Millionen entsprechende definierte Tagesdosen (DDD) verschrieben, 2020 lag diese Anzahl bei 446 Millionen DDD.
Damit ist die Zahl der Verschreibungen in diesem Zeitraum um das 2,5-fache angestiegen, informierte Apotheker Lutz Muth vom Forschungszentrum für Ungleichheit und Sozialpolitik an der Universität Bremen im Rahmen einer Pressekonferenz heute.
Muth ist Teil eines Forschungsteams an der Universität Bremen, das unter der Leitung des Arzneimittelexperten Gerd Glaeske untersucht hat, wie die aktuelle Situation hinsichtlich der Verschreibung von starken Schmerzmitteln hierzulande aussieht. Die Ergebnisse hat das Team nun im „Opioidreport 2022“ zum Aktionstag gegen den Schmerz am 7. Juni veröffentlicht. Glaeske ist kurz vor der Pressekonferenz nach langer Krankheit verstorben. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin fand die Vorstellung der Untersuchung am heutigen Mittwoch dennoch statt.
Ausgangspunkt der Untersuchung war die Frage, ob eine ähnliche Situation wie in den USA auch in Deutschland aufgrund des höheren Verordnungsgebrauchs von starken Schmerzmitteln möglich ist. Für diese Studie hat das Forschungsteam um Glaeske Daten von entsprechenden Opioidverordnungen bei Versicherten (mindestens 15 Jahre alt) der Handelskrankenkasse (hkk Krankenkasse) zwischen dem 1. Januar 2018 und dem 31. Dezember 2020 ausgewertet.
Demnach wurden die verhältnismäßig schwach wirkenden Opioide (WHO-Stufe II), Tilidin plus Naloxon mit 807.236 DDD und Tramadol mit 304.283 DDD, im Jahr 2020 weitaus häufiger verordnet als die stärkeren Opioide der WHO-Stufe III (Fentanyl: 229.573 DDD, Hydromorphon: 163.933 DDD, Oxycodon-Monopräparate: 129.770 DDD). Von den 592.057 Krankenversicherten der hkk haben 4.993 Versicherte starke Opioidanalgetika der WHO-Stufe-III 2020 verordnet bekommen (0,84 Prozent).
Zudem zeigte sich, dass vor allem Allgemeinmediziner und Internisten die starken Opioide verschreiben. Diese machten 2020 einen Anteil bei 87,39 Prozent der Verschreibungen aus. Anästhesisten wiederum verschreiben die Opioide nur zu einem Anteil von 8,82 Prozent.
Problematischer wird es bei der Berücksichtigung der zugrunde liegenden Diagnosen. So erklärte Muth, dass die hkk-Daten zeigen, dass starke Opioide der WHO-Stufe III bei 81 Prozent der Frauen und 78 Prozent der Männer verordnet wurden, für die keine Krebserkrankung kodiert wurde. Gerade etwa bei Rückenbeschwerden, Arthrose, Osteoporose oder Polyneuopathie werden die starken Schmerzmittel häufig verschrieben.
Und: Es gibt einen Trend zur Verschreibung von Fentanylpflastern, schlussfolgerte Muth. Auch der Chefarzt für Schmerzmedizin und der Schmerzambulanz im Rotes Kreuz Krankenhaus Bremen, Joachim Ulma, betonte, dass die Pflaster oft harmlos erscheinen würden und dass die starke Wirkung manchmal zu wenig bekannt sei.
Der Opioidreport weist allerdings daraufhin, dass Fentanyl in seiner Wirkung 100 Mal stärker als etwa Morphin ist. Gerade Fentanyl sei laut der entsprechenden Leitlinie vor allem bei Krebspatienten mit starken Schmerzen und bei palliativen Patienten einzusetzen. Entsprechende Pflaster sollten zudem nur bei Patienten eingesetzt werden, die Probleme mit dem Schlucken haben.
Trotz dieser Herausforderungen zog die Forschungsgruppe um Glaeske aber das Fazit, das Deutschland zwar zu der Gruppe von Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch der stark wirkenden Schmerzmittel gehört, eine Situation wie die in den USA sei aber hierzulande nicht zu erwarten.
Die Verordnungsdaten zeigen, „dass diese Besorgnis unbegründet ist, weil insbesondere die stark wirkenden Opioide, die in den USA die verheerende Entwicklung verursacht haben, in Deutschland in den letzten Jahren kaum Zuwächse gezeigt haben“, heißt es in dem Opioidreport. Die bereits bestehenden Kontrollmechanismen und strengen Gesetze, etwa das Betäubungsmittelgesetz oder das Heilmittelwerbegesetz tragen dazu bei, die Situation unter Kontrolle zu halten, so die Forscher.
Ulma bemängelte allerdings, dass in der Schmerztherapie insgesamt eine Unterversorgung bestünde. Es gebe 2,5 Millionen Patienten, die schmerzbehandlungsbedürft seien. Allerdings fehle es hier teilweise an Interesse vonseiten der Mediziner. Darüber hinaus handele sich bei Schmerzpatienten oft um schwierige Patienten und die flächendeckende Aus- und Weiterbildung für Schmerzmediziner sei teilweise problematisch, betonte er gestern.
Ulma als auch die hkk betonten zudem, dass sowohl frühzeitige Präventionsmaßnahmen (etwa Bewegungstherapie oder Sport) als auch die richtige Diagnosestellung sehr wichtig seien, um chronische Schmerzen und damit dauerhafte Schmerzmittelverschreibungen zu vermeiden. © cmk/aerzteblatt.de

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